Blick in den Saal des neuen Opernhauses Nest.
APA/EVA MANHART

Werde er da und dort und auch privat gefragt, so Staatsoperndirektor Bogdan Roščić, welche Zielgruppe die Wiener Staatsoper eigentlich zu bedienen habe, sei seine Routineantwort: "Die Staatsoper darf keine Zielgruppe haben! Sie muss für alle da sein." Gleichzeitig aber stehe, so der Direktor, die Realität seines Repertoirehauses dieser ehrenwerten Absicht ziemlich im Wege. Dadurch werde nämlich eine Zielgruppe "schlecht behandelt", nämlich die Jugend.

Stimmt natürlich nicht ganz. Das gibt auch Roščić zu. Es gab das hübsche Opernzelt auf der Dachterrasse des großen Hauses in der Direktionsphase von Ioan Holender oder das recht enge Kellertheater in der Walfischgasse, das Roščićs Vorgänger Dominique Meyer forcierte. Letztlich aber gab es an beiden Plätzen Oper zu erleben, die mit infrastrukturellen Beengungen und Kompromissen zu leben hatte.

Eröffnung im Dezember

Die Neue Staatsoper – kurz Nest genannt –, jene neue Spielstätte, die am 6. Dezember feierlich eröffnet wird, soll hingegen als fünftes Wiener Opernhaus luxuriöse Rahmenbedingungen bieten. Der neben dem Wiener Musikverein gelegene Flügel des Künstlerhauses präsentiert in der ersten Spielzeit an die 100 Veranstaltungen. Der erste Eindruck: Das Haus mit 248 Sitzplätzen, welche dynamisch aufsteigend angelegt wurden, dürfte den meisten Zuschauern das Gefühl geben, die Bühne gleichsam aus der Vogelperspektive zu erleben.

Was von oben zu sehen ist? Ein Spielraum, der an die 85 Quadratmeter Platz für Opernideen bietet. Hinter- oder Seitenbühne sind ihm gegeben, es existiert auch ein Orchestergraben, in dem das Bühnenorchester des großen Hauses musizieren wird. Auch bietet die Neue Staatsoper einen Workshopraum für 30 Personen.

Zum inhaltlichen Konzept: Im Gegensatz zum Haus am Ring, das noch immer, wenngleich etwas aufgeweicht, ein Repertoiresystem pflegt (tägliches Spielen), wird es im neuen Haus ein Stagioneprinzip geben, das durch Wiederaufnahmen ergänzt wird.

Viele neue Werke

Das Programm umfasst zahlreiche Uraufführungen. Zum Start (7.12.) gibt es Sagt der Walfisch zum Thunfisch von Thierry Tidrow (Regie: die designierte TAG-Chefin Sara Ostertag). Es folgen die Elektrischen Fische von Hannah Eisendle (von zehn bis 14 Jahren).

Das Nest soll allerdings auch offen für experimentelle Formate sein. In diesem Sinne wird die Theatergruppe Nesterval mit 16 Schauspielerinnen und Schauspielern das gesamte Haus mit Richard Wagners Götterdämmerung immersiv bespielen (und dies für Menschen ab 16 Jahren). Der Leiter der Gruppe Martin Finnland zeigte sich überrascht über das Engagement. "Man denkt bei Nesterval an wahnsinnig viele Standorte in der Stadt, die man bespielen könnte – an die Staatsoper bisher sicher nicht ..."

Glanzvoll und glamourös

Besonders spannend dürfte auch das ab 16 Jahren empfohlene Stück Consistent Fantasy Is Reality des türkischen Popstars Gaye Su Akyol werden. Für Roščić ist es ein Beitrag aus der "glitzernd-glamourösen" Musiktheaterecke. Auch die Uraufführung von Lee Miller in Hitler's Bathtub von Maarten Seghers wird Regisseur Jan Lauwers sicher nicht nur für jugendliches Publikum gestalten. Es geht um Lee Miller, die Fotografin, Topmodel in New York, Surrealistin in Paris und Kriegsberichterstatterin im Zweiten Weltkrieg war.

Nicht zu vergessen Ballett und viele andere Formate: Martin Schläpfer choreografiert Prokofjews Peter und der Wolf (ab sechs Jahren). Es gibt einen Opernquiz mit Bariton Georg Nigl, der zusammen mit Nicholas Ofczarek auch eine Schubertiade veranstalten wird. Das Format Oper, anim iert stellt wiederum bekannte Opern vor und lässt sie mittels gezeichneter, animierter Videoprojektionen erzählen. Zudem gibt es inszenierte Komponistenporträts.

Wichtig: Die neue Spielstätte bietet den "Seiteninstitutionen" des großen Hauses ein Betätigungsfeld. Der neue Ort wird auch für die juvenilen Gruppen des Hauses am Ring – also die Opernschule, das Opernstudio, die Ballettakademie und die Jugendkompanie – Auftrittsmöglichkeiten eröffnen.

Es wurde teurer

Das ganze Projekt war mit 20 Millionen Euro geplant worden, Corona, Inflation und Kostensteigerungen erhöhten allerdings die Summe. Die Adaptierungskosten von nun letztendlich 25 Millionen Euro werden fast vollständig von Mäzen Hans Peter Haselsteiner und seiner Immobilienfirma Strabag getragen. Fünf Millionen Euro steuert das Kulturministerium bei. Der laufende Opernalltag, der im Dezember startet? Die Betriebs- und Produktionskosten in Höhe von 2,5 Millionen Euro trägt man selbst mittels Umschichtungen und Einsparungen, mittels Kartenverkaufs, Sponsorings, Vermietungen und des offiziellen Freundeskreises. Mietkosten – beim unbefristeten Vertrag – entstehen keine.

Kinderadäquate Formate sollen dennoch nicht aus der großen Staatsoper verschwinden. "Man kann sicher nicht sagen: Alles, was nach Jugend und Risiko aussieht, wandert hierher", so Roščić. Einiges aber schon. (Ljubiša Tošić, 18.6.2024)