Einfamilienhaussiedlungen, Einkaufs- und Fachmarktzentren, Gewerbegebiete: Strukturen wie diese sind gemeint, wenn von Zersiedelung die Rede ist. Man kann es aber auch wissenschaftlicher ausdrücken: "die räumliche Ausbreitung von Siedlungen in der Landschaft außerhalb von kompakten Siedlungsstrukturen und in geringer Dichte".

Allein seit dem Jahr 2000 sind in Österreich Flächen verbaut worden, die sechsmal der Größe Wiens entsprechen.
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Für eine neue Studie der Boku Wien und des Leibniz-Instituts für ökologische Raumentwicklung in Dresden hat sich ein Team rund um Anna-Katharina Brenner und Gernot Stöglehner angesehen, wie sich die Zersiedelung in Österreich in den vergangenen fast 50 Jahren quantitativ entwickelt hat. Spoiler: nicht zum Vorteil der Klimabilanz dieses Landes. Denn Zersiedelung sorgt für hohen Mobilitätsbedarf, "zersiedelte Strukturen sind also eine ökologisch besonders belastende Form der Bebauung", erklärte Helmut Haberl vom Institut für Soziale Ökologie der Boku auf einer Pressekonferenz am Donnerstag gemeinsam mit Brenner, Stöglehner (Institut für Raumplanung, Umweltplanung und Bodenordnung, Boku) und Katharina Rogenhofer vom Kontext-Institut für Klimafragen.

"Rapider" Anstieg

Anhand von Rasterzellen mit der Seitenlänge 100 mal 100 Meter, was also jeweils einem Hektar entspricht, wurde deren Überbauungsgrad im Lauf der Zeit räumlich analysiert, ausgehend vom Jahr 1975 und dann weiter in Fünfjahresschritten. Den Grad der Zersiedelung errechnete man konkret aus dem Anteil der Fläche, die überbaut ist, der räumlichen Streuung der bebauten Flächen sowie der Nutzungsdichte, also der Anzahl an Einwohnerinnen und Einwohnern oder Arbeitsplätzen je Flächeneinheit. Die Daten, die man für die Berechnungen heranzog, stammen aus dem erst seit kurzem verfügbaren Geodatensatz des Global Human Settlement Layer.

Der Anstieg verlief kurz gesagt "rapide", wie es schon im Titel der Studie heißt. Zwischen 1975 und 2020 wuchs die Fläche der bebauten Rasterzellen österreichweit von 9000 auf etwa 12.700 Quadratkilometer. Während 1975 noch 73 Prozent der bebauten Flächen gering oder sehr gering zersiedelt waren, betraf das 2020 nur noch 35 Prozent. Im Gegenzug haben sich die Flächen mit hoher oder sehr hoher Zersiedelung bis 2020 mehr als verfünffacht, von rund 1100 auf 5800 Quadratkilometer.

Starker Anstieg überall außer in Wien

"In allen Bundesländern außer in Wien ist die Zersiedelung stark angestiegen", erklärte Brenner. Am meisten zersiedelt sind demnach aktuell die Bundesländer Burgenland, Niederösterreich und Oberösterreich, dort können mehr als die Hälfte der bebauten Rasterzellen als hoch oder sehr hoch zersiedelt angesehen werden. Die größten Veränderungen seit 1975 gab es in Oberösterreich, Kärnten und der Steiermark.

Die Zahlen seien das Resultat einer Politik, "die jahrzehntelang den Bau von Einfamilienhäusern, großflächigen Gewerbegebieten und Einkaufszentren zugelassen hat", sagte Brenner. Die österreichische Raumplanung bestehe etwa seit Ende der 1960er-Jahre in ihrer heutigen Form, doch die bestehenden Instrumente seien offenbar nicht ausreichend gewesen, um die Zersiedelung wirksam einzugrenzen.

Zersiedelung in Österreich 1975 bis 2020
Rasanter Anstieg der Zersiedelung in Österreich von 1975 bis 2020: Eine räumlich präzise Analyse der Entwicklung in allen Bundesländern. Von Anna-Katharina Brenner, Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung, Dresden, aktuell Gastwissenschaftler*in am In
BOKU University

Katharina Rogenhofer vom Kontext-Institut für Klimafragen wies darauf hin, dass durch das "Bauen in die Breite" wertvolle Böden verloren gingen, "gesunde Böden, die CO2 binden und Wasser aufnehmen könnten". Gerade Letzteres sei auch auch sehr relevant, wie man an den jüngsten Hochwassern habe sehen können.

Dichter statt breiter werden

Trotz einiger Anstrengungen in den letzten Jahren hätten noch immer keine signifikanten Erfolge bei der Lösung der raumplanerischen Probleme dieses Landes erzielt werden können, kritisierte Stöglehner. "Es wird weiterhin gebaut und verbaut." In der Raumordnung wäre das Instrumentarium mittlerweile zwar grundsätzlich vorhanden, sagte der Boku-Professor, etwa durch die Definition von Siedlungsgrenzen. "Doch die Raumordnung wünscht sich oft das eine, gemacht wird aber was anders." Zudem würden neue bodenpolitische Instrumente wie ein Bauzwang auf einem Grundstück nicht in bestehende Baulandwidmungen eingreifen können, "das fehlt noch", sagte Stöglehner.

Seit den 1990er-Jahren sei das Bewusstsein dafür stark vorhanden, dass man etwas tun müsse. Doch allein seit dem Jahr 2000 seien in Österreich Flächen verbaut worden, die sechsmal der Größe Wiens entsprechen. "Und das nicht in kompakten Strukturen, sondern eher nach der Methode Würfelpoker", kritisierte der Boku-Professor.

Quantitative Zielvorgabe "unabdingbar"

Immerhin: In Österreich ist die Situation europaweit betrachtet noch gar nicht am schlechtesten. "'Europameister' sind wir in Wahrheit nur bei der Verkaufsfläche pro Person", davon gebe es tatsächlich in keinem anderen Land so viel wie in Österreich. Aber weder bei der Zersiedelung noch beim Bodenverbrauch sei Österreich der negative Spitzenreiter. Und doch sei es klar, dass etwas getan werden müsse. Der Boku-Professor sprach sich etwa klar für ein verbindliches 2,5-Hektar-Ziel beim Bodenverbrauch aus. Und so steht es auch als "Handlungsempfehlung" in der Studie: "Ein rechtlich bindendes, quantitativ nachvollziehbares und somit in seiner Entwicklung überprüfbares Bodenschutzziel (wie etwa das 2,5-ha-Ziel) erscheint aus wissenschaftlicher Sicht als eine unabdingbare Voraussetzung für die wirksame Eindämmung der Zersiedelung in Österreich."

Dass sich dadurch Gemeinden nicht mehr entwickeln könnten, sei ein "Blödsinn", sagte Stöglehner. Der Fokus müsse eben auf Innenentwicklung und Nachverdichtung sowie auf die Nachnutzung bestehender Strukturen gelenkt werden.

Eine Verschiebung der Widmungskompetenzen von den Gemeinden hin auf eine höhere Ebene löse das Problem nicht, vielmehr müsse besser geplant werden. Und es müsse – wie in der Schweiz, wo es eine Mehrwertabgabe auf Umwidmungen gibt – das Steuerwesen bei der Raumordnung mitgedacht werden. (Martin Putschögl, 13.6.2024)