Es rappelt im Karton: Lenny Kravitz live beim UEFA Champions League Finale im Londoner Wembley-Stadion am 1. Juni 2024.
Es rappelt im Karton: Lenny Kravitz live beim Uefa-Champions-League-Finale im Londoner Wembley-Stadion am 1. Juni 2024.
AFP/INA FASSBEND

Dass sich der im Kraftclub fantastisch mit Sixpack und Muckis (und ein wenig Haartönung) haltende Gevatter Lenny Kravitz mit seinen 60 Jahren auf I Hear You, dem neuen Album der gehypten koreanisch-berlinerischen Feelgood-Technoproduzentin Peggy Gou, wiederfindet, zeugt von einer gewissen Zeitgenossenschaft und Beschäftigung mit der Musik der Enkerln. Was genau er zum zart verkaterten Strandparty-Song I Believe in Love Again beisteuert außer einem beherzten "Come on, come on!" und ein wenig Chorgesang, bleibt allerdings schleierhaft.

Vielleicht sorgte er wie zuletzt in seinem Video TK421 auch nur für ein wenig Inspiration dank seines begnadeten Körpers. Den zeigte er im heurigen Frühjahr nicht nur in einem für unfreiwilligen Humor sorgenden viralen Fitnessvideo auf Social Media. In dem absolvierte er ein Krafttraining in nicht gerade atmungsaktiv rockender Lederhose. Während TK421 als Vorbote eines neuen Albums mit Lenny in beinahe voller nackter Pracht für ein wenig prickelnde Erotik im Best-Ager-Milieu aufkommen ließ, kam darin auch wieder ein wesentliches künstlerisches Mittel des US-Stars kurz zum Einsatz. Es war das Netz-T-Shirt, das von den späten 1980er-Jahren herauf wesentlich zum Welterfolg des gebürtigen New Yorkers beitrug.

Lenny Kravitz

Eingeführt als atmungsaktiver hygienischer Beitrag zur Geschichte der Unterwäsche, fand das Netzhemd ab den 1890er-Jahren von Deutschland aus erst seinen Weg zur norwegischen Armee in den 1950er-Jahren. Anschließend ging es in den Weltraum. Die Nasa stattete damit ihre Astronauten aus. Da jede technische Innovation natürlich sehr schnell auch ihren Weg in die Pornografie findet, entdeckten die britischen Punks das luftige Stück bald in Sexshops. Duran Duran, Wham! und Madonna machten damit in ihren Videos während der frühen 1989er-Jahre MTV groß. Diverse Modelabels kramen das seltsame Stück bis heute immer wieder aus. Der bekannteste heimische Netz-T-Shirt-Träger nannte sich damals übrigens Bilgeri. Es war eine seltsame Zeit.

Hauptsache Nippel

Für Madonna hat Lenny Kravitz 1990 übrigens das damals kontroversielle Lied Justify My Love geschrieben. Irgendwann zu dieser Zeit lässt sich heute auch das mittlerweile zwölfte Studioalbum von Kravitz namens Blue Electric Light festmachen. Die Schnittmenge ist bekannt. Zu leicht verdaulichem Soul, Funk und ein wenig bekiffter Balladenschmusigkeit mit Nähe zu Stevie Wonder oder zarter Sixties-Psychedelia gesellen sich in den neuen Songs, die ihm laut Eigenbekunden von Gott geschickt werden, natürlich auch ein breitbeinig im letzten Jahrtausend stehendes Machotum. Die recht zumpferlhaft wirkende Flying-V-Gitarre gelangt nach wie vor zum Einsatz.

Wenn man vom eindeutig von INXS beeinflussten White-Boy-Funk im erwähnten TK421 einmal absieht, ergibt das alles in allem eine bodenständige Hacklerversion von Superstar Prince. Das schnalzbass-funkige Heaven wäre so ein beispielhafter Song, oder auch der frohgemute künftige Autoradioklassiker Love Is My Religion. Mit dem künstlerischen Alleinstellungsmerkmal und dem Wiedererkennungseffekt hapert es auf Blue Electric Light ein wenig. Wahrscheinlich aber werden bei seinem Konzert am 11. August auf der oberösterreichischen Burg Clam dann ja doch eher Klassiker wie Let Love Rule, It Ain't Over 'Til It's Over oder Are You Gonna Go My Way zu hören sein. (Christian Schachinger, 18.6.2024)