In "No Bears" führt ein iranischer Filmemacher Regie via Skype in der benachbarten Türkei.
Panda Filmverleih

Jafar Panahi hat sich die Rolle des verbotenen Regisseurs nicht ausgesucht. Sie wurde ihm vom repressiven iranischen Regime aufgezwungen, das ihm 2010 ein 20 Jahre dauerndes Berufsverbot auferlegte. Doch scheinbar hat Ayatollah Khamenei und seinen Schergen noch niemand den Streisand-Effekt näher gebracht. Denn bei allen Schwierigkeiten, die Jafar Panahi die religiöse Filmzensur bereitet, verhalf sie ihm im Ausland doch zu viel Anerkennung und etlichen Preisen, darunter auch ein Silberner und ein Goldener Berlinale-Bär. Annehmen konnte das Bärchen damals nur seine kleine Nichte, mit einer herausfordernden Geste auf der Bühne des Berlinale-Palasts. Panahi selbst wird mit einem Ausreiseverbot im Iran gefangen gehalten.

Vielleicht gibt es deshalb in seinem neuesten Werk keine Bären. Khers Nist – خرس نیست ist sein immerhin schon fünfter "verbotener" Langfilm, vorgestellt im Wettbewerb der Filmfestspiele von Venedig vergangenes Jahr. Der Titel – international No Bears – ist die Antwort, die die Hauptfigur von einem Dorfbewohner bekommt, als er spätnachts auf dem Heimweg ist: "Hier gibt es keine Bären, das ist Quatsch. Mit diesen Geschichten wollen sie uns Angst machen! Unsere Angst stärkt die anderen. Hier gibt’s keine Bären! Nur Papierbären."

Regie via Skype

Jafar Panahi spielt diese Hauptfigur namens Jafar Panahi selbst, zurückhaltend und leicht grantig. Er ist ein Regisseur, der sich in das Dorf Jaban nahe der türkischen Grenze zurückgezogen hat. Von dort aus führt er via Skype Regie bei einem Filmdreh jenseits der Grenze. Es ist ein Dokudrama über zwei Exilanten auf dem Weg nach Europa, deren Schauspieler sich wiederum selbst spielen. In bester iranischer Kinotradition verschwimmt bei diesen Geschichten die Fiktionalität also gleich auf mehreren Ebenen. Damit nähert sich Panahi in No Bears noch mehr seinem Mentor Abbas Kiarostami an, bei dem er einst als Regieassistent begann.

Nicht nur das schlechte Internet auf dem Land macht dem Regisseur zu schaffen, sondern auch die Dorfbewohner. Sie bezichtigen ihn, ein Foto einer jungen Frau gemacht zu haben. Sie habe sich unter einem Nussbaum mit ihrem Freund getroffen, und das Foto sei der Beweis. Ein anderer Mann erhebt Ansprüche auf die Frau, seit ihrer Geburt für eine arrangierte Ehe mit ihm vorgesehen. Panahi schwört indessen, dieses Foto nicht gemacht zu haben. Eine herrlich burleske Parabel auf Panahis eigenes Verfahren wegen des Tatbestands der "Verschwörung mit der Absicht, Verbrechen gegen die nationale Sicherheit des Landes und Propaganda gegen die Islamische Republik zu begehen".

No Bears ist geheimnisvoller und pessimistischer als Panahis erfolgreicher Taxi-Film vor acht Jahren. Nach dem Auto auf den Straßen Teherans und dem eigenen Haus in Pardé – Closed Curtains gibt die abgelegene Landschaft dem kafkaesken Verbotsdrama des Regisseurs nun noch einmal eine neue Bühne. Dabei lässt sich eine fast amüsierte Abgeklärtheit gegenüber der Repression heraushören, die die Untergrundfilme nicht verhindern kann.

TIFF Trailers

Diesen kreativen Trotz hat Panahi mit vielen Filmemachenden seines Landes gemeinsam, die sich unter erschwerten Produktionsbedingungen alle auf ihre eigene Weise an der theokratischen Zensur des Iran abarbeiten. Demnächst sind Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha mit ihrer widerständigen Romanze Ein kleines Stück vom Kuchen – Keyke Mahboobe Man im Kino zu sehen. Der düstere Drogenfilm Critical Zone – Mantagheye Bohrani von Ali Ahmadzadeh gewann vergangenes Jahr den Goldenen Leoparden von Locarno. Und zuletzt gelang Panahis Freund Mohammad Rasoulof überraschend die Flucht, pünktlich zur Cannes-Premiere seines Gewissensdramas The Seed of the Sacred Fig.

Über eine Flucht denkt auch die Hauptfigur in Panahis No Bears nach. Doch als er schon an der iranisch-türkischen Grenze steht, weicht er doch wieder zurück. Noch hat Jafar Panahi demnach Ideen für neue verbotene Filme im Iran. (Marian Wilhelm, 14.6.2024)