Eine Volksschule in Wien
Mehr als ein Drittel der Wiener Volkschülerinnen und Volksschüler an öffentlichen Schulen sind Muslime.
APA/EVA MANHART

Die Entwicklung hat sich mit den großen Migrations- und Fluchtbewegungen in den letzten Jahren abgezeichnet. Nun liegen auch die offiziellen Zahlen dazu vor: An den öffentlichen Wiener Volksschulen beträgt der Anteil muslimischer Schülerinnen und Schüler mittlerweile 35 Prozent. Das hat eine kürzlich durchgeführte Erhebung der religiösen Bekenntnisse an Wiener Schulen durch die Bildungsdirektion für das Schuljahr 2023/24 ergeben.

21 Prozent der Wiener Volksschüler sind römisch-katholisch, 13 Prozent sind orthodox. 26 Prozent der Volksschulkinder sind ohne Bekenntnis, je zwei Prozent sind evangelisch oder gehören einer anderen religiösen Gruppe an. Bei den Mittel- und Sonderschulen sowie in polytechnischen Schulen ist der Anteil muslimischer Schüler noch höher.

Die Zahlen präsentierte Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr (Neos) am Dienstagvormittag im Rathaus. Erhebungen für private Volksschulen, wo etwa zehn Prozent der Schülerinnen und Schüler unterrichtet werden, liegen hier nicht vor. Nach Angaben aus dem städtischen Bildungsressort beträgt der Anteil von Volksschulkindern mit einer christlichen Glaubensrichtung 37 Prozent. Hier sind folgende Glaubensrichtungen umfasst: katholisch, altkatholisch, armenisch-apostolisch, evangelisch, Freikirchen, Orthodoxe, neuapostolisch, syrisch-orthodox und koptisch-orthodox.

Im Jahr 2017 zeigten Daten aus dem damaligen Stadtschulrat, dass der Anteil an römisch-katholischen Kindern in Volksschulen noch deutlich höher war. Die Zahlen seien damals aber anders erhoben worden und seien nicht direkt mit den neuen Auswertungen vergleichbar, heißt es auf Anfrage aus der Bildungsdirektion. Teils gebe es auch Lücken. Bei der Auswertung 2017 betrug der Anteil mit römisch-katholischem Bekenntnis 31 Prozent. Dazu kamen 17 Prozent, die einer weiteren christlichen Konfession angehörten. Der Anteil der Muslime machte 28 Prozent aus.

Der Glaube sei Privatsache, Religionsfreiheit sei ein hohes Gut, sagte der Vizebürgermeister. In einer immer diverser werdenden Gesellschaft müsse man aber "problematischen Wertehaltungen aktiv entgegenwirken". Zwar funktioniere das Zusammenleben in Wien im Alltag im internationalen Vergleich trotz des demografischen Wandels überwiegend gut. Erhebungen in Wien würden aber auch zeigen, dass muslimische Schülerinnen und Schüler im Schnitt deutlich religiöser seien, sagte Wiederkehr. Auch teils abwertende Haltungen – wie Antisemitismus, Skepsis gegenüber der LGBTIQ-Community sowie eine Ablehnung der Gleichstellung zwischen Mann und Frau – würden vermehrt zutage treten.

Wiederkehr fordert Religionsunterricht nur noch als Freifach

Wiederkehr forderte angesichts dieser Entwicklungen erneut die österreichweite Einführung eines neuen verpflichtenden Unterrichtsfachs "Leben in einer Demokratie" ab der ersten Klasse Volksschule. In diesem sollen gemeinsame Werte und Anschauungen ebenso vermittelt werden wie Ethik, Toleranz und Wissenswertes zu anderen Religionen. "Unser gemeinsamer Glaube ist die Demokratie", fasste Wiederkehr zusammen. Geht es nach dem Wiener Bildungsstadtrat, soll dieses verpflichtende Fach in den Lehrplan. Religionsunterricht sollte hingegen nur noch als Freifach angeboten werden können. "Das System gehört hier umgedreht", sagte der Wiener Neos-Chef.

Die Einführung des Ethikunterrichts statt des Religionsunterrichts ab der Oberstufe sei ein Fehler des Bundes gewesen, meinte Wiederkehr: Ethikunterricht ist derzeit für jene Schülerinnen und Schüler vorgesehen, die sich vom Religionsunterricht abmelden oder kein Bekenntnis haben. Für die Einführung des neuen Unterrichtsfachs braucht es eine bundesgesetzliche Änderung: Die bisherigen Vorstöße Wiederkehrs beim Bund haben jedenfalls nicht gefruchtet. Dabei bleibt es vorerst auch: "Der Religionsunterricht ist in Österreich verfassungsrechtlich geschützt, und das wird auch so bleiben", meinte Kultusministerin Susanne Raab (ÖVP) in einer Aussendung. Staatsbürgerliche Bildung und Informationen über das Leben in einer Demokratie müssten anderweitig ein wichtiger Teil des Schulunterrichts sein. "Eine Abschaffung des verpflichtenden Religionsunterrichts kommt für die Volkspartei nicht infrage", sagte ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker.

Integrationsexperte Kenan Güngör wies auf Entwicklungen in Schulen hin, die Polarisierungstendenzen aufweisen würden. So gab es zuletzt eine starke Zuwanderung aus dem arabisch-islamischen Raum nach Österreich, diese neuen Schülerinnen und Schüler seien "insgesamt religiöser". Teilweise gebe es in bestimmten Schultypen auch Überlegenheitsvorstellungen von Angehörigen einer religiösen Gruppe gegenüber anderen Religionen. Betroffen seien hier aber auch Muslime: "An Schulstandorten, wo der Anteil der Muslime geringer ist, gibt es Diskriminierungserfahrungen." Zudem werde auch die Islamskepsis in der Gesellschaft immer ausgeprägter. "Die Herausforderungen werden nicht weniger", sagte Güngör. Hier seien alle Bereiche der Gesellschaft gefordert, Polarisierungstendenzen vehement entgegenzuwirken. (David Krutzler, 11.6.2024)