Vizekanzler Werner Kogler und die grüne Klubobfrau Sigrid Maurer werden die Grünen im Wahlkampf anführen. Kogler als Spitzenkandidat, Maurer als Mastermind der Partei.
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Werner Kogler hat sich, zumindest aus Sicht der Grünen, historische Verdienste um seine Partei erworben. Er hat die Grünen 2017, als sie aus dem Parlament geflogen sind, an ihrem Tiefpunkt übernommen und zwei Jahre später mit einem Ergebnis mit 14 Prozent, dem besten Ergebnis der Grünen, wieder in den Nationalrat geführt. Sein zweites großes Verdienst, nicht nur aus grüner Sicht: Kogler hat Sebastian Kurz gestürzt. Im Oktober 2021 stellte Kogler die Handlungsfähigkeit von Kurz infrage und gab ihm gewissermaßen den letzten Rempler: Unter Kurz, so die Botschaft, gäbe es keine Fortsetzung der türkis-grünen Koalition. Am 9. Oktober trat Kurz als Bundeskanzler zurück und schied in der Folge gänzlich aus der Politik aus.

Sein dritter Verdienst: Er hat die Grünen in die Koalition mit der ÖVP und damit in die Regierung geführt. Die wäre nun fast geplatzt, aber eben nur fast. Leonore Gewessler ist das neue Feindbild der ÖVP, damit kann sie gut leben, damit können die Grünen gut leben. Die Verschärfung des Konflikts mit der ÖVP soll auch die eigene Anhängerschaft mobilisieren.

Video: Kogler zu EU-Renaturierung: "Würden es jeden Tag genauso wieder machen"
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Zweifel am Chef

Diese Vorgänge mögen mit ein Grund sein, warum Kogler als Parteichef und auch als Spitzenkandidat der Grünen unumstritten ist und öffentlich keinerlei Zweifel an seinem Führungsanspruch geäußert werden. Am 22. Juni findet der Bundeskongress der Grünen statt, und für den ersten Platz auf der Bundesliste kandidiert Werner Kogler – ohne Konkurrenz.

Tatsächlich gibt es aber auch innerhalb der Grünen Zweifel, ob der Vizekanzler und Parteichef noch der Richtige ist, die Partei im bereits eröffneten Wahlkampf anzuführen. Man sieht dem 62-Jährigen die Strapazen seines Amtes mitunter recht deutlich an, er wirkt mitgenommen, ist fahrig, sein Ansatz zum Schwurbeln und Abweichen wird tendenziell stärker. Kogler ist nicht der Politiker, der seine Anliegen schnell auf den Punkt bringt. Ganz generell stellt sich die Frage, warum die Grünen nicht mit einer jungen Frau aus den eigenen Reihen in die Wahlauseinandersetzung gehen, warum sich Alma Zadić, Leonore Gewessler, Sigrid Maurer, Meri Disoski, Judith Pühringer und andere hinter Kogler einordnen müssen.

Noch ist Kogler als Parteichef unumstritten, es gibt aber schon Überlegungen für eine geordnete Übergabe in der Zeit nach der Nationalratswahl.
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Sigrid Maurer, die grüne Klubchefin im Parlament, sagt: "Werner hat die Partei durch alle Unwägbarkeiten geführt, er ist der Leader, und es ist logisch, dass er es bleibt. Er hat die Grünen wieder ins Parlament gebracht, und er hat sie in diese Regierung geführt." Jetzt konzentriere man sich auf die Wahl, deren Ausgang sei offen, auch was die künftige Regierungszusammensetzung betreffe. Grüne und ÖVP, das wird es jedenfalls so nicht mehr spielen.

Klar scheint aber zu sein, dass in absehbarer Zeit eine Ablöse von Kogler ansteht, Zeitrahmen ein bis zwei Jahre. Bei einem guten Wahlergebnis im September könnte das ein längerer Prozess werden, bei einem schlechten Ergebnis wird es schneller gehen. In Umfragen wird den Grünen derzeit ein Ergebnis von unter zehn Prozent prognostiziert. 2019 waren es knapp 14 Prozent.

Als potenzielle Nachfolgekandidaten werden vor allem zwei Personen genannt: Leonore Gewessler, die jetzige Klimaschutzministerin, die im Kampf um das EU-Renaturierungsgesetz zur grünen Heldin hochgehoben wurde, und Stefan Kaineder, Landesrat und Chef der Grünen in Oberösterreich. Im Gespräch ist freilich auch Maurer, die als gestrenge Klubchefin der Angelpunkt aller strategischen Überlegungen bei den Grünen ist.

Sigrid Maurer kandidiert beim Bundeskongress für den vierten Listenplatz, dahinter kandidiert Olga Voglauer. Diskussionen über den vergangenen Wahlkampf könnte es durchaus geben.
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Maurer selbst hat den Blick schon auf die Wahlen fokussiert, Fehler aus dem EU-Wahlkampf würden noch aufgearbeitet, die Lage werde analysiert. Die Themenlage spricht nicht für die Grünen, das Klima habe derzeit weniger Konjunktur, Krieg und Sicherheit seien die bestimmenden Themen. Neu sei auch die zunehmende Aggressivität der Rechten. Maurer: "Die Klimaanliegen werden gezielt diskreditiert, da gibt es für uns massiven Gegenwind, auch von der ÖVP. Darauf müssen wir reagieren." Klar sei aber auch, und da gibt Maurer schon das Motto des Wahlkampfes vor: "Wer Klimaschutz will, muss den Klimaschutz wählen, das geht nur mit den Grünen. Alle anderen sind am Betonieren." Der Streit um die Rückführung zur Natur soll das ganz deutlich belegen.

Maurer selbst kandidiert ausschließlich auf der Bundesliste, während Kogler zusätzlich noch im Regionalwahlkreis Graz und Umgebung als Listenerster nominiert ist, derzeit halten die Grünen dort ein Grundmandat. Auch Klimaschutzministerin Gewessler tritt nur auf der Bundesliste an, sie gilt als Nummer zwei gesetzt. Justizministerin Zadić ist für Platz drei vorgesehen, sie ist aber auch Spitzenkandidatin auf der Wiener Landesliste und wird wohl auf diesem Weg zu einem Nationalratsmandat kommen. Auch Meri Disoski, Lukas Hammer, Markus Koza, Naomi Sametinger und Felix Stadler stehen auf wählbaren Plätzen auf der Wiener Liste.

Generalsekretärin Olga Voglauer hat der SPÖ in einer Pressekonferenz mit Lena Schilling Silberstein-Methoden vorgeworfen und sich dann dafür entschuldigt.
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Olga Voglauer, die Generalsekretärin der Partei, ist auf ein Mandat über die Bundesliste angewiesen. Sie steht zwar auf der Kärntner Landesliste auf Platz eins, das Landeslistenmandat dürfte aufgrund der prognostizierten Verluste allerdings wackeln. Voglauer dürfte auf der Bundesliste für Platz fünf kandidieren, direkt hinter Sigrid Maurer. In beiden Fällen wird es spannend, wie die Delegierten reagieren. Wird jemand für die desaströsen Auftritte der Parteiführung im EU-Wahlkampf abgestraft? Kommt es zu einer Abrechnung? Wird Maurer, die als Erfinderin von Spitzenkandidatin Lena Schilling gilt, dafür zur Verantwortung gezogen oder doch Voglauer, die einen äußerst missglückten Auftritt im Wahlkampf hingelegt hat?

Straff organisiert

Der Bundeskongress ist allerdings keine basisdemokratische Veranstaltung, sondern nach einem Delegiertensystem organisiert. Es gibt in den Wahlkreisen Vorbesprechungen und Wahlempfehlungen an die Delegierten. Der Bundeskongress ist also halbwegs straff organisiert, und den Delegierten ist klar oder wurde klargemacht, dass parteiinterne Auseinandersetzungen und Konflikte, die öffentlich ausgetragen werden, der Partei als Ganzes und damit allen Kandidaten auf der Liste schaden.

Maurer sagt zum STANDARD: "Die Grünen sind mittlerweile sehr diszipliniert und geschlossen. Aber keine Sorge, wir haben das Diskutieren nicht verlernt."

Insgesamt gibt es 15 Personen, die sich für die Bundesliste gemeldet haben, wahrscheinlich sind fünf oder sechs Mandate über die Bundesliste möglich. Kogler und Zadić werden wohl über die Landeslisten in den Nationalrat einziehen. Eine Regierungsbeteiligung, wodurch weitere Mandate frei würden, scheint diesmal eher unwahrscheinlich. Auf hinteren Plätzen müssen Abgeordnete wie Nina Tomaselli oder Georg Bürstmayr um einen Wiedereinzug bangen. Wenig Chancen auf eine weitere Legislaturperiode im Parlament haben auch Eva Blimlinger und Faika El-Nagashi, die auf der Wiener Landesliste relativ weit hinten gereiht sind.

Beim Bundeskongress am kommenden Samstag wird außerdem Kassasturz gemacht und der Rechnungsabschluss präsentiert. 2023 gab es 5,55 Millionen Euro an Einnahmen, fünf Millionen davon sind die staatliche Parteienförderung. Dem stehen Ausgaben von 3,6 Millionen Euro und relativ geringe Verbindlichkeiten gegenüber. Als positives Finanzvermögen der Grünen sind 3.097.300 Euro vermerkt. Die Wahlkampfkasse ist also gefüllt. (Michael Völker, 18.6.2024)