Porträt von Cosima S., sie hat längere braune Haare, trägt eine Brille und hat einen grünen Pulli an.
Anfangs dachte Cosima S., sie sei mit ihren Kindern zu viel am Boden gekniet, darum schmerze das Knie. Doch sie hat entzündliches Rheuma, so wie rund 300.000 weitere Menschen in Österreich.
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Am Anfang war da ein geschwollenes Knie. Ist wohl Überlastung, dachte sich Cosima S. Die damals 33-Jährige hatte vor kurzem ihr zweites Kind bekommen, auf dem Boden knien, sich bücken, tragen – das gehört dazu mit Kleinkindern, das kann schon einmal zu viel werden. Doch das Knie schwoll immer mehr an und tat auch richtig weh. Also ging S. zum Orthopäden. Das war 2016.

In der ärztlichen Abklärung war schnell klar: Eine normale Abnützung ist das nicht, ein MRT wurde angeordnet. In der mehrmonatigen Wartezeit auf diesen Termin schwoll auch das Sprunggelenk an. Und schließlich das Kiefergelenk. "Ich war da schon ziemlich verzweifelt. Wir waren kurz zuvor umgezogen, in ein Reihenhaus mit vielen Treppen. Unser Schlafzimmer war im obersten Stock. Jeden Morgen musste mein Mann das Baby runtertragen, während ich mich irgendwie die Stufen hinuntergequält habe. Mein Kiefergelenk war so entzündet, dass ich phasenweise nur noch Porridge essen konnte."

Als der Orthopäde dann angesichts der MRT-Befunde meinte, es könnte Rheuma sein, sie solle auf eine Spezialambulanz gehen, war Cosima S. fast schon erleichtert, einen Anhaltspunkt zu haben. Dort einen Termin zu bekommen dauerte aber weitere Monate – die Schmerzen wurden in der Wartezeit so unerträglich, dass sie zur Überbrückung privat zu einem Rheumatologen ging. Die Diagnose dort war eindeutig: Oligoarthritis, eine asymmetrische Entzündung meist von großen Gelenken.

Autoimmunerkrankung

So wie Cosima S. geht es rund 300.000 Menschen in Österreich. Die Ausformungen können dabei sehr unterschiedlich sein, zum rheumatischen Formenkreis gehören Rheumatoide Arthritis, Morbus Bechterew, systemischer Lupus, systemische Sklerose, Vaskulitiden, das sind Entzündungen von Blutgefäßen, oder auch Lyme Borreliose, die durch einen Zeckenstich übertragen wird, um nur einige zu nennen. "Rheuma ist ein Überbegriff für fast 400 verschiedene Erkrankungen", erklärt die Rheumatologin Helga Lechner-Radner vom AKH Wien.

Und anders als oft wahrgenommen ist das entzündliche Rheuma keinesfalls ein Problem älterer Menschen, es hat nichts mit klassischer Abnützung zu tun. "Wir sprechen hier von Autoimmunerkrankungen, die in jedem Lebensalter auftreten können", betont die Expertin. Ausgelöst werden sie unter anderem durch genetische Voraussetzungen, Umweltfaktoren wie beispielsweise UV-Einstrahlung oder auch Rauchen. Und auch Viruserkrankungen können Rheuma zugrunde liegen. "Meist sorgt eine Kombination aus mehreren Faktoren dafür, dass es zu einer Umprogrammierung des Immunsystems kommt."

Je nach Rheumaform betrifft es Gelenke, Sehnen oder auch so lebenswichtige Organe wie Herz, Lunge oder Nieren und kann diese sogar irreversibel zerstören. Neben den dabei entstehenden, oft wirklich massiven Schmerzen, die die Lebensqualität enorm einschränken, haben Betroffene aufgrund der permanenten Entzündungen auch ein stark erhöhtes Risiko für Herzinfarkt, Schlaganfall oder bestimmte Krebserkrankungen.

Frauen stärker betroffen

Autoimmunes Rheuma ist dabei weiblich geprägt, etwa 70 Prozent der Betroffenen sind Frauen. "Das dürfte einerseits genetisch bedingt sein, durch das doppelte X-Chromosom besteht hier ein höheres Risiko. Andererseits spielen auch die hormonellen Schwankungen mit. Wir sehen viele Erstmanifestationen im Nachgang starker hormoneller Veränderungen wie Pubertät, Schwangerschaft oder auch Wechsel", erklärt Lechner-Radner.

Die Diagnose ist dabei nicht ganz einfach, sie entsteht durch eine Mischung aus Anamnesegespräch sowie Interpretation von Blutwerten und bildgebenden Verfahren. "Nur weil man einen Rheuma-Biomarker im Blut hat, heißt das noch lange nicht, dass man erkrankt." Weitere Hinweise sind diffuse Symptome wie etwa Müdigkeit bis hin zu bleierner Erschöpfung, Steifigkeit in den Gelenken oder auch Schwellungen und teils wirklich starke Schmerzen, vor allem am Morgen, in Ruhe und wenn die Erkrankung nicht oder schlecht behandelt ist. Lechner-Radner berichtet: "Viele unserer Patientinnen und Patienten erzählen, dass sie eine Stunde und länger brauchen, um überhaupt aus dem Bett zu kommen. Treppensteigen kann fast zur Unmöglichkeit werden, geschweige denn sportliche Aktivitäten."

Und die Rheumatologin stellt auch immer wieder fest, dass gerade die Frauen oft erst sehr spät zur Abklärung kommen, da sind Gelenke zum Teil wirklich schon stark angegriffen. "Das liegt sicher auch daran, dass Frauen dahingehend sozialisiert sind, Schmerz auszuhalten, und dass man ihre Beschwerden, weil sie öfter an diffusen Symptomen leiden, auch schon einmal abtut."

Zu wenig Rheumatologen

Dabei ist gerade eine frühe Abklärung so wichtig, damit möglichst wenig Zerstörung in Gelenken und Organen stattfindet. "Je früher man die Erkrankung behandeln kann, umso eher kann man die Betroffenen auch vor anderen Erkrankungen wie eben Herzinfarkt oder Krebs schützen", betont Lechner-Radner. Um diese Erstdiagnose so früh wie möglich zu stellen, werden von der Österreichischen Gesellschaft für Rheumatologie Schulungen und umfassendes Informationsmaterial angeboten, für praktische Ärztinnen und Ärzte etwa, die oft ja die erste Anlaufstelle für Betroffene sind, ebenso wie für Orthopädinnen und Orthopäden.

Die Gesellschaft wirbt aber auch im Kreis der Studierenden für ihr Fach. Denn von den rund 300 Rheumatologinnen und Rheumatologen in Österreich werden in den nächsten zehn Jahren 40 Prozent in Pension gehen. "Hier versuchen wir intensiv, für Nachwuchs zu sorgen. Wir sind jetzt schon zu wenige Fachleute. Wir sind wirklich gut organisiert, machen Vorabklärungen, ob die Menschen, die zu uns geschickt werden, potenziell betroffen sind und eine weitere detaillierte rheumatische Abklärung notwendig ist. Aber je nach Ambulanz kann es trotzdem ziemlich lang dauern, bis man einen Termin bekommt."

Schulungen und Organisation zeigen auch Wirkung. Dauerte es vor 20 Jahren oft viele Jahre, bis man eine Diagnose bekam, hat sich dieser Zeitraum, je nach Symptomlast, mittlerweile deutlich reduziert. Auch die Therapieoptionen haben sich stark verbessert. War früher Kortison das erste und oft einzige Mittel der Wahl, um akute Entzündungen abzufangen, stehen heute viel zielgerichtetere Therapien zur Verfügung. "Langfristiges Ziel ist, dass die Patientinnen und Patienten in Remission kommen, also die Krankheit nicht weiter fortschreitet, und vor allem, dass sie symptomfrei sind", betont die Expertin. Das gelingt vor allem mit sogenannten Basistherapeutika, die in das fehlgeleitete Immunsystem eingreifen und unter anderem jene Botenstoffe, die die Entzündungen auslösen, sozusagen abschnüren.

Nach Monaten endlich schmerzfrei

Bei Cosima S. hat es eine Weile gedauert, bis die richtige Medikation gefunden wurde. "Als Akuttherapie habe ich gleich einmal Kortison bekommen. Nach Abklingen der Entzündung war ich das erste Mal seit Monaten schmerzfrei, obwohl ich davor permanent massive Schmerzmittel eingenommen hatte, in fast schon absurder Dosierung", erzählt die heute 41-Jährige. Wie schlimm es war, wurde ihr erst im Rückblick klar: "Man gewöhnt sich irgendwie an dieses Dasein. Erst als der Schmerz weg war, habe ich gemerkt, was ich da eigentlich ausgehalten hatte."

Jetzt fährt Cosima S. mit ihren Medikamenten so weit gut. Sie spritzt aktuell einmal pro Woche eine Biologika-Therapie. Dazu kommen insgesamt drei Tabletten pro Woche, auf drei Tage verteilt. Das war nicht immer so. Da die Biologika nur von der Kasse bezahlt werden, wenn eine andere Therapie nicht ausreichend anschlägt, musste sie zu Beginn mehrere Wochen eine Tablettenkur machen: "Das waren täglich sechs Tabletten, die wirklich groß waren. Ich habe die genommen, damit es mir besser geht. Aber es macht etwas mit dir, wenn du jeden Tag diese Dinger schlucken musst." Erst als klar war, mit diesem Medikament kommt es nicht zur Remission, wurden die Biologika genehmigt.

Mittlerweile passt es auch wieder mit der Lebensqualität. Dazu hat auch viel Physiotherapie beigetragen: "Durch die Schmerzen hab ich mir ein ganz anderes Bewegungsmuster zugelegt, das eben am wenigsten wehgetan hat. Irgendwann war ich ganz schief. Ich musste richtiggehend lernen, wieder gerade zu gehen", erzählt Cosima S. Richtig gut ging es ihr in der Zeit, als sie mit ihrem dritten Kind schwanger war: "Da hat man ja 50 Prozent fremde DNA im Körper, da ist das Immunsystem automatisch weniger aktiv." Jetzt ist die Wienerin nicht völlig beschwerdefrei, aber im Großen und Ganzen geht es ihr gut. Mehrmals musste sie ihre Medikamente umstellen, da sie nicht immer ideal geholfen haben.

Therapie gemeinsam besprechen

Mindestens so wichtig wie die medikamentöse Einstellung ist auch der Lebensstil, betont Rheumatologin Lechner-Radner. Man weiß, dass Rauchen die Krankheit befeuert, auch zu viel Stress tut nicht gut. Es gibt außerdem Hinweise, dass die Zusammensetzung der Mundflora und des Darmmikrobioms eine Rolle spielen können. Gute Mundhygiene ist also sehr wichtig, und auch ausgewogene Ernährung, am ehesten entsprechend der sogenannten Mittelmeerdiät, kann zur Besserung beitragen. Das alles sind wichtige Begleitmaßnahmen. Denn: "Es gibt nicht den einen Faktor, der den entscheidenden Unterschied macht, es ist immer eine Mischung. Und man muss auch klar sagen, dass Betroffene nicht 'selbst schuld' sind an ihrer Erkrankung. Man kann das gesündeste Leben führen und trotzdem entzündliches Rheuma bekommen", betont Lechner-Radner.

Fitness ist natürlich wichtig, mehr Muskelmasse unterstützt die Gelenke bei ihrer Arbeit. Bewegung wirkt außerdem positiv auf die Psyche, ebenso wie Yoga, Meditation und Ähnliches. "Ich sehe immer wieder die Freude bei meinen Patientinnen und Patienten, wenn sie zum Beispiel wieder Rad fahren können, und wie viel ihnen das bedeutet", erzählt die Rheumatologin.

Ihr als Ärztin ist dabei vor allem wichtig, dass man gut zusammenarbeitet, damit Betroffene die bestmögliche Lebensqualität haben. "Patient Empowerment" nennt sich dieser Ansatz. "Wir besprechen gemeinsam, welche Therapieziele man erreichen will und wie man am besten dorthin kommt." Dann ist auch die Therapietreue wesentlich besser. Denn eines ist klar: Es ist nicht lustig, als oft relativ junger Mensch dauerhaft Medikamente einnehmen zu müssen, das beeinflusst die Psyche, und diese Belastung spüren viele.

Lernen zu sagen, dass es einem nicht gutgeht

Auch Cosima S. hat das Rheuma relativ gut im Griff. "Ich bekomme immer wieder einmal eine Entzündung in einer Sehne, das kann sehr schmerzhaft sein. Aber das konnte bis jetzt immer mit einer Kortisonspritze behandelt werden." Kontrolliert werden Behandlung und Krankheitsverlauf alle drei bis vier Monate bei einem Termin in der Rheumaambulanz. "Ich bin im Hanuschkrankenhaus und fühle mich dort wirklich gut betreut", betont Cosima S.

Insgesamt hat die Erkrankung ihr Leben aber schon ziemlich auf den Kopf gestellt, die Wienerin hat einiges neu überdacht: "Es hat eine Weile gedauert, bis ich mir selbst eingestanden habe, dass ich chronisch krank bin, bis ich es akzeptiert habe, wenn es mir einmal nicht so gut geht. Das habe ich wirklich lernen müssen." Die dreifache Mutter sieht hier auch ein typisches Frauenthema: "Man denkt, ach das geht schon, ich reiße mich jetzt zusammen, es ist nicht so schlimm. Aber es ist nicht in Ordnung, wenn ich im Alltag permanent Schmerz verspüre. Ich darf und soll mir da Hilfe holen."

Einschränkungen in dem Sinn hat Cosima S. in ihrem Alltag nicht. "Mit drei Kindern muss man einfach tun, und das ist bis zu einem gewissen Grad auch gut so." Aber sie merkt, dass sich ihre Belastungsgrenzen verschoben haben. "Als Kulturreferentin bin ich im Büro tätig, da geht es gut. Aber einen körperlich anstrengenden Job, das würde ich auf Dauer wohl nicht schaffen."

Mittlerweile ist sie mit ihrer Erkrankung so weit im Reinen. Auch deshalb, weil sie vieles in ihr Leben einflicht, das ihr guttut: "Ich habe eine tolle Yogalehrerin, die auch viel Ahnung von Anatomie hat. Da habe ich gelernt, Bewegung und Belastung richtig zu dosieren, das hilft mir auch im Alltag sehr. Und ich bewege mich generell viel, fahre immer, wenn es geht, mit dem Fahrrad und gehe auch viel zu Fuß. Das ist der beste körperliche und mentale Ausgleich für mich." (Pia Kruckenhauser, 19.6.2024)