SPÖ-Chef Andreas Babler
SPÖ-Chef Andreas Babler hat angekündigt, die roten Positionen zu Asyl und Migration nachschärfen zu wollen. Es ist hoch an der Zeit.
APA/MAX SLOVENCIK

Am Tag nach der Wahl demonstrierte Hans Peter Doskozil einmal mehr, warum er nicht SPÖ-Chef geworden ist. Bis zur Nationalratswahl solle Ruhe sein, sagte der Burgenländer, um im nächsten Atemzug das glatte Gegenteil zu provozieren: Danach – gemeint ist offenbar eine sichere Niederlage – werde man über Parteichef Andreas Babler diskutieren. Mit genau solchen Untergriffen hat Doskozil seinen Kredit bei den Genossinnen und Genossen verspielt.

Mit einem hat der Paradekritiker allerdings recht: Auf die rote Agenda muss jenes Thema, das bei der EU-Wahl am meisten bewegt und der FPÖ die Stimmen zugetrieben hat – Zuwanderung.

Es wird kein Zufall sein, dass die SPÖ in Favoriten besonders stark verloren hat. Nach Schlagzeilen über Messerstechereien und mutmaßliche Jugendbanden war der bevölkerungsmäßig größte Wiener Bezirk in den Geruch der No-go-Area geraten. Natürlich hat die FPÖ dabei aufgewiegelt und dramatisiert wie in unzähligen Fällen davor. Doch wer daraus schließt, dass hier bloß Nichtigkeiten zu Problemen aufgeblasen werden, verkennt die Realität. Diese bildet sich etwa in den Mittelschulen der Ballungszentren ab, wo Lehrer mit der Integration von Flüchtlingskindern zunehmend überfordert sind. Oder teils auch in der Kriminalstatistik.

Damit soll nicht unterstellt werden, dass die SPÖ dort, wo sie regiert (hat), in Sachen Integration untätig war. Doch zur Politik gehört auch die Debatte. Die Sozialdemokraten weichen dieser aus, weil die Haltungen in der Wählerschaft wie im Parteiapparat auseinanderdriften. Meist nehmen sie nur Stellung, wenn Nachfragen keinen Ausweg lassen. Wer den roten Wahlkämpfern in den vergangenen Wochen zugehört hat, wird kaum auf die Idee gekommen sein, dass die "Ausländerfrage" irgendjemandem Sorgen bereiten könnte.

Da darf sich eine Partei nicht wundern, wenn sie von Wählerinnen und Wählern für weltfremd bis ignorant gehalten wird. "Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit", hat Kurt Schumacher, großer deutscher Sozialdemokrat der Nachkriegszeit, festgestellt.

Das heißt nicht, dass Babler eingefleischte Rassisten bauchpinseln und den Blauen nacheifern soll. Die FPÖ lebt davon, Integrationsprobleme nicht zu lösen, um feindselige Stimmung weiter anheizen zu können. Sehr wohl aber muss die SPÖ in die Diskussion einsteigen, die Schwierigkeiten deutlich benennen, einen Plan nicht bloß für einen versteckten Link auf der Homepage präsentieren, sondern offensiv bewerben. Und ja – angesichts zunehmender Überlastung, speziell der Schulen, wird eine Kernbotschaft lauten müssen: Wir kämpfen dafür, den Zustrom von Asylwerbern markant und dauerhaft zu drosseln.

Gegen Vorwürfe wappnen

Nicht getan ist es damit, zwei Tage vor einer Wahl überhapps unausgegorene Abschiebeideen des deutschen Kanzlers halbherzig abzukupfern. Um in dieser vernachlässigten Frage neue Glaubwürdigkeit aufzubauen, braucht die SPÖ argumentativ einen längeren Atem.

Selbst wenn die schwierige Übung gelingt, wird die Migrationspolitik wohl nie zum roten Stimmenmagneten werden. Doch glücken könnte die Immunisierung gegen den Vorwurf, dieses Reizthema "links liegen" zu lassen. Zu verhindern gilt es, dass Sympathisanten, die mit der SPÖ ansonsten viel anfangen können, wegen des Ärgers über die Ausländer bei Wahlen zu Hause bleiben – oder gleich zur FPÖ wandern. (Gerald John, 11.6.2024)