Ein Warteraum einer Abtreibungsklinik in Phoenix im US-Bundesstaat Arizona. Dort sind Abtreibungen – derzeit – bis zur 15. Schwangerschaftswoche erlaubt.
AFP/FREDERIC J. BROWN

Die neun Richterinnen und Richter des US-Höchstgerichts waren sich ungewöhnlich einig: Die Zulassung der Abtreibungspille Mifepristone in den USA bleibt bestehen. Nichts ändert sich. Was auf den ersten Blick wie eine Jubelmeldung für jene gilt, die einen sicheren Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen ermöglichen wollen, ist nur ein kleiner Etappensieg. Denn die Begründung des Urteils offenbart: Der Status quo bleibt nur aufrecht, weil die Gruppe bestehend aus abtreibungsfeindlichen Ärzten und Aktivistinnen gar nicht berechtigt war zu klagen. Die Klägergruppe konnte nicht darlegen, wie das Medikament Mifepristone ihnen selbst geschadet hätte. Sie waren also keine Betroffenen.

Und Höchstrichter Brett Kavanaugh gab in der Urteilsbegründung entgegen jeder Unabhängigkeit sogar einen Leitfaden, wie Gegnerinnen und Gegner von Abtreibungen künftig vorgehen könnten. Unter anderem sollen sie sich an die Exekutive und politischen Vertreterinnen und Vertreter wenden, um Restriktionen durchzusetzen. Was unter einem künftigen Präsidenten Donald Trump wohl leichter wäre als in einer zweiten Amtszeit von Joe Biden.

Wie die Urteilsbegründung eine Anleitung für ein Abtreibungsverbot gibt.
Tweet von Mary Ziegler

Vor zwei Jahren hatte der Supreme Court das Grundsatzurteil Roe v. Wade zu Fall gebracht und damit das landesweite Recht auf Abtreibung bis zur Lebensfähigkeit des Fötus außerhalb des Uterus gekippt. Seither haben insgesamt 14 US-Bundesstaaten Abtreibungsverbote eingeführt, in sieben weiteren wurde der Zugang teils stark eingeschränkt. Der vom Republikaner George W. Bush nominierte Höchstrichter Samuel Alito begründete das Urteil 2022 auch damit, dass es Zeit sei, die Abtreibungsfrage aus den Händen des Gerichts zu nehmen und sie "den gewählten Vertretern des Volkes" zurückzugeben.

Doch zwei Jahre später finden zahlreiche Auseinandersetzung zum Thema vor Gericht statt, wo etwa Pro-Choice-Vertreterinnen gegen Verbote oder Einschränkungen klagen, weil sie einen Verstoß gegen die Rechte auf Privatsphäre, Freiheit oder ein ordnungsgemäßes Verfahren beanstanden. Derzeit laufen solche Verfahren etwa in den US-Bundesstaaten Georgia, Utah und Wyoming.

Tür zu Verbot noch offen

Allerdings wurden bisher die neuen restriktiven Abtreibungsgesetze in allen Bundesstaaten, in denen die Anfechtungen bis zu einem endgültigen Urteil des Höchstgerichts des jeweiligen Staates ausgefochten wurden – darunter in Florida, Idaho und Texas –, bestätigt. Keines der neuen Verbote wurde endgültig gekippt.

Proteste gegen das Abtreibungsverbot in Idaho im April.
REUTERS/Evelyn Hockstein

Auch das Verbot von Mifepristone – das gemeinsam mit dem Medikament Misopristol in den ersten zehn Wochen zu einem Abort führt – ist mit dem Urteil des Supreme Court nicht vom Tisch. Aus drei US-Bundesstaaten, die Abtreibungen seit dem Fall von Roe v. Wade verbieten, könnte es zu weiteren Klagen vor dem Höchstgericht kommen: Missouri, Kansas und Idaho. Kris Kobach, der republikanische Staatsanwalt im Bundesstaat Kansas, denkt bereits laut über solch eine nach. Sollte Mifepristone tatsächlich in den USA nicht mehr verfügbar sein, könnte auch allein mit Misopristol eine Fehlgeburt ausgelöst werden. Das Medikament wird auch gegen Magengeschwüre eingesetzt, was ein Verbot erschweren dürfte. Sicherer sind medikamentöse Abtreibungen aber nach einer Kombination beider Medikamente.

Ein Gesetz gegen Abtreibungen

Doch nicht nur über die Gerichte könnte es den Abtreibungsgegnerinnen und -gegnern gelingen, Schwangerschaftsabbrüche in den USA zu verbieten. Ein Gesetz aus dem 19. Jahrhundert könnte unter einer weiteren Amtszeit Donald Trumps zu einer effektiven Waffe werden: der Comstock Act. Benannt nach dem Politiker Anthony Comstock, der sich dem Kampf gegen die für ihn verlotterte Moral verschrieben hatte, verbietet es auf bundesstaatlicher Ebene, dass jedes "obszöne, unzüchtige oder laszive" Material mit der Post geschickt oder empfangen wird. Dezidiert genannt werden Verhütungsmittel und Materialen, die eine Abtreibung zur Folge haben.

Seit seiner Verabschiedung im Jahr 1873 wurde die Bedeutung des Gesetzes durch Gerichte eingeengt – in den 1970er-Jahren entfernte der Kongress die meisten Verbote von Verhütungsmitteln, und der Supreme Court stellte mit Roe v. Wade das Recht auf Abtreibung fest. Doch da letzteres nicht mehr existiert, könnte ein Justizministerium unter Trump Abtreibungskliniken mit dem Comstock Act drohen. Auch der Versand von Abtreibungspillen könnte dadurch verfolgt werden. Der Comstock Act wird auch dezidiert im Manuskript der konservativen Heritage Foundation für die nächste republikanische Präsidentschaft genannt, dem "Project 2025".

Mehr Abtreibungen

Trotz aller rechtlicher Hürden, die den Betroffenen in den Weg gestellt werden, steigt der Absatz von Abtreibungspillen und auch die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche. In den ersten sechs Monaten seit dem Fall von Roe v. Wade wurden fast 28.000 zusätzliche Dosen in den USA abgesetzt. Überhaupt werden mittlerweile mehr als 60 Prozent aller Abtreibungen in den Staaten mittels Medikamenten durchgeführt – um zehn Prozentpunkte mehr als noch im Jahr davor, wie das Guttmacher Institute errechnete.

Viele US-Bundesstaaten, in denen die Demokratische Partei an der Macht ist, haben mittlerweile Gesetze verabschiedet, die die Versendung von Abtreibungspillen erleichtern. Damit können sich Betroffene in republikanisch regierten Bundesstaaten etwa Pillen wie Mifepriston zuschicken lassen und sind nicht auf viel Zeit und Geld für die Reise in Bundesstaaten mit liberalerem Abtreibungsrecht angewiesen.

Der steigende Absatz von Abtreibungspillen ist auch mit ein Grund, wieso Zahlen im Herbst auch insgesamt einen Anstieg an Schwangerschaftsabbrüchen zeigten. Wie die New York Times im Oktober berichtete, gab es in dem Jahr nach dem Fall des Grundsatzurteils um 0,2 Prozent mehr Abtreibungen als noch vor dem Ende von Roe v. Wade – von dem sich viele Abtreibungsgegner ja eigentlich weniger Schwangerschaftsabbrüche erhofft hatten. Als weiterer Grund für den Anstieg wurde unter anderem angeführt, dass nach dem Fall des Grundsatzurteils mehr Hilfsmöglichkeiten für Betroffene geschaffen und öffentlich gemacht wurden. (Bianca Blei, Noura Maan, 24.6.2024)