"Vielleicht kann man sich in der Republik nicht mehr vorstellen, dass es tatsächlich Ministerinnen und Minister gibt, die nicht nach parteitaktischen Motiven oder nach Gesinnungslage entscheiden, sondern tatsächlich nach dem Inhalt, um den es geht", sagt Sozial- und Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) im ORF-Report über das Ja zum EU-Renaturierungsgesetz, "genau das hat Leonore Gewessler gemacht". Auch in der ZiB 2 ging es Dienstagabend um dieses Gesetz, bei Armin Wolf trafen Bauernbund und Greenpeace aufeinander. Die Positionen könnten nicht unterschiedlicher sein. Und das, obwohl das Ziel dasselbe sein sollte – nämlich Naturschutz, Artenvielfalt, Klimaschutz.

Greenpeace-Vertreterin Ursula Bittner in der
Greenpeace-Vertreterin Ursula Bittner in der "ZiB 2".
Screenshot: ORF ON

Strassers Enttäuschung und Bittners Blick in die Zukunft

Bauernbund-Präsident und ÖVP-Abgeordneter Georg Strasser will auf Wolfs Frage nach seinem größten Problem mit dem Gesetz nicht gleich antworten, er holt zunächst aus, spricht über seine persönliche Enttäuschung über Gewessler, über den "Rechtsbruch", über die "rote Linie", die überschritten worden sei. Dann will er "genau in den ländlichen Raum hineinschauen", spricht die Ziele des Gesetzes an, kritisiert, dass keine Wege und keine Maßnahmen dorthin vorgegeben seien. "Wir haben Sorge, wir haben große Sorge, dass das die Lebensmittelproduktion in Österreich beeinflusst", bringt er das vielzitierte Angstargument. Er geht davon aus, dass die Lebensmittel teurer werden oder wir "in eine Exportfalle tappen".

Greenpeace-Expertin Ursula Bittner hält das Renaturierungsgesetz für einen "Meilenstein", 80 Prozent der geschützten Flächen seien in einem sehr schlechten Zustand. Dadurch sei die Ernährungssicherheit nicht gegeben, "wenn wir jetzt nicht vorausschauend agieren und präventive Maßnahmen setzen". Bodenversiegelung sei eine richtige Bedrohung, auch für die Landwirtschaft. Das Renaturierungsgesetz gebe Rahmen vor, für die Umsetzung seien dann die Nationalstaaten zuständig. Hier will Bittner alle einbezogen wissen, "die Regierung wird mit verschiedenen Akteurinnen und Akteuren gemeinsam mit der Landwirtschaft entwickeln, wie die Ziele erreicht werden. Da werden die Bauern auch nicht alleine gelassen", beruhigt sie.

Bauernbund-Präsident und ÖVP-Abgeordneter Georg Strasser.
Bauernbund-Präsident und ÖVP-Abgeordneter Georg Strasser.
Screenshot. ORF On

Strasser nickt kurz, macht aber noch einmal auf den aus seiner Sicht "Konstruktionsfehler des Gesetzes aufmerksam". Er spricht von einem Gesetz "von oben herab". Die Wege dorthin, der rechtliche Rahmen und auch die Finanzierung seien nicht gesichert. Er will – aus Bauernbund- und ÖVP-Sicht – Anreizsysteme. Er will sich nicht unterstellen lassen – das hat hier in der ZiB 2 übrigens weder Wolf und Bittner gemacht –, dass "wir mit der Ökologisierung nichts am Hut hätten". Strasser fordert "andere Maßnahmen und nicht die Keule aus Brüssel". Nicht nur die ÖVP-Landeshauptleute, auch die SPÖ-Landesparteichefs Doskozil und Dornauer hätten ein Problem mit diesem Gesetz.

ZIB 2: Diskussion über Renaturierungsverordnung
ORF

Bittner versucht es mit einer einfachen Erklärung: Das Gesetz schaffe es, Gebiete, die in einem schlechten Zustand sind, in einen guten Zustand zu versetzen. "Und da können Sie wohl nichts dagegen haben", denn gerade die Landwirtschaft sei extrem abhängig von der Natur. Strasser versucht in seiner Antwort das Thema herunterzubrechen. "Stellen Sie sich vor, Sie sind Landwirtin", bittet er Bittner, "Sie haben einen Wald. Dort sind Einschränkungen oder Stilllegungen geplant. Dann schneidet man Teile des Einkommens weg", malt der den Teufel an die Wand. Das sei Humbug, "denn nur ein bewirtschafteter Wald ist ein wirklich klimaschonender Wald".

Bittner bringt hier den Borkenkäfer ins Spiel, "weil eben der Wald nicht nachhaltig bewirtschaftet wurde". Schon jetzt seien 80 Prozent der Landwirtinnen und Landwirte in den "Öko-Maßnahmen drinnen", Österreich werde Ziele bis 2030 also relativ schnell erreichen. '"Aber es ist noch nicht genug", so Bittner. Das würde uns absichern gegen die Klimakrise, gegen die Artenkrise, bedeute auch Ernährungssicherheit, weniger Dürren, weniger Überschwemmungen.

Insekten und Umdenken

Hier zitiert dann Strasser eine Studie des Landwirtschaftsministeriums, wonach "die Insekten in den letzten 30 Jahren stabil geblieben sind. Trotz Klimawandel." Er will also "am Boden der Wissenschaft" bleiben. "Schützen durch Nützen", sagt Strasser, "ein bewirtschafteter Wald ist ein klimafitter Wald." Wir müssten uns anpassen, "dogmatische Themen" wie jetzt im Renaturierungsgesetz vorgeschrieben seien "nicht unser Fall". Noch einmal bemüht Strasser "die Keule aus Brüssel".

Strassers Wissenschaftsargument ist für Bittner dann freilich eine gute Vorlage. "Die Wissenschaft hat sich klar für dieses Renaturierungsgesetz ausgesprochen", repliziert sie folgerichtig. Es gebe kaum Stimmen gegen das Gesetz, außer jenen aus der Landwirtschaft und der ÖVP. "Da braucht es ein Umdenken, sonst werden wir in den nächsten Jahren massive Probleme haben." (Astrid Ebenführer, 19.6.2024)