Republikaner-Chef Eric Ciotti brachte mit seinem unabgestimmten Vorstoß seine Partei in Turbulenzen.
Republikaner-Chef Eric Ciotti bringt mit seinem nicht abgestimmten Vorstoß seine Partei in Turbulenzen.
IMAGO/Michael Baucher

Der 11. Juni 2024 dürfte in Frankreich Geschichte machen – als der Tag des Endes des "cordon sanitaire", des Sicherheitskordons gegenüber den Rechtsextremen. Ein halbes Jahrhundert hatte es gehalten: Die französische Politik war unterteilt in Anhänger der Republik und Anhänger eines autoritären, unter dem rechten Urahnen Jean-Marie Le Pen offen antisemitischen und xenophoben Staates. Den Tabubruch hat Eric Ciotti, der Präsident von Les Républicains (LR) – der Schwesterpartei der CDU/CSU – vollzogen: Er kündigte ausdrücklich eine "Allianz" seiner Partei mit dem Rassemblement National an.

Der als Hardliner seiner Partei geltende Südfranzose reagierte damit auf die Ansetzung von Neuwahlen durch Präsident Emmanuel Macron – und das eher schlechte Resultat der ehemals stolzen Massenpartei der Républicains (7,5 Prozent Stimmen) bei den Europawahlen von Sonntag. Kaum getätigt, stieß die Ankündigung auf vehementen Einspruch durch gemäßigte Republikaner. Sie forderten umgehend den Parteiausschluss Ciottis. "Kein Platz für Verräter", empörte sich die ehemalige Präsidentschaftskandidatin Valérie Pécresse. Der Angesprochene krebste halbwegs zurück: Er sprach nur noch von einigen Dutzend Wahlkreisen, in denen die Absprachen zwischen RN und LR gültig sein sollten. Es half nichts: Die LR-Direktion wurde am Mittwoch zu einer Krisensitzung einberufen mit dem Traktandum "Rausschmiss Ciottis".

Nach der Sitzung des Parteivorstands am Mittwoch in Paris teilte die Generalsekretärin der Républicains, Annie Genevard, den Ausschluss Ciottis mit. Allerdings herrschte Verwirrung, denn der ausgeschlossene selbst erkennt das Ergebnis der Sitzung nicht an. Diese sei unter eklatanter Verletzung der Parteisatzung durchgeführt worden, schrieb Ciotti auf X. "Keine der auf dieser Versammlung getroffenen Entscheidungen hat rechtliche Konsequenzen. Ich bin und bleibe der von den Mitgliedern gewählte Vorsitzende unserer politischen Gruppierung." Vor der Sitzung hatte Ciotti Mitarbeiter der Parteizentrale angewiesen, diese zu verlassen und zu verriegeln, um die Sitzung zu sabotieren. Er selber war zu dem Zeitpunkt nicht vor Ort.

Politisch undenkbar

Angenommen wird, dass der strittige LR-Chef seinen eigenen Wahlkreis in Nizza im Kopf hatte, als er den mit der Partei nicht abgesprochenen Vorstoß unternahm. Weniger emotional reagierte das Lager von Präsident Emmanuel Macron. Innenminister Gérald Darmanin bot den Republikanern seinerseits an, dass die Macron-Partei Renaissance dort, wo Kandidaturen der Republikaner gefährdet seien, ihren eigenen Kandidaten zurückziehe. Das liefe darauf hinaus, dass sich die Republikaner einerseits mit dem rechten RN und andererseits mit der zentristischen Renaissance verbünden könnten – was politisch natürlich nicht denkbar ist.

Letztlich könnte sich Ciottis Vorstoß in sein Gegenteil verkehren, nämlich die Implosion der Républicains – einer Partei, die bis auf Charles de Gaulle zurückgeht und weitere Präsidenten wie Georges Pompidou, Jacques Chirac oder Nicolas Sarkozy hervorgebracht hatte. Jetzt wird sie von ihren beiden Rändern her geschreddert. Ob der Tabubruch weitere Kreise ziehen könnte, ist noch offen. Das hängt vor allem von der Mehrheitsstimmung in der LR ab. Die Basis scheint lokalen Allianzen mit den Le-Penisten geneigter zu sein als die Pariser Direktion. In dieser Angelegenheit ist das letzte Wort noch lange nicht gesprochen. (Stefan Brändle aus Paris, 12.6.2024)

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Der Rechtsruck bei der EU-Wahl hat in Frankreich nicht nur ein politisches Beben, sondern jetzt auch Proteste auf den Straßen ausgelöst. Sie richten sich gegen die rechtsnationale Partei von Marien Le Pen, die mit 31,5% mehr als doppelt so viele Stimmen bekommen hat, wie das Lager von Präsident Macron.
ORF