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Österreich, no na net!

Der Verdacht, vom Blitz gestreift worden zu sein, ist zulässig, aber da es keinen Beweis dafür gibt, gilt die Unschuldsvermutung. Österreich wird Europameister. Das ist wissenschaftlich kaum belegbar, anderseits ist der Fußball so, wie er ist, nämlich unberechenbar. 2004 holten zum Beispiel die Griechen den EM-Titel, die waren nicht anzuschauen und um Zinshäuser Häuser schlechter als Österreich 2024.

Der gewagte, aber echt nicht völlig abartige Tipp hat zugegebenermaßen einen persönlichen Hintergrund, der Teamchef Ralf Rangnick und Christoph Baumgartner zusätzlich motivieren könnte. Sofern sie davon erfahren. Ich, der fast permanent sein Bestes gegeben hat, gehe mit Jahresende in Pension. Es ist deshalb meine letzte Chance. Bei den Endrunden 2008 und 2016 scheiterten das Team und irgendwie auch ich in der Gruppenphase, das fulminante Achtelfinal-Out 2021 in London nach Verlängerung gegen den späteren Europameister Italien fand zwischen Corona-Tests statt.

Das kann es nicht gewesen sein. Ich möchte präsumtive Enkelkinder und Heimhilfen nicht mit langweiligen Misserfolgsgeschichten quälen, ich möchte auf die Frage "Opa, was war der Höhepunkt in deinem Berufsleben?" antworten: "Der EM-Titel 2024." Als Alternative bliebe das 0:1 gegen die Färöer. (Christian Hackl)

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Deutschland, klare Kiste!

Der Gastgeber soll nicht eigene Interessen durchsetzen. So lautet eine ungeschriebene Regel, wenn jemand einlädt. Man serviert, was alle mögen und nicht, was man selbst am liebsten isst. Aber sorry, bei einer Europameisterschaft gilt das natürlich nicht. Klar, die Deutschen wollen an die Weltmeisterschaft 2006 im eigenen Land anknüpfen und wieder für ein heiteres Fußballfest sorgen – und zwar für alle Teams und deren Fans.

Aber es geht in den kommenden vier Wochen nicht vorrangig um Diplomatie und gute Organisation, sondern letztendlich um den Sieg. 2006, beim legendären Sommermärchen, hat es nicht ganz geklappt. Es waren vier tolle Wochen, aber es fehlte die Kirsche auf der Torte, nämlich der Turniersieg. Die Elf, damals trainiert von Jürgen Klinsmann, landete auf Platz Drei.

Platz Eins im eigenen Land, das ist jetzt 50 Jahre her. Franz Beckenbauer, Paul Breitner und Günter Netzer hießen die Legenden damals, bei der WM 1974. Jetzt sind mit Manuel Neuer, Toni Kroos und Niclas Füllkrug die Enkel dran. Deutschland kann den Sieg gut brauchen. Es lahmt wirtschaftlich und hat eine Regierung, die kaum noch jemanden happy macht. Also bitte, Männer, gebt alles, damit sich Deutschland endlich wieder mal ein bisschen leichter und bunter anfühlt. (Birgit Baumann)

AFP/GIORGI ARJEVANIDZE

Georgien, autsileblad!

Ja, auf dem Papier müsste jede andere EM-Truppe mit Georgien Karussell fahren. Wettanbieter geben einem Europameistertitel der Kaukasus-Kicker eine Chance von 1:500. Mit diesen Chancen wäre die Wahrscheinlichkeit, bis zum Jahr 3412 zumindest einmal Europameister zu sein, ziemlich genau Fifty-Fifty. Anders gesagt: Griechenlands wundersamer Triumph 2004 war etwa zehnmal so wahrscheinlich.

Und ja, in der Qualifikation holten die Erben Lewan Kobiashvilis in acht Spielen genau zwei Siege gegen den Fußballriesen Zypern, die EM-Teilnahme gelang dann durch die Hintertür Nations-League-Playoff. Aber Georgien hat etwas, das kein anderes Team hat: den Spieler der Bundesliga-Saison 2023/24, die Schlüsselfigur des Doubles von Sturm Graz, the one and only Otar Kiteishvili.

Otar Kiteishvili - Spieler der Saison 2023/24
Österreichische Fußball-Bundesliga

Der georgische Messi reist mit dem Privileg an, jüngst einen neuen Vertrag bei den Blackies unterschrieben zu haben. Mehr Schwung geht kaum. Auch sonst hat Georgien alles, was man für einen Titel braucht: Einen guten Goalie (Giorgi Mamardashvili), einen Star (Khvicha Khvaratskhelia) und mit Kiteishvili eben einen Siegertypen. Außerdem hat Georgien das beste Essen, sehr nette Fans und einen Bevölkerungsteil, der seine russlandhörige Regierung nur zu gerne an die Nähe zu Europa erinnern würde. (Martin Schauhuber)

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Frankreich, bien sûr!

Man muss heilfroh sein, dass Frankreich nur elf Spieler gleichzeitig ins Match schicken kann. Im Hexagone ist das Reservoir an Feinmotorikern schier unerschöpflich. Wahrscheinlich könnte Trainer Didier Deschamps in Deutschland sogar mit der dritten oder vierten Auswahl etwas reißen. Im ersten Anzug stecken vier Spieler von Real Madrid, Sieger-Gen inklusive.

Stürmerstar Kylian Mbappé und der Rest seiner sündteuren Kollegen machen den Kurort Bad Lippspringe bei Paderborn zum Nabel der Fußballwelt. Dort, am Rande des Teutoburger Waldes, beziehen die französischen Fußballgötter ihr EM-Quartier. "Wir kommen, um Geschichte zu schreiben", sagt Mbappé. Einfach nur ehrlich.

Mon dieu, les Bleus! Ihr habt etwas gutzumachen! Bei der EM 2021 sind die Weltmeister von 2018 im Achtelfinale an der Schweiz gescheitert. Der letzte Titelgewinn bei einer Europameisterschaft liegt 24 Jahre zurück. Aber die Marseillaise nimmt es vorweg. Le jour de gloire est arrivé! Und wann, wenn nicht am 14. Juli? Das Finale von Berlin findet am französischen Nationalfeiertag statt. Das kann unmöglich Zufall sein. Pressing statt Heugabeln, Distanzschüsse statt Schusswaffen. Wer die Bastille erobert, scheitert nicht am Olympiastadion. (Philip Bauer)

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England, no doubt!

Wussten Sie, dass Löwen täglich rund 16 bis 20 Stunden schlafen oder ruhen? Englands Fußballnationalteam ruht nun schon seit 1966, als man bei der WM den letzten und bislang einzigen großen Titel holte. 2021 wirkte es so, als wären die "Three Lions" endlich aus ihrem Schönheitsschlaf erwacht, die Finalniederlage im EM-Finale gegen Italien war Watsche und Weckruf zugleich. England ist wieder da. Und wie.

Es ist eine Mär, dass Niederlagen Teams brechen, dass Enttäuschungen noch lange nachhallen. Das gilt gerade für Nationalmannschaften: Kicker sind Meister im Vergessen und Verarbeiten. Und auch die englische Seele hat längst vergessen und vergeben. Aus den Unkenrufen nach dem Elferdebakel in Wembley wird langsam aber sicher ein einhelliger Singsang: Es beginnt leise und wird immer lauter, immer bestimmter: "It's coming home!" Dieses Mal aber wirklich. Ganz sicher.

Neben all der Erwartungshaltung und dem Pathos um das Mutterland des Fußballs hat England aktuell ein fantastisches Team. Das liegt vor allem, aber natürlich nicht nur an dem 20-jährigen Racker aus Stourbridge. Jude Bellinghams Aufstieg war kometenhaft, mittlerweile ist er spanischer Meister, Champions-League-Sieger und sowieso Golden Boy der Nation. Offensive Draufgabe gefällig: Harry Kane, Phil Foden, Bukayo Saka. Roaaar. Auch defensiv spielt alles mit Rang und Namen. Die Löwen sind jedenfalls hellwach, bereit für den großen Fang. (Andreas Hagenauer)

APA/AFP/KIRILL KUDRYAVTSEV

Portugal, claro que sim!

Diogo Jota (Liverpool), Joao Felix (FC Barcelona) und Rafael Leão (Milan). Viele Teams würden sich die Finger abschlecken, hätten sie diese Kicker in den eigenen Reihen. In Portugal wird stattdessen diskutiert, wer es von ihnen überhaupt in die Startelf schafft. Die Kaderdichte der Selecao ist, zumindest für die Gegner, furchterregend.

Portugal fegte mit zehn Siegen in zehn Spielen mit begeisterndem Fußball durch die Qualifikation, blieb 2023 unbesiegt. Ok, heuer setzte es Dämpfer gegen Slowenien (0:2) und Kroatien (1:2). Aber man will vor einem Großereignis ja am Boden bleiben.

Sprechen wir noch über den rosa Elefanten im Raum: Cristiano Ronaldo. Ja, er polarisiert. Ja, man kann drüber reden, ob der 39-Jährige die jüngeren bremst. Aber CR7 trifft weiter am fließenden Band. Die Sportzeitung "A Bola" sagte zuletzt: "Ronaldo passt in Plan A, B, C, D – und in das ganze Alphabet". Und egal, was man von ihm persönlich hält: Viele Teams hätten gerne Leader wie ihn oder den 41-jährigen Pepe im Team. Dazu Edelkicker wie Bruno Fernandes (ManUtd) und Bernardo Silva (ManCity). Die Portugiesen sind mit allen Wassern gewachsen und bereit für Plan E: Europameister. (Andreas Gstaltmeyr, 13.6.2024)