Ein symbolisches Bild: Jesús Gil Manzano in Action. Kylian Mbappés Nase war hier übrigens noch ganz, auch wenn seine Reaktion anderes vermuten ließe.
AFP/KENZO TRIBOUILLARD

Österreich ist mit einem 0:1 gegen Frankreich in die EM gestartet, bei dem nicht alle ÖFB-Kicker an ihre Leistungsgrenze kamen. Die Einzelkritik zum Auftakt:

Patrick Pentz: Herr Pentz, was halten Sie von Frankreich? "Alles." Der Bröndby-Goalie war Österreichs bester Mann, sein Goldpratzerl lag bei mehreren Flachschüssen goldrichtig. Gewann mehrere Eins-gegen-eins-Duelle mit Kylian Mbappé, was für einen Sterblichen laut ersten Hochrechnungen ziemlich bemerkenswert ist. Nur bei einem Steilpass auf Dembélé etwas voreilig im Rausgehen, fand aber auch da rechtzeitig den Retourgang. Mit dem Ball am Fuß wie immer der beste Nationalteam-Goalie seit eh immer. Beim Gegentor chancenlos, weil Maxi Wöber kein Franzose ist. Pentz garnierte seine Performance nach dem Match in der Interviewzone mit dreisprachiger Eloquenz.

Phillipp Mwene (bis 88.): Mwene hatte den spaßbefreiten Arbeitstag, den man als Außenpracker gegen Frankreichs Horizontalraketen zwangsweise hat. Der Linksverteidiger war oft gefordert und produzierte einige gute Momente. Zwei Aktionen vermiesten Mwenes Abend: In der 33. Minute kassierte er Gelb für ein relativ unnötiges Foul an Dembélé, dessen Dribbling wohl eh die Outlinie abgegrätscht hätte. Leitete das Gegentor dann mit einem unerklärlichen Fehlpass in den eigenen Strafraum ein und attackierte Assistgeber Mbappé in weiterer Folge zu halbherzig.

Maximilian Wöber (bis 59.): Schoss ein Tor bei einer Europameisterschaft. Leider ins falsche. Wöber hielt bei Mbappés scharfer Hereingabe den Kopf hin, dafür darf man ihm keinen Vorwurf machen. Für einige andere Aktionen schon eher: hier ein Missverständnis mit Mwene (8.), dort ein eingeschlafener Pass, dessen französische Konter-Beantwortung er aber gleich selbst abmoderierte. Kassierte für ein hartes, aber wichtiges Foul gegen Dembélé Gelb. Leistete sich trotz Verwarnung an der Outlinie einen leichten Check gegen Griezmann, das hätte bei diesem Schiedsrichter ins Auge gehen können. Bei dem in die Werbebande gecrashten Griezmann ging es übers Auge: Wöber bescherte dem ÖFB-Team quasi eine Minute Überzahl, während der Franzose seinen Franky-Schiemer-Gedenkturban bekam. Mbappé ließ den Innenverteidiger in der 55. Minute aussehen wie einen Sportgeher.

Kevin Danso: Der Mann ist präsenter als eine Sonderwerbeform auf der STANDARD-Startseite – und für den Gegner mindestens genauso herausfordernd. Nur in der 55. Minute verlor der Noch-Lens-Innenverteidiger bei einem langen Ball die Orientierung und leistete sich dann noch einen patscherten Tacklingversuch gegen Mbappé. Ließ sich von Dembélés Übersteigern nicht in den Kreisverkehr schicken, sondern blieb brav vor Gegner und Ball (72.), kochte Mbappé ab wie ein Packerl Ramennudeln (77.), haxelte im Finish den konternden Olivier Giroud (93./Gelb) und bescherte Mbappés Nase per Schulterzucken eine Maske für die kommenden Spiele. Steirerbluat n'est pas du Himbeersaft.

Bussi, Baby.
AFP/KENZO TRIBOUILLARD

Stefan Posch: Siehe Mwene, Phillipp. Spaß geht anders. Österreichs rechte Seite wurde von den Franzosen etwas weniger ins Visier genommen, dafür ging auch nicht viel nach vorne. Posch verhinderte in Minute 12 geschickt einen Konter, indem er Goalie Maignan vor die Linse schurlte. Die Flanken des Bologna-Legionärs hatten wechselweise zu wenig Präzision oder einen, also zu viele, Franzosen im Weg. Schoss dem zweiten Rang der Österreich-Kurve einen Ball zu, statt ihn in den Strafraum zu schupfen (48.).

Florian Grillitsch (bis 59.): Der Profiteur der einzig wirklich spannenden Startelf-Entscheidung hielt seine große Stärke vor den kommenden Gegnern erfolgreich geheim. Grillitsch gilt als Passgenie, als Quarterback mit Infrarotblick. Der Hoffenheim-Profi sollte bei der einstudierten Anstoßvariante den langen Ball schlagen, was verunglückte. Wenn Grillitschs ungebrochener Wille der Beat seiner ersten Halbzeit war, waren regelmäßige Fehlpässe die Lyrics. "Grillo" übernahm Verantwortung, davon profitierten zu oft die Franzosen (8., 10., 15., 27., 42., 49., ohne Anspruch auf Vollständigkeit). Musste sich in der 21. Minute erstmals behandeln lassen. Erdolchte einen vielversprechenden Angriff, weil er nach einem Foul liegen blieb und als Anspielstation fehlte. Wurde im späteren Verlauf immer zaghafter attackiert, brachte seine Pässe dann wieder verlässlicher an.

Nicolas Seiwald: Mehr gewonnene Zweikämpfe als ein irischer Wirtshausschläger an St. Patrick's Day (acht von neun). Sammelte Kugeln wie Pac-Man, nur ohne Angst vor französischen Gespenstern. Highlight: holte sich griechisch-römisch einen Ball von Griezmann. Bekam von den Franzosen bemerkenswert oft einen freien Stellplatz im Mittelfeld und nutzte den auch gerne. Wirklich denkwürdige Impulse nach vorne konnte der Kuchler aber nicht liefern, der Sicherheitspass bleibt das Mittel der Wahl. Das relativiert auch die Passquote von 92 Prozent.

Am Ende dieses Zweikampfs stand tatsächlich Ballbesitz Österreich.
AP/Martin Meissner

Marcel Sabitzer: Der Champions-League-Finalist kriegt wie eh immer das Fleißpickerl ins Mitteilungsheft, unterm Strich war es aber eine Frustpartie. Wer kann sich an eine seiner acht Flanken erinnern? Genau. Sabitzers Standards waren generell eher unlegendär. In der Offensive immer wieder für eine flotte Kombination gut. Gegen mindere Defensivabteilungen hätten da vielleicht ein paar Highlightszenen rausgeschaut, aber Frankreich ist immer noch Frankreich, auch wenn Marine Le Pen das anders sieht. Hätte allen Krampf mit einer einzigen Aktion fast ausradiert: Sein traumhafter One-Touch-Volleyassist für Baumgartners Topchance wäre mit Trompeten und Fanfaren in Österreichs Fußballgeschichte gegossen worden. Elender Konjunktiv.

Christoph Baumgartner: Der sonst so flotte Baumgartner war gegen Frankreich einige Male eine Zehntelsekunde zu langsam. Nach einem hohen Laimer-Ballgewinn verschlief er die Möglichkeit eines schnellen Einwurfs, hie und da ging er einem müden Pass nicht entschlossen genug entgegen. Tanzte sich in der 24. Minute fein in den Sechzehner, dort war ein Franzose zu viel. Vergab in der 36. Minute die große Chance zur Führung, als er alleine vor dem Tor an Maignan scheiterte. Wanderte wie ein feiernder Holländer mal nach rechts, mal nach links. Sprang ohne Rücksicht auf Verluste in einen zu steilen Lochpass, krachte mit Maignan zusammen und kassierte eine vertretbare Gelbe.

Konrad Laimer (bis 91.): Musste anfangs auf dem rechten Flügel ran, dort schien er mit seinen Nebenleuten Abstimmungsschwierigkeiten zu haben, unter anderem entwischte Rabiot einmal gefährlich (24.). Das Zusammenspiel mit Posch war offensiv wenig ertragreich, wofür man sich die Verantwortung teilte. Laimer bleibt ein steter Quell der Ballgewinne in der gegnerischen Hälfte, wurde in seinem Faible für Doppelpässe mehrfach von Teamkollegen im Stich gelassen. Leitete mit einem gewonnenen Zweikampf eine gute Konterchance ein, leitete sie mit einem fehlgeleiteten Kopfball zum Goalie selbst aus. Der Bayern-Stammspieler zeigte nach dem Dreiertausch nach einer Stunde, dass er im defensiven Mittelfeld zu Hause ist, und war trotz schwindender Kräfte ein Aktivposten. Spielte in der 79. Minute den richtigen Pass auf den startenden Baumgartner, das aber zu steil. Streichelte Mbappés Visage etwas zu rustikal und kassierte dafür Gelb (84.).

Michael Gregoritsch (bis 59.): Vor dem Tor komplett ohne Auftrag, auch auf den Side-Stages eher blass. Stach einen guten Konteransatz per Fehlpass ab (20.), brachte aber auch immer wieder in schwieriger Lage einen Pass an und bespielte mangels Platz im Sturmzentrum auch freiwillig andere Räume. Leitete die Baumgartner-Chance mit einer hübschen Flanke ein.

Marko Arnautovic (ab 59.): Wurde angeblich eine halbe Stunde vor Abpfiff eingewechselt. Es war nicht seine Partie, er trat bei Angriffen eher die Bremse als das Gaspedal. Spielte bei einer aussichtsreichen Offensivszene den vorhersehbarsten Pass, was aber keinen Unterschied machte, weil er eh verhungerte. Es war nicht sein letzter Fehlpass. Hätte tief in der Nachspielzeit noch berühmt werden können, hätte er bei Prass' abgefälschtem Kopfball noch geschwind den Fuß hingehalten.

Patrick Wimmer (ab 59.): Quirlte brav, bleibt ein guter Input, wenn das ÖFB-Team Bewegung braucht. Wirklich große Szenen waren aber nicht dabei.

Gernot Trauner (ab 59.): Müsste eigentlich der langsamste Innenverteidiger in Österreichs Kader sein, davon merkte man aber nichts. Trauner ließ sich nur einmal ernsthaft überdribbeln, spielte sonst eine staubtrockene Partie ohne größere Ambitionen im Spiel nach vorne. Das ist gegen Frankreich völlig in Ordnung, da braucht es hinten ein gutes Schnitzel und kein Kaviarsoufflé mit Trüffelspänen.

Alexander Prass (ab 88.): Sehr kurz eingesetzt, dafür aber auch mit Dampf nach vorne durchaus auffällig.

Romano Schmid (ab 91.): Zu kurz eingesetzt.

Jesús Gil Manzano: Lassen wir Österreichs Kicker sprechen. "Jede Fifty-fifty-Entscheidung war gegen uns", sagte Grillitsch. "Bei einem Turnier, wo es nach zwei Gelben Karten eine Sperre gibt, kann man schon cleverer entscheiden", sagte Pentz. "Unfassbar, wie man vor dem 0:1 keinen Eckball geben kann", sagte Gregoritsch.

Lassen wir die Fakten sprechen. Minute 7: Manzano pfeift einen Österreich-Vorteil grundlos ab. Minute 29: Dembélé rutscht am Ball aus, Manzano pfeift. Minute 35: Die ganze Düsseldorfer Arena inklusive Ausschankpersonal, Greenkeeper und den Securitys beim Stadioneingang sieht, dass Österreich nach Baumgartners Großchance ein Eckball zusteht. Das Schiedsrichterteam: Abstoß. Manzano verteilte Gelbe Karten wie Halloween-Süßigkeiten, insgesamt erwischte es fünf Österreicher und zwei Franzosen.

Es ist nicht die Österreich-Brille, auch das einst als Twitter bekannte Schiedsrichterkritikexpertenkomitee war sich einig: Das war eine verheerende Leistung. Schiri, wir wissen, wo dein Auto steht. Bitte fahr damit zum Optiker. (Martin Schauhuber aus Düsseldorf, 18.6.2024)