Tom Hardy (links) und Austin Butler in "The Bikeriders". Auch die Fahrer müssen tanken.
AP/Kyle Kaplan

Das Motorrad feiert gerade eine Renaissance im Kino. Während anderswo nur mehr populistisch dem Röhren des Verbrennermotors gehuldigt wird, darf auf der Leinwand noch ohne Rücksicht auf Klimawandel Gas gegeben werden. Es muss nicht gleich die benzingetränkte Postapokalypse von Mad Max und Furiosa sein. Auch der Ausflug ins Chicago der 1960er, den The Bikeriders unternimmt, liefert nostalgische Pferdestärken.

Doch wie immer bei der Sehnsucht nach früheren Zeiten ist Vorsicht geboten. Die Titelhelden dieser Geschichte sind The Vandals. Ihre Mitgliedschaft in diesem Outlaw Motorcycle Club zeigen sie mit speckigen Lederjacken und dreckigen Jeanswesten voller Aufnäher. Als sich die junge Kathy in eine Bar voller Vandals verirrt, schlägt ihr wenig überraschend eine geballte Ladung toxischer Maskulinität entgegen – bis ihr Auge am übercoolen Benny hängenbleibt. Eine Liebe auf den ersten Blick als filmische Behauptung. Benny fährt sie nach Hause zu ihrem Vorstadthäuschen, parkt sein Bike gegenüber und wartet so lange davor, bis ihr Freund entnervt das Weite sucht. Machoromantik pur, wie auch Kathy selbst bald begreift: "I've had nothing but trouble since I met Benny. It can't be love, it must be stupidity."

So sehr der Film auf den ersten Blick nach dem feuchten Traum eines bierbäuchigen Harley-Fans klingt: Die Vorlage ist fast schon dokumentarisch. Von 1963 bis 1967 unternahm der New Yorker Fotojournalist Danny Lyon immer wieder eine Expedition nach Chicago. Gemäß dem Credo des New Journalism tauchte er voll in die Welt der Motorradgangs ein. Die Bilder und Interviews seines populären Fotobuchs The Bikeriders lieferten die ungewöhnliche Inspiration für den Film. Einige Filmfiguren entspringen direkt den Fotografien.

Mit dem Fuß auf dem Gaspedal ins Kriminal

Auf dieser Grundlage erzählt Jeff Nichols die fiktive Dreiecksgeschichte von Kathy, Benny und der Vaterfigur Johnny. Der ältere Anführer der Vandals, gespielt von "Mad Max" Tom Hardy, will den jungen Benny als Nachfolger installieren. Kathy will ihren Rider zähmen. Benny aber lässt sich von beiden nicht einfangen. Die britische Darstellerin Jodie Comer holt viel aus dieser Frauenfigur heraus, nicht nur, was den Dialekt betrifft. Als eine Art Erzählerin liefert sie in den Interviews mit Danny Lyon ihre Perspektive auf den Männerbund.

Diese Unterbrechungen reduzieren gleichzeitig die Dramatik der doch eher rudimentären Geschichte und geben dem Film die nötige kritische Distanz. Und die braucht es. Denn der Club wächst und entwickelt sich langsam, aber sicher zur kriminellen Biker-Gang. Es ist der unausweichliche Crash dieser Spritztour. Dannys Reportage ist der Versuch, das romantische Gefühl auf dem Höhepunkt einzufangen. Den Outlaws geht es um Zugehörigkeit und Freiheit. Von diesen widersprüchlichen Gefühlen erzählt der analog gedrehte Film.

IGN

Und noch etwas wird klar, auch das Kino spiegelt seine Rollen zurück, wie Regisseur Nichols bekennt: "Es gab zwei Fixpunkte der Popkultur, die ich in die Geschichte einbauen wollte", sagt Nichols. "Der erste ist The Wild One mit Marlon Brando, der das Vorbild für Johnnys Figur darstellt. Der andere ist Easy Rider." Dazu kommt noch Benny als "Rebel Without a Cause" dieser Story, den Hauptdarsteller Austin Butler zusätzlich mit der Coolness seiner Kinorolle als Elvis Presley auflädt. Eine popkulturelle Spritztour durch die Mythologie der amerikanischen Gegenkultur.

Doch anders als in Easy Rider sitzen hier keine kalifornischen Hippie-Rebellen im Sattel, die das koloniale Projekt von West nach Ost rückwärts erkunden. Gegenkultur ist kontextabhängig. Die Vandals stammen aus der Arbeiterklasse im Mittleren Westen der USA – und wären heute vielleicht Trump-Wähler. Damals waren sie die Außenseiter einer konservativen Gesellschaft. The Times They Are a-Changin'. (Marian Wilhelm, 19.6.2024)