Für ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker ist es eine Maßnahme, um die "Asylbremse" weiter anzuziehen und damit im Unterschied zum früheren Innenminister und derzeitigen FPÖ-Chef Herbert Kickl zu handeln. Für das UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR in Österreich hingegen ist es ein Vorgehen, das menschliche Härten mit sich bringt: Wie am Donnerstag auf Ö1 bekannt wurde, hat das dem Innenministerium unterstehende Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) die Visumserteilung für Angehörige anerkannter Flüchtlinge gestoppt, die im Rahmen des Familiennachzugs nach Österreich kommen wollen. Familiennachzug ist ein verbrieftes Recht laut der Genfer Flüchtlingskonvention.

Syrische Frau in Beirut von oben fotofgrafiert
Der Aufschub für viele Familiennachzugsanträge betrifft vor allem Frauen, vielfach mit Kindern – und ihre Männer, die in Österreich bereits Asyl bekommen haben.
Foto: REUTERS/Emilie Madi

Gemeinsam ist laut Erkundigungen des STANDARD den rund 1000 Betroffenen – großteils syrische Frauen und Kinder –, dass ihnen das BFA davor bereits eine positive Prognose für die Einreise und damit Wiedervereinigung mit ihren Ehemännern und Vätern erteilt hatte. Die Männer waren in den vergangenen Jahren nach Österreich geflohen, hatten hier einen Asylantrag gestellt und in der Folge Asyl bekommen. Die Frauen und Kinder waren unterdessen in Flüchtlingslagern im Nahen Osten oder in der Türkei zurückgeblieben.

Trennungen werden verlängert

Hier setzt die Kritik von UNHCR an. Bei den Betroffenen handle sich meist um Menschen, die nach Nachstellungen in der Heimat und der Flucht jahrelang voneinander getrennt waren. Durch die Prüfungen würden sich die Verfahren der Familien mit oftmals kleinen Kindern monatelang verzögern. Im schlimmsten Fall könne dies bedeuten, "dass Familienmitglieder ein weiteres Mal gefährliche Reisen in Krisengebieten zur nächsten österreichischen Botschaft unternehmen müssten". Wegen der Neuüberprüfung hätten eine Reihe Familien bereits gebuchte Flüge nach Wien stornieren müssen, merkte wiederum Lukas Gahleitner-Gertz, Sprecher des Vereins Asylkoordination, an.

Besagte Prognose im Familiennachzugsverfahren wird vom BFA erstellt, nachdem die Angehörigen an einer österreichischen Botschaft einen diesbezüglichen Antrag eingebracht haben. Das BFA prüft die zur Verfügung gestellten Unterlagen – und kann zusätzliche Nachweise des Verwandtschaftsverhältnisses verlangen. Ist das Prüfergebnis positiv, können die Familienangehörige einen weiteren Termin an der Botschaft vereinbaren, um einen Visumsantrag zu stellen.

Genau das nun wurde den rund 1000 Personen verwehrt. Auch rund 100 bereits vereinbarte Visumantragstermine wurden storniert. Man habe festgestellt, dass in einigen Fällen gefälschte Dokumente vorgelegt worden seien, begründete Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) diese Schritte am Rande eines EU-Innenministerrats in Luxemburg.

Nehammer will DNA-Test "beim geringsten Zweifel"

In den vorerst gestoppten Fällen wurde dem Vernehmen nach großteils die Durchführung eines DNA-Tests angeordnet, um zu überprüfen, ob tatsächlich ein enges Verwandtschaftsverhältnis vorliegt. Dieses Vorgehen hatte Bundeskanzler Karl Nehammer bereits Anfang Mai angekündigt. Der diesbezüglich Erlass werde nachgeschärft, sagte er damals. DNA-Tests seien schon "beim geringsten Zweifel" nötig.

Am Donnerstag unterstrich der Kanzler dies mit einem zusätzlichen Argument. Der Familiennachzug stelle ein "großes Problem" dar und überfordere Schulen und Kindergärten. Daher brauche es dieses "genaue Hinsehen". Tatsächlich gab es in den vergangenen Monaten Berichte von Überlastung des Kindergarten- und Schulsystems durch viele neu hinzugekommene Kinder, die kein Deutsch sprechen und aufgrund ihrer Erfahrungen auf der Flucht zum Teil traumatisiert sind. Allmonatlich gab es mehrere 100 solche Neuanmeldungen.

Aus Wien kam in diesem Zusammenhang die Kritik, das Land sei vom Bund – und hier vom Innenministerium – nicht auf die große Zahl ankommender Kinder vorbereitet worden. Tatsächlich leben die meisten syrischen Flüchtlinge in der Bundeshauptstadt und holen auch ihre Familien dorthin nach. Wie sich die durch Familiennachzug ins Land gekommenen Personen auf die übrigen Bundesländer aufteilen, ist nicht bekannt. Das Innenministerium erhebt lediglich die bundesweite Zahl von Asylanträgen, die die Angehörigen nach ihrer Einreise stellen. 2024 waren es bis dato rund 4000 solche Anträge, mit abnehmender Tendenz. (Irene Brickner, Gudrun Springer, 13.6.2024)