Zu sehen ist eine Fotograf, der im Außenbereich eines Einfamilienhauses eine Frau im weißen Kleid, seine Mutter, fotografiert.
Der Fotograf Michael Appelt ist wieder in sein altes Kinderzimmer gezogen – zur Pflege seiner demenzkranken Mutter.
Reiner Riedler

Der Fotograf Michael Appelt hat im Leben einiges geschafft. Er ist zumindest "halb berühmt", wie er sagt. Nun ist er 53 Jahre alt und fasst einen radikalen Entschluss. Er lässt sich auf eine neue Beziehung ein: mit seiner Mutter Christine. Sie zeigt Anzeichen von Demenz, jemand muss sich um sie kümmern, also zieht Michael Appelt in sein altes Kinderzimmer. "Jetzt samma wieder da." Dass das Zusammenleben durchaus mit der Liebe zu einer Partnerin vergleichbar ist, erklärt er selbst beim Bier mit zwei Freunden. Die Betreuung nimmt ihn aber auch ganz ordentlich mit.

Allmählich begreift man in Reiner Riedlers Film Die guten Jahre, dass auch Michael auf eine gewisse Weise ein Pflegefall ist. Er kommt gerade selbst aus einer Lebenskrise und muss sich wieder aufrappeln. Es gehört zu den Stärken dieses einfachen, zurückhaltend beobachtenden, dabei aber sehr intimen Dokumentarfilms, wie er mit jeder Einstellung etwas Neues preisgibt. Immer näher kommt man auf diese Weise diesem Paar, das in einem Haus mit schönem Garten und weitläufigem Keller lebt. In den Keller bringt Michael auch seine Bilder.

Regisseur und "Blutsbruder"

Die "spannende und aufregende Zeit mit der Mama", das sind die guten Jahre. Es sind Jahre des Abschieds, aber auch der Selbstfindung. Der Onkel Hans kommt mit Filmen aus der Kindheit vorbei, aus einer Zeit, als die Familie Urlaub am Meer gemacht hat, und in denen Michael in der ganzen Unbeschwertheit einer Jugend zu sehen ist. Wie es danach weiterging, das erzählt er in einem nächtlichen "Selbstgespräch" mit der Kamera. Und auch die Mama sitzt nach einem Kirchenbesuch einmal in einer Runde und erinnert sich daran, wie aus dem Buben ein Künstler wurde, obwohl sie doch immer Zweifel hatte, dass er damit genug Geld verdienen würde.

Es zählt zu den Qualitäten von Die guten Jahre, dass Michael Appelt sich voll einbringt. Er hat sich auch in seinen Fotografien immer schon inszeniert, nun ist er maximal präsent, mit seinem mächtigen Körper, an dem einige Spuren von Verletzungen und Operationen zu erkennen sind. Der Regisseur Reiner Riedler ist sein "Blutsbruder", das kann man zumindest aus einer Szene schließen, in der damit auch das Bündnis erkennbar wird, auf dem dieser Film wohl beruht: Ein Freund öffnet einem Freund sein Leben, und zwar so, dass es phasenweise wie eine offene Wunde wirkt.

Aber die Zeit heilt viele Wunden, und Film ist ein Medium, das die Zeit sichtbar macht. So geht auch bei Michael Appelt und seiner Mutter etwas weiter: Pflaster regen bei ihr Rezeptoren im Hirn an, er wirft wieder einen Blick auf seine Bilder. Das Leben ist eine Intensivstation, aber auch ein gemächlicher Gang mit dem Rollator. Die guten Jahre sind nicht immer die, die man zuerst dafür halten wollte. Die guten Jahre kommen manchmal nach den schnellen Jahren. (Bert Rebhandl, 13.6.2024)