Sebastian Klein, mit dem Verkauf der App Blinkist vielfacher Millionär, investiert in Journalismus, dessen Finanzierung gleich in mehrere Krisen geraten ist. "Da kann man mit Geld zumindest Teil der Lösung sein", sagt Klein im Gespräch mit dem STANDARD: "Ich bin zu Geld gekommen und will, dass dieses Geld etwas Positives für die Gesellschaft macht. In zehn Jahren ist es vielleicht zu spät, darüber nachzudenken. Es macht auch viel mehr Spaß, als in irgendwelche E-Commerce-Start-ups zu investieren."

In Österreich hat gerade Marlene Engelhorn einen von ihr einberufenen "Guten Rat für Rückverteilung" einen großen Teil ihres geerbten Millionenvermögens auf 77 Initiativen verteilen lassen. Die 25 Millionen Euro gehen an Initiativen für Klima und Umwelt, leistbares Wohnen, Gesundheit und Soziales, Integration und Bildung.

Klein indes investiert Verkaufserlöse aus der App in journalistische Projekte und Unternehmen.

Investiert in Journalismus: App-Millionär Sebastian Klein (Karma Capital, Neue Narrative).
Sebastian Klein

Millionenerlöse aus Blinkist-Verkauf

Sebastian Klein hat die App Blinkist mitentwickelt, die Sachbücher knapp zusammenfasst, und verkaufte sie 2023 für einen dreistelligen Millionenbetrag. 90 Prozent dieses Geldes investiert der Psychologe und frühere Strategieberater bei der Boston Consulting Group in gemeinnützige Engagements und Unternehmen. Er gründete ein Medienunternehmen in Berlin, Neue Narrative, ein Magazin für eine neue Arbeitswelt, und den gemeinwohlorientierten Fonds Karma Capital.

Karma Capital ist auch einer der Gründungspartner beim großen, von Stiftungen wie Augstein, Bucerius und Erste gegründeten Medienfonds Media Forward Fund. In Wien erklärte er zuletzt bei den Impact Days in einem Investor's Table und auf einem Podium, wie wesentlich Investments in Journalismus, journalistische Projekte und die nachhaltige Finanzierung von Journalismus seien. An der Seite des Wiener Beraters und Medienunternehmers Milo Tesselaar, der seine Initiative "Invest in journalism now" vertritt, erklärte er dort und im Gespräch mit dem STANDARD, warum es in Journalismus zu investieren gilt.

"Will, dass das Geld etwas Positives für die Gesellschaft macht"

Warum braucht es solche Initiativen und Fonds? "Ich bin zu Geld gekommen und will, dass dieses Geld etwas Positives für die Gesellschaft macht", sagt Klein: "Ich komme selbst aus dem Medienbereich, der nach meiner Wahrnehmung unterfinanziert ist. In den vergangenen 20 Jahren sind 80, 90 Prozent des Geschäfts zu den digitalen Plattformen gewandert. Für die Demokratie wichtige, journalistische Medien sollen mit Förderungen von 20.000 Euro oder auch 100.000 Euro mit diesen Plattformen konkurrieren. Das geht nicht. Kleine, unabhängige Medienfirmen in meinem Umfeld in Berlin versuchen ohne Budgets mit Firmen zu konkurrieren, die im Jahr 20 Millionen Marketingbudget haben. Da kann man mit Geld zumindest Teil der Lösung sein."

Braucht es auf Sicht Philanthropen, um Journalismus zu finanzieren? Das lässt sich so kategorisch nicht beantworten, sagt Tesselaar: "Neben traditionellen Medien, deren Geschäftsmodelle unter Druck stehen, braucht es ergänzend auch neue Journalismus-Organisationen, die sich durch Abos oder Mitgliedsbeiträge, mit oder ohne Werbung, nachhaltig und selbsttragend finanzieren lassen. Das ist kein philanthropisches Modell im laufenden Betrieb. Aber damit es Kapital für Gründungen und die Entwicklung von Geschäftsmodellen gibt, über die bestehenden Medien hinaus, dafür sitzen wir hier."

"Medien nicht der Markt für maximale Rendite"

Klein: Für mich ist das ein Spektrum zwischen Philanthropie, also ich gebe Geld weg, und Investment in maximale Rendite, möglichst viel rausziehen. Nur die eine Hälfte dieses Spektrums brauchen wir für journalistische Produkte. Ich glaube nicht, dass es journalistische Gründungen braucht, die Kapital maximal extrahieren wollen. Medien sind, glaube ich, nicht der richtige Markt dafür. Aber alles zwischen Philanthropie und einer moderaten Renditeorientierung kann helfen, diesen Teil der Wirtschaft zu stärken.

STANDARD: Welche Medien abseits der klassischen Häuser sehen Sie als Vorzeigebeispiel für solche neuen, erfolgreichen Modelle für Journalismus?

Klein: Ich kenne keines, auch weil 20 Jahre wenig passiert ist und nichts investiert wurde. Alle reichen als Beispiel Zetland aus Dänemark herum. Das ist der Vorzeige-Case. Es gibt noch einige kleinere mit ein bis zwei Millionen Euro Umsatz, wo das funktioniert. Einen so richtig erfolgreichen Case sehe ich nicht.

STANDARD: Ich präzisiere erfolgreich als "neue, nachhaltige Modelle von Gründungen für Journalismus".

Tesselaar: Für die Beurteilung von Nachhaltigkeit nachhaltigen Geschäftsmodellen ist es vielleicht zu früh. Die Republik in der Schweiz ist sicher auch ein Beispiel: mit philanthropischem Geld und Crowdfunding in der Gründung, dann durch Mitgliedschaftsbeiträge im laufenden Betrieb finanziert.

STANDARD: Auch schon mit einigen wirtschaftlichen Herausforderungen auf dem Weg.

Tesselaar: Aber es gibt sie noch. Oder De Correspondent in den Niederlanden, die waren bei der Gründung 100 Prozent crowdfunded. Aber es gibt tatsächlich wenige explizite Modelle. Es braucht die Leuchtturmmodelle, dafür braucht es jetzt Kapital.

"Die müssen noch zeigen, ob sie das zu einem Geschäftsmodell umbauen können."

Klein: Ich habe in den letzten fünf Jahren mit Neue Narrative ein Medienunternehmen aufgebaut, in einer Nische der Wirtschaft, mit hohem Nutzwert, auch mit Investorengeld. Das funktioniert schon, aber wirklich in einer Nische, nicht General Interest. In Deutschland gibt es natürlich noch die Recherche-Plattform Correctiv, die viel philanthropisches Kapital bekommen hat und damit zeigen konnte, was da geht. Die müssen noch zeigen, ob sie das zu einem Geschäftsmodell umbauen können.

STANDARD: Derzeit kommt in diese Form der Medienförderung gerade viel Schwung, scheint mir: Datum-Herausgeber Sebastian Loudon arbeitet an einer solchen Stiftung, der Media Forward Fund startet in Deutschland, Österreich und der Schweiz, Karma Kapital Capital ist allein aktiv und auch hier dabei.

Tesselaar: Es gibt parallele und auch gemeinsame Ansätze, mit einem Ziel, privates Kapital für Journalismus-Gründungen und Entwicklungen zu mobilisieren. Das können Philanthropen sein, Impact-Investoren, aber auch Menschen aus wohlhabenden Familien, Family-Offices, Stiftungen, die bisher nicht daran gedacht haben, im Journalismus aktiv zu sein. Es ist eh schon spät, aber: Jetzt ist der Moment, darüber nachzudenken.

Klein: Wir, also Karma Capital, investieren einerseits selbst, andererseits geben wir philanthropisches Kapital in den Media Forward Fund. Ich will da kein Blackrock-artiges Riesending bauen. Mir geht es darum, dass insgesamt das richtige Kapital und möglichst viel davon in diesen Bereich fließt.

STANDARD: Was ist das richtige Kapital?

Klein: Im Spektrum von Philanthropie bis zu moderaten Renditen ist das für mich: regeneratives Kapital, das Gegenteil von extraktivem Kapital. Das heißt: zum einen keine Kontrolle, also keine Stimmrechte – sonst hast du potenziell immer Beeinflussung auf Basis einer bestimmten Agenda –, zum anderen keine hohe Renditeerwartung und zum Dritten eine langfristige Orientierung. Das ist das Gegenteil ist von Private Equity und Venture Capital, die am anderen Ende des Spektrums sehr hohe Renditen, möglichst viel Kontrolle und kurzfristig möglichst viel wieder rausextrahieren wollen.

Tesselaar: Keine bis niedrige finanzielle Renditeerwartung ist wichtig, weil es um gesellschaftliche Rendite geht.

"Entweder du willst eine Riesenrendite, oder du kannst etwas Gutes für die Gesellschaft machen"

Klein: Viele glauben: Ich kann in gesellschaftlichen Impact investieren und werde dabei auch noch superreich. Man muss sich für eines davon entscheiden. Entweder du willst eine Riesenrendite, oder du kannst etwas Gutes für die Gesellschaft machen. Beides gleichzeitig zu maximieren ist vielleicht eine nette Story, aber ich glaube nicht, dass es geht.

STANDARD: Gibt es die über den Kreis der Media-Forward-Investoren hinaus? Wo sind die Engelhorns des Journalismus? Sind Sie eine?

Klein: Die gibt es, aber wir müssen sie noch überzeugen.

Tesselaar: Oder vorher noch: auf die Idee bringen, dass es das Thema Journalismus-Investments gibt.

"In Deutschland beginnt die Diskussion gerade, welche Verantwortung mit Vermögen einhergeht."

Klein: In Deutschland beginnt die Diskussion gerade, welche Verantwortung mit Vermögen einhergeht. Vermutlich wie in Österreich wird das meiste Vermögen vererbt. Es gibt viele Menschen, die hunderte Millionen bis Milliarden erben. Wenn die sich fragen: "Was kann ich für die Gesellschaft tun?", dann ist das relativ einfach beantwortet: Du kannst dein Kapital dorthin schieben, wo es Gutes macht und nicht nur Rendite erzeugt. Die meisten müssen wir noch davon überzeugen, dass sie das machen.

Tesselaar: Demokratie sichert unseren Wohlstand. Menschen mit Interesse am Wirtschaftsstandort müssen ein Grundinteresse haben, in Medienvielfalt und gute Strukturen für Journalismus zu investieren. Das sichert Demokratie und den Wirtschaftsstandort und damit Wohlstand. All unsere Themen von Sicherheit, Klimaschutz bis Ungleichheit werden sich nur mit mehr Journalismus und nicht mit weniger lösen lassen. Jemand muss sich professionell und hauptberuflich damit beschäftigen, Entwicklungen zu erklären und Zusammenhänge aufzuzeigen.

"Notwendig sind 50, 100, 200 Millionen im deutschsprachigen Raum für die nächsten fünf Jahre", sagt Medienunternehmer Milo Tesselaar, der selbst gründen will.
Alois Gstöttner

STANDARD: Wir erleben gerade in Deutschland wie in Österreich eine Hochkonjunktur von extrem rechts stehenden Bewegungen, die an starkem Journalismus wenig Interesse haben und sehr viel Interesse an parteiischen Plattformen haben.

Klein: In Deutschland fließt wahnsinnig Geld in diese Aktivitäten. Die AfD hat zweistellige Millionenbeträge für Kampagnen auf Tiktok und anderen Plattformen, die oft auch noch so tun, als wären sie Journalismus. Dem nichts entgegenzustellen bedeutet automatisch weniger Journalismus und mehr Propaganda. Mir geht es um Geld für seriösen Journalismus.

Tesselaar: Es geht darum, für seriösen Journalismus neue Organisationsstrukturen, eine Gründungswelle von neuen Journalismus-Start-ups zu ermöglichen, die sich dem Qualitätsjournalismus verschreiben.

STANDARD: Wir reden schon eine Weile über Geld, manchmal auch viel Geld für Journalismus. Wovon sprechen wir da?

Klein: Karma Capital kann in diesen Bereich erst einmal ein bis zwei Millionen Euro investieren. Das ist ein Anfang. Es ist ja fast traurig, dass man mit ein bis zwei Millionen in diesem Feld schon ein relevanter Player ist.

Tesselaar: Notwendig sind 50, 100, 200 Millionen im deutschsprachigen Raum für die nächsten fünf Jahre. Alleine in Österreich bräuchte es zehn, 15, 20 Millionen für an die zehn Neugründungen journalistischer Organisationen, um jeweils über zumindest drei Jahre Strukturen aufzubauen, um eigene Reichweite und Vertrauen aufzubauen. Wenn das in den nächsten fünf bis sieben Jahren mobilisierbar ist, dann schaut die Welt ganz anders aus.

Klein: In Berlin werden im Jahr fünf Milliarden an Venture Capital investiert, in den ganzen Kram von Zalando bis Hello Fresh. In Mediengründungen wird vielleicht eine Million investiert. Das ist einfach zu klein.

"Wo sind Zielgruppen, die nicht mit Journalismus erreicht werden?"

STANDARD: Welche Mediengründungen bräuchte es aus Ihrer Sicht? Was fehlt?

Klein: Ich überlege mir jetzt nicht Geschäftsmodelle und Produkte. Ich will eher die Leute finden, die Ideen haben, wie die Medienwelt in Zukunft aussehen könnte und denen mit Kapital helfen, etwas aufzubauen. Ich selbst fände es wichtig zu schauen: Wo sind Zielgruppen, die nicht mit Journalismus erreicht werden? Ich finde Projekte relevanter, die nicht mich als Zielgruppe haben, sondern jemand, der oder die gar nicht mehr von Journalismus erreicht wird. Das kann Lokaljournalismus in einer Region sein, die keine regionalen Medien mehr hat, oder Zielgruppen, die sich sonst nur auf Social Media informieren.

Tessselaar: Ich sehe viele Möglichkeiten bei neuen Formaten und in Themen und Zielgruppen-Nischen, die es in der Tiefe und vielleicht nicht tagesaktuell abzudecken gilt, von Sicherheitspolitik über Wirtschaft bis Lokaljournalismus u. v. m.

"In zehn Jahren ist es vielleicht zu spät, darüber nachzudenken"

STANDARD: Sie sind etwa mit einer Podcast-Produktionsfirma namens Oh Wow schon Medienunternehmer. Wollen Sie selbst gründen und betreiben?

Tesselaar: Ich habe 2007 als Herausgeber mit dem Biorama Magazin in der Wirtschaftskrise ein rein werbefinanziertes Medium mitbegründet und aufgebaut. Seit damals weiß ich: Ich will leserfinanzierte und nicht werbefinanzierte Journalismus-Produkte machen, die sich am Publikum und nicht am Werbekunden ausrichten. Ich bereite selbst gerade den Aufbau eines Zeitungsverlags neuer Art vor, um hochwertige, leserfinanzierte Journalismusprodukte auf den Markt zu bringen. Ich mache diese Initiative "Invest in journalism now" unter anderem auch aus eigener Notwendigkeit. Es braucht notwendigerweise neue Journalismus-Organisationen, dafür braucht es für entsprechende Gründungen, Kapital und damit langen Atem, um wie gesagt Reichweite und Vertrauen aufzubauen. Das ist notwendig für eine wirtschaftlich nachhaltige und sich selbsterhaltende Struktur, denn im Alltag ist hochwertiger Journalismus personalintensiv, kostet Geld und Zeit.

Klein: Es ist jetzt wichtig, Menschen zu mobilisieren, die auf Kapital sitzen. Viele von ihnen fühlen sich vielleicht gar nicht so wohl damit, was ihr Geld gerade macht. Das ist oft angelegt in Dinge, die unsere Gesellschaft nicht besser, sondern schlechter machen. Ich will nicht in zehn Jahren denken: Hätte ich 2024 doch mal angefangen, ein bisschen zu divesten und Sachen anders zu machen. Es ist Zeit, jetzt darüber nachzudenken, ob ich in meinem Portfolio nicht Platz für solche Investments habe. In zehn Jahren ist es vielleicht zu spät, darüber nachzudenken. Es macht auch viel mehr Spaß, als in irgendwelche E-Commerce-Start-ups zu investieren. (Harald Fidler, 20.6.2024)