Am Donnerstag können die ORF-Stiftungsräte im obersten ORF-Gremium von Angesicht zu Angesicht sagen, was sie voneinander halten – nach einem Protestbrief von 30 Stiftungsräten, die ihrem freiheitlichen Kollegen Peter Westenthaler "unternehmensschädigendes Verhalten" vorwarfen. Westenthaler beantwortete den Protest neben gewohnt harsch formulierten Befunden mit neun Fragen von ORF-Beitrag bis EU-Wahl, die ORF-Generaldirektor Roland Weißmann gegen Ende der Sitzung am Donnerstag beantworten wird. Sie sind letzter Punkt auf der Tagesordnung vor "Allfälliges".

Hier geht's am Donnerstag um ORF-Beitragslücke, ORF-Strategie und Peter Westenthalers Fragen: ORF-Zentrum auf dem Küniglberg.
Harald Fidler

ORF-Beitragslücke von gut 30 Millionen Euro

Davor beschäftigen sich die 35 ORF-Stiftungsräte – wie schon Montag im Finanzausschuss – mit einer gut 30 Millionen Euro tiefen Lücke in den ORF-Einnahmen für 2024, die sich auch in den beiden nächsten Jahren auftun könnte. Hintergrund, wie berichtet: Das Finanzministerium kalkulierte beim neuen ORF-Gesetz mit rund 180.000 Beitragshaushalten mehr, als der ORF damals ausmachen konnte. Inzwischen sind laut ORF 10.000 Haushalte davon gefunden, fehlen derzeit noch 170.000.

Der ORF will, wenn es bei der Lücke bleibt, etwa auf Rücklagen aus der GIS zurückgreifen. Auch Reserven für Programminvestitionen wurden vorerst auf Eis gelegt.

Gelassen sieht der Sprecher der ÖVP-nahen Mehrheitsfraktion im Stiftungsrat, Thomas Zach, die Lücke: "Bei so einer großen Umstellung und so großen Datenbeständen ist es unvermeidbar, dass es Unschärfen gibt. Diese werden seit drei Monaten bearbeitet, und man wird sehen, was am Ende des Tages überbleibt", erklärte Zach im Vorfeld der Sitzung. Sie, wenn tatsächlich nötig, zu schließen werde bei der Größe des ORF und dem in Gang befindlichen Reformprozess "kein Problem" sein.

Update: Gemeinsamer Antrag von FPÖ, Grünen, ÖVP, SPÖ zu ORF-Beitragslücke

Es klingt überraschend, aber: Am Donnerstag formulierten FPÖ, Grüne, ÖVP und SPÖ im Stiftungsrat einen gemeinsamen Antrag zu der Lücke bei den ORF-Beiträgen. Die Kompromissformulierung im Antrag von Peter Westenthaler (FPÖ), Hildegard Aichberger (Grüne), Thomas Zach (ÖVP) und Heinz Lederer (SPÖ): Der ORF-Generaldirektor möge Gespräche mit dem Finanzministerium darüber führen, wie es zu den unterschiedlichen Kalkulationen und der Lücke kommen konnte. Es solle alles tun, um festzustellen, wie es zu der Lücke kommen konnte. "Der Generaldirektor führt bereits diese Gespräche, um zu klären, was geklärt werden kann", kommentiert Zach den Antrag.

Dem ORF drohe laut Stiftungsräten nach aktuellem Stand bis 2026 eine Lücke von kumuliert 50 Millionen Euro. ORF-General Roland Weißmann habe im Stiftungsrat versichert, die fehlenden Beitragshaushalte zu identifizieren. Er soll nun laut Antrag mit dem Finanzministerium klären, wie dieses, die Statistik Austria und das für Meldedaten zuständige Innenministerium den ORF dabei unterstützen können.

Strategie 2030, Jahresabschluss

Auf der Tagesordnung stehen etwa der Jahresabschluss für 2023, die Genehmigung des Stiftungsrats von – für den neuen Ethikkodex nötigen – Änderungen von ORF-Kollektivverträgen zu Nebenbeschäftigungen und ein Bericht über die Arbeiten am neuen ORF-Strategiekonzept 2030 unter dem schon recht bekannten Titel "Ein ORF für alle".

Kolportierte Verstimmung in der ÖVP über die Trendprognose des ORF über das voraussichtliche Ergebnis der EU-Wahl am Sonntag, die die FPÖ besser und die ÖVP schlechter als das tatsächliche Ergebnis sah, war jedenfalls im Finanzausschuss am Montag laut Sitzungsteilnehmern kein Thema. ORF-intern verwies man auf STANDARD-Anfrage dazu auf die treffendste Prognose für APA und ORF im Vergleich zu Servus TV und Oe24.

ÖVP-Freundeskreissprecher Zach will die Sitzung zu "interner Manöverkritik zur EU-Wahl" nützen. Seine persönliche Manöverkritik umreißt er breit mit "Feuerprobe bestanden", aber es gelte aber immer zu schauen, "wo es Learnings für die weitere Arbeit gibt". Er spricht von möglichen Learnings für Arbeitsabläufe.

"Ort am Wort": ORF-Format mit "Vorbildwirkung" für Wahlkampf

Für den Nationalratswahlkampf und darüber hinaus empfiehlt Zach übrigens einen Blick auf das vom ORF Niederösterreich entwickelte Bürgerdiskussionsformat Ein Ort am Wort. Es zeige, wie man sich mit "Respekt vor der Person kritisch mit den Meinungen des anderen" auseinandersetzen könne. Das sollte aus Zachs Sicht "Vorbildwirkung im Umgang zwischen Politik und Medien" haben.

Mit diesen Bürgerdiskussionen tourt der ORF Niederösterreich schon durchs Bundesland, es ging bisher etwa die Rückkehr des Wolfs, die Zukunft des Skifahrens und um Vollspaltenböden in der Schweinehaltung. ORF-General Weißmann hat vorige Woche im ORF-Publikumsrat angekündigt, dass die übrigen acht Landesstudios das Diskussionsformat in ihre Länder übernehmen.

Für hörbaren Unmut unter Stiftungsräten sorgte am Donnerstag vor Sitzungsbeginn, dass Stiftungsrat Heinz Lederer (SPÖ) Mittwochabend neuerlich mit Stiftungsrat Peter Westenthaler (FPÖ) im Privatprogramm Oe24TV der Fellner-Gruppe über den ORF und den Stiftungsrat debattierte. (Harald Fidler, 13.6.2024)