Zwei Menschen stehen auf einer Treppe und werfen Angeln aus
Es muss nicht immer ein ruhiger See sein. Auch das hat Fischen mitten in der Stadt hat seinen Charme.
Helena Lea Manhartsberger

Ein "krankes Fischerl" soll ich imitieren. Ich werfe also den bunten Köder in Fischform aus, kurble die Angelschnur langsam ein, zupfe immer wieder sachte mit der Rute. Doch so sehr ich mir Mühe gebe, meine Imitation eines maroden Tierchens überzeugt keinen Raubfisch im schlammfarbenen Wasser. Was ich hier mache? Ich bin unter die "Streetfisher" gegangen. Am Donaukanal, mitten in Wien, zwischen Graffitis, Beton und Baustellenlärm.

Die Anweisungen kommen von Norbert Novak. Der Gewässerökologe ist mit mir am Kanal unterwegs. Seit seiner Kindheit ist Novak vom Fischen begeistert, heute ist er im Schnitt ein bis zwei Mal pro Woche am Wasser. Mit Kapperl und in Fischerweste erklärt er mir, wie man auswirft und wohin ich zielen soll.

Ein Mann hält eine Angelrute
Gewässerökologe Novak weiß genau, worauf beim Fischen zu achten ist.
Helena Lea Manhartsberger

Streetfishing

Doch was genau ist dieses "Streetfishing"? "Das funktioniert meistens so, wie wir jetzt unterwegs sind: mit Spinnrute, wo ich einfach von Platz zu Platz wandere und rund 15 Minuten investiere, dann weitergehe zum nächsten Platz, dort wieder ein paar Würfe probiere", erklärt Novak die Methode. Die Hochburgen des Streetfishings in Europa seien in den Niederlanden und Deutschland, in Wien gebe es eine "kleine eingeschworene Szene". Und die finde man am ehesten am Donaukanal.

Der Himmel ist bewölkt, das Wasser ist trüb, meine Stimmung zum Glück nicht. Novak empfiehlt, die Rute nach dem Wurf etwas tiefer zu halten. Für den ersten Versuch haben wir uns auf einer Treppe nahe am Wasser positioniert. Von oben höre ich Wortfetzen von Leuten, die am Kanal unterwegs sind. "Fishing for compliments", tönt es einmal bis zu uns. Da mein Fishing for Raubfisch bislang ohne Erfolg ist, ziehen wir weiter, auch das gehört dazu. Novak spricht beim Streetfishing auch von "dynamischem" Fischen – im Gegensatz zu Fischern, die viele Stunden am selben Ort ausharren, etwa an der Neuen Donau.

Zwei Menschen gehen mit Angeln den Donaukanal entlang. Rechts von ihnen werden Graffiti gemalt
Ortswechsel: Auch das gehört zum Streetfishing.
Helena Lea Manhartsberger
Mann ist von hinten zu sehen, als er eine Angel auswirft.
Novak ist im Schnitt ein bis zwei Mal pro Woche am Wasser.
Helena Lea Manhartsberger
Köder in einer Plastikdose
Die Köder hat Novak mitgebracht. Mit ihnen soll ich ein "krankes Fischerl" imitieren.
Helena Lea Manhartsberger
Ein Köder baumelt vor der Kamera.
Wer ganz genau hinsieht, entdeckt den bunten Köder, den wir vor die Kamera bekommen wollten.
Helena Lea Manhartsberger

Fischen in Wien

Einfach so darf man in Wien keine Angel auswerfen. Dafür braucht man eine Fischerkarte und eine Lizenz für das jeweilige Revier. Ich habe die Kurzfristvariante gewählt: eine Fischergastkarte und eine Tageskarte für den Donaukanal. In der Theorie kann man hier vieles fangen, unter anderem Zander, Welse und Karpfen. In der Praxis begegnet mir auch weniger erwünschte Beute: Ein Sessel und eine tote Krähe treiben im Kanal an uns vorbei. Immer wieder verheddert sich Grünzeug am Haken. Aber weit und breit kein Fisch.

Unter den entsprechenden Voraussetzungen kann man in Wien an vielen Orten die Angel auswerfen und einen Lieblingsplatz nach persönlichen Vorlieben finden. Während der Donaukanal viele Möglichkeiten zum Streetfishen bietet, ist an der Neuen Donau unter anderem Ansitzfischen beliebt, am Wienfluss wiederum Fliegenfischen, erklärt Novak. Er selbst sieht sich, was die Methode angeht, als Allrounder und ist gern in der Natur unterwegs.

Was tun mit einem Fisch?

Noch immer kein Fisch. Aber was tut man eigentlich, wenn man etwas fängt? Worauf muss man achten? Grundsätzlich könne man in Österreich frei entscheiden, ob man den Fang mit nach Hause nehme, erklärt Novak. Im konkreten Fall bestimmen ein paar Kriterien wie Schonzeit und Art, ob ein Fisch aus dem Wasser entnommen werden darf oder im seltenen Fall auch muss.

Vorwürfe der Tierquälerei sind Novak bisher übrigens selten begegnet. In solchen Fällen entgegne er, "dass sich die Fischerei generell für Gewässer und Fische einsetzt und in Summe viel bewirken kann". Der Gewässerökologe gibt auch einen Einblick in Themen, die die Fischer-Community beschäftigen: Strukturarmut in Gewässern, aber auch Gewässererwärmung und Schifffahrt bzw. Wellen, die sie mit sich bringt.

Letzte Würfe

Mittlerweile sind wir an unserem letzten Stopp angelangt. Wir parken unsere Räder bei der Urania. Erneut werfe ich motiviert aus. Erneut beißt nichts an.

Foto von einem Zander. Ein Mann hält das Smartphone in den Händen.
An einem anderen Tag hatte Novak mehr Erfolg. Auf seinem Smartphone zeigt er ein Foto von einem Zander, den er aus der Donau gefischt hat.
Helena Lea Manhartsberger

Einen Gastauftritt gibt es aber: Auf Novaks Handy bekomme ich einen Zander zu sehen. Einen "70er", also 70 Zentimeter lang, sagt Novak, der den Fisch vor einiger Zeit aus der Donau gezogen hat. Auf Zander hofften wir auch heute – wobei ich vorgewarnt wurde, dass ich mir aufgrund der Wetterbedingungen keine großen Hoffnungen machen sollte. Habe ich natürlich trotzdem.

Es schwimmt ein gelbes Einkaufssackerl vorbei. Ich gestehe mir ein, dass das heute wohl nichts mehr wird, und überlege, mir stattdessen Fisch aus dem Tiefkühlregal zu angeln. (Christina Rebhahn-Roither, 27.6.2024)