"Der grüne Koalitionspartner hat sein wahres Gesicht gezeigt. Auf der einen Seite moralisierend bis zum Gehtnichtmehr und auf der anderen Seite sofort bereit, die Ideologie über Recht und Verfassung zu stellen": Es sind harte Worte, die Kanzler Karl Nehammer nach dem Ja von Umweltministerin Leonore Gewessler zum EU-Renaturierungsgesetz wählte. Wie ist das innenpolitisch einzuordnen? Dazu war Politikanalytiker Thomas Hofer zu Gast bei Armin Wolf in der ZiB 2. Wolf hätte dazu gerne mit einem ÖVP-Vertreter gesprochen, das wollten aber weder Karl Nehammer noch Karoline Edtstadler, Norbert Toschnig, Klubchef August Wöginger oder ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker. Auch von den ÖVP-Landeshauptleuten wollte niemand der Einladung folgen, wie Wolf zu Beginn aufzählt.

Analytiker Thomas Hofer war Montagabend zu Gast bei Armin Wolf in der
Analytiker Thomas Hofer war Montagabend zu Gast bei Armin Wolf in der "ZiB 2".
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Die Furcht der ÖVP

Die Situation sei einzigartig, das sei eine Zuspitzung in der Koalition, analysiert dann Thomas Hofer. Er bemüht ein Grillparzer-Motto, nämlich dieses hier: "Auf halben Wegen und zu halber Tat mit halben Mitteln zauderhaft zu streben". Die ÖVP und Nehammer hätten zwar die rechtliche Keule ausgepackt, aber die politischen Konsequenzen, die daraus logisch folgen würden, nicht gezogen. "Eine typisch österreichische Lösung", wie Hofer später dazu sagen wird. "Normalerweise wäre so was ja das sofortige Ende der Koalition", fasst Wolf zusammen.

Hofer zählt hier Nehammers Möglichkeiten auf: Er hätte beim Bundespräsidenten um Entlassung der Ministerin ansuchen können, er hätte eine Ministeranklage anstoßen können, er hätte das sofortige Ende der Koalition ausrufen können. All das aber hat Nehammer bekanntlich nicht gemacht. "Weil sich die ÖVP vor den Konsequenzen eines solchen Schritts gefürchtet hat", analysiert Hofer. Warum hat sich die ÖVP gefürchtet? "Einerseits wegen der Kanzlerpositionierung", Nehammer wolle als eine Art Stabilisationsanker dastehen. Und die ÖVP habe sich auch vor dem "freien Spiel der Kräfte" gefürchtet, hier würde es einige Themen geben, die der ÖVP wehgetan hätten. "Hier wollte die ÖVP nicht Spielball, nicht Passagier werden, sondern als Kanzlerpartei in diese Wahl gehen", so Hofer.

Den schon längeren Streit innerhalb der Koalition hätten beide Koalitionspartner dazu genutzt, sich in Richtung der eigenen Zielgruppen zu profilieren. ÖVP-Zielgruppen hätten das Gefühl, dass die Grünen als wesentlich kleinerer Koalitionspartner die Großen "am Nasenring durch die Arena führen".

ZIB 2: Politikberater Hofer zum Zwist in der Koalition
Fragen zum Koalitionsstreit beantwortet Politikberater Thomas Hofer.
ORF

Keine Überraschung

Hofer sei überrascht gewesen. Nämlich davon, dass die ÖVP überrascht war, dass Leonore Gewessler das Ja durchzieht. Hofer habe ihr diesen Schritt zugetraut, weil sie das etwa beim Lobautunnel ähnlich gemacht habe. Man hätte wissen können und auch wissen müssen, wie Gewessler abstimmt. "Sie hat das offen gesagt und beim Klimaschutz in der gesamten Legislaturperiode den einen oder anderen Punkt gemacht." So auch am Montag, sagt Hofer.

Wie sollen sich die zwei Parteien in den kommenden Monaten noch auf irgendetwas einigen? "Inhaltlich geht sicher nicht mehr viel", so Hofer. Er traut aber beiden Koalitionsspitzen den Pragmatismus zu, dass man etwa das Personalpaket – EU-Kommissar, OeNB, Richterpositionen – noch hinbekommt. (Astrid Ebenführer, 18.6.2024)