Moor aus der Vogelperspektive
Die renaturierten Feuchtgebiete eines Moores im deutschen Niedersachsen aus der Vogelperspektive. Der Fortschritt der Auswirkungen der Maßnahmen zur Wiedervernässung von Mooren und zur Renaturierung von Biotopen könnte künftig mithilfe von Drohnen festgestellt und überwacht werden.
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Allzu oft nehmen wir die Wiesen, Brachflächen und das Summen am Wegesrand gar nicht mehr wahr. Und das hat nicht nur etwas mit unserer geteilten Aufmerksamkeit zu tun. In den meisten Weltregionen hat der Mensch die Natur stark verändert. Die Studienlage ist eindeutig und beängstigend: Wir befinden uns im wahrscheinlich größten Artensterben seit Beginn der Menschheit.

Die Europäischer Kommission sieht 80 Prozent der natürlichen Lebensräume in der EU in einem schlechten Zustand. Sie erarbeitete daher das "EU Restauration Law" – zu Deutsch Renaturierungsgesetz. Dieses besagt, dass Mitgliedsländer bis 2030 mindestens 30 Prozent dieser bedrohten Flächen wieder in einen biodiverseren Zustand bringen müssen. Schrittweise sollen zwei Drittel der betroffenen Naturräume bis 2040 sowie 90 Prozent bis 2050 zu besseren Lebensräumen werden.

Im Februar 2024 stimmte auch das Europäische Parlament zu. Am 17. Juni kamen die Umweltminister der EU-Staaten nach mehr als zwei Jahren Verhandlung zu einer Einigung. Das Ja von Klimaschutzministerin Leonore Gewessler löste in Österreich eine Regierungskrise aus – der STANDARD berichtete. Es ist somit das weltweit erste Gesetz mit dem Ziel, ökologische Schäden nachträglich wieder zu beheben, und zentraler Teil des europäischen Green Deal. Nun geht es an die Umsetzung.

Klassifikation mit Satellitenbildern

"Solche Gesetze müssen quantifiziert und überwacht werden. Bisher fuhren Forschende und Prüfer direkt zum jeweiligen Wald, zum Moor oder der Wiese. Das ist aber mühsam und zeitaufwendig", sagt Manuela Hirschmugl vom Joanneum Research und der Uni Graz. Ein österreichisches Forschungsteam, bestehend aus Vertreterinnen von Joanneum Research, der Universität Graz, dem Institut E.C.O. und dem Umweltbundesamt, entwickelt daher ein satellitengestütztes Monitoringsystem namens RestorEO. Gefördert wird das Projekt vom Klimaschutzministerium über das Weltraumprogramm ASAP der Forschungsförderungsgesellschaft FFG.

Moorlandschaft
Die Umsetzung von Gesetzen wie dem kürzlich in der EU abgesegneten Renaturierungsgesetz muss überwacht werden, damit diese auch tatsächlich wirken. Bei großflächigen Ökosystemen ist das aber häufig eine herausfordernde Aufgabe.
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Im Kern funktioniert das so: Modernste Fernerkundungstechnologien schießen mithilfe von Satelliten alle fünf Tage ein Bild einer Wiese. Eine Software bearbeitet das Bild und ordnet es mithilfe sogenannter Spektralsignale – der Farbzusammensetzung – in ein Schema ein. Über das gesamte Jahr über können die Forschenden beispielsweise erkennen, ob es sich um eine reine Löwenzahnwiese oder einen Wiesentyp mit mehr Pflanzendurchmischung handelt und wann sie abgemäht wurde.

Neue Technologie ermöglicht Monitoring

Neu daran ist die automatische Verknüpfung der Satellitenbilder in einem Machine-Learning-Modell mit dazugehörigen Erkundungen vor Ort sowie die Möglichkeit, überhaupt in so kurzen Abständen an so hochauflösende Satellitenbilder zu kommen. Aus einer ganzen Zeitreihe solcher Bilder können Unterschiede in den Wiesen festgestellt und dadurch abertausende Flächen klassifiziert werden. So werden auch eingesetzte Maßnahmen kontrolliert wie selteneres Mähen, davon werden ideale Mähzeitpunkte abgeleitet. Es lässt sich außerdem erkennen, in welche Richtung sich der Grad der Biodiversität entwickelt.

Blühende Blumenwiese
Mittels Fernerkundung aufgenommene Bilder können als Zeitreihe die Entwicklung zeigen, die sich in Ökosystemen ergeben. So lassen sich etwa auf Wiesen nicht nur Veränderungen in der Zusammensetzung der Vegetation feststellen, sondern auch ideale Zeitpunkte für die Mahd definieren.
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Zusätzlich gibt es die Möglichkeit, Daten aus Lasersensoren zu verwenden. Fliegt man mit einem Flugzeug oder Drohnen über einen Wald oder ein Moor, werden Lasersensoren zur Erfassung von Höheninformationen herangezogen. Diese messen die Zeit, bis der Laserstrahl die Vegetation durchdringt, und auf wie vielen Ebenen das Signal reflektiert wird. Daraus lassen sich Rückschlüsse auf die Ausstattung in den vertikalen Waldzonen ziehen.

Biodiversität wirkt vielschichtig

Die meisten Menschen denken bei dem Stichwort "Biodiversität" zuallererst an Bienen. Das liegt zum einen daran, dass insbesondere diese Insekten für einen Großteil der Bestäubung verantwortlich sind. Fällt diese aus, gibt es praktisch keine Früchte oder Nüsse mehr. Aber auch Fliegen, Motten und Schmetterlinge sind für blühende Pflanzen, einschließlich einiger Nutzpflanzen, genauso wichtig wie Bienen.

Wildbiene auf einer Blüte des Wiesensalbeis.
Eine Wildbiene fliegt zur Blüte eines Wiesensalbeis. Neben tierischen Sympathieträgern wie Bienen profitieren aber auch viele weitere Insektenarten von einer höhere Pflanzenvielfalt – das verbessert wiederum die Biodiversität von Ökosystemen und lässt diese resistenter werden.
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Fliegen, Käfer und Wespen sind Bestäuber, Raubtiere und Zersetzer, die Schädlinge bekämpfen und biologische Abfälle zersetzen. Insekten sind die Basis unzähliger ineinander verwobener Nahrungsketten, die gesamte Ökosysteme stützen: Sie liefern Nahrung für Vögel, Fledermäuse, einige Säugetiere, Fische, Reptilien und Amphibien.

Lichtblicke und Fortschritte

Blicken wir auf Österreich, bieten die Wiesen und Felder Lebensraum für rund 40.000 heimische Insektenarten, darunter rund 700 Wildbienen-Arten. Die moderne Landwirtschaft und der Einsatz von Dünge- sowie Insektenschutzmitteln, die Feinstaubbelastung und der damit einhergehende Rückgang von Lebensraum bedroht diese Tiere und dadurch unser gesamtes Nahrungsmittelsystem.

Dieser Prozess lässt sich – zumindest in Teilen – aufhalten. "Durch Regulierung und technische Lösungen im Bereich Schadstoffausstoß hat sich die Luftqualität bereits verbessert", ist sich Hirschmugl sicher. Außerdem gebe es mehr Schutzgebiete, und hierzulande hätten sich auch Greifvogelpopulationen erholt. Es gebe außerdem bereits ein höheres Bewusstsein für Biodiversität als noch vor wenigen Jahren. Hirschmugl betont, man solle "mit Augenmaß" arbeiten, mit den Landwirtinnen und Landwirten "gemeinsame Wege gehen" und an einem Strang ziehen. (Sebastian Lang, 6.7.2024)