Donau-Au in der Wachau
Das EU-Renaturierungsgesetz soll zum Beispiel die Wiederherstellung natürlicher Flussläufe ankurbeln. Hier im Bild: ein Renaturierungsprojekt an der Donau in der niederösterreichischen Wachau.
Heribert Corn

Das Thema, an dem sich das politische Gefecht entzündet hat, lässt sich trotz des sperrigen Begriffs noch recht einfach verstehen. Mit dem sogenannten EU-Renaturierungsgesetz sollen die Staaten der Union verpflichtet werden, einen Teil ihrer Flächen in einen ökologisch ursprünglicheren Zustand zu bringen. Konkret heißt das zum Beispiel: trockengelegte Moore wieder vernässen, Wälder mit vielfältigen Arten aufforsten, blühende Wiesenstreifen für die Bienen stehen lassen oder natürliche Flussläufe samt Augebieten wiederherstellen.

Umweltschutzorganisationen sind dafür, weil all das zu mehr Biodiversität führt. Die Agrarlobby wehrt sich hingegen und malt eine Bedrohung für die landwirtschaftliche Flächennutzung sowie bürokratischen Mehraufwand an die Wand. Auch noch verständlich ist daher, dass innerhalb der Bundesregierung die Grünen das Gesetz gut finden, während die ÖVP auf Linie des Bauernbundes Kontra gibt.

Umweltministerin in EU zuständig

Am kommenden Montag findet ein Treffen aller 27 EU-Umweltminister in Luxemburg statt, wo über die Renaturierung abgestimmt werden soll. Doch was ist nun die Position, die Österreichs grüne Umweltministerin Leonore Gewessler – als mögliches Zünglein an der Waage – dort vertritt?

Spätestens hier wird es verwirrend: Gewessler plädiert zwar inhaltlich für das EU-Gesetz, will aber nicht zustimmen, da die Bundesländer kollektiv gegen das Gesetz seien. Zugleich erklären die SPÖ-Landeshauptleute von Kärnten und Wien, dass sie mittlerweile das Gesetz unterstützen und die Ministerin in der EU daher zustimmen soll – nachdem beide Bundesländer, gemeinsam mit den restlichen sieben, in der Vergangenheit mehrmals gegenteilig lautende Stellungnahmen unterschrieben haben.

Gewessler begrüßt die rote Meinungsänderung, vermisst aber eine verbindliche Klarstellung, ob die Länder jetzt wirklich kein Nein mehr von ihr wollen. Das wiederum findet Wiens Landeshauptmann Michael Ludwig (SPÖ) "merkwürdig": Wien habe in den vergangenen Wochen alles getan, was möglich sei, um der Ministerin letztendlich doch ein Ja bei der EU-Abstimmung zu ermöglichen.

Erst jetzt aufgepoppt

Man ist zunächst versucht, dieses Herumschieben von Verantwortung als polittaktisches Spielchen abzustempeln – und zu einem gewissen Grad mag das auch zutreffen. Gespräche auf grüner und roter Seite fördern aber doch den Eindruck einer authentischen Ratlosigkeit zutage, wie man aus der vertrackten Situation wieder herauskommt.

Für den Verfassungsjuristen Christoph Bezemek sind diese Probleme in der Rechtsanwendung kein Wunder: "Das ist ein Murks, bei dem sich im Wesentlichen keiner auskennt." Kurios sei eher, sagt der Professor der Universität Graz zum STANDARD, "dass das erst jetzt politisch aufpoppt".

Im Kern geht es darum, wie die Bundesländer ihre Position auf europäischer Ebene geltend machen können, wenn ein EU-Rechtsakt Bereiche betrifft, für die sie auf nationaler Ebene zuständig sind – im Anlassfall ist das der Naturschutz, der in Österreich Ländersache ist. In der Verfassung ist hierfür das Instrument der "Einheitlichen Länderstellungnahme" vorgesehen: Damit werden Mitglieder der Bundesregierung verpflichtet, in der EU so abzustimmen, wie die Länder das wollen.

Wie genau eine solche Stellungnahme zustande kommt, schreibt die Verfassung aber nicht fest, sondern überlässt das einer staatsrechtlichen Vereinbarung zwischen Bund und Ländern ("15a-Vereinbarung"). Auch in der entsprechenden Vereinbarung bleibt das Thema jedoch offen: Von dort wird es weiter an die Länder delegiert, denen aufgetragen wird, ohne den Bund ein geeignetes Prozedere untereinander auszumachen.

Regeln für nichtexistierende Konferenz

Tatsächlich haben die Länder Anfang der 1990er-Jahre, noch vor dem EU-Beitritt Österreichs, ein Prozedere fixiert. Dem zufolge können einheitliche Länderstellungnahmen im Rahmen der "Integrationskonferenz der Länder" beschlossen werden, in der alle neun Landeshauptleute und Landtagspräsidenten sitzen. Und es wird präzise angeführt, welche Mehrheitsverhältnisse für einen Beschluss nötig sind: mindestens fünf Länder müssen dafür sein und keines dagegen.

Der Haken an der Sache: Die Integrationskonferenz der Länder gibt es in der Realität nicht. Sie hat seit Jahrzehnten nicht getagt, weil sie sich aufgrund der hohen Zahl an wichtigen Entscheidungsträgern "als zu schwerfällig erwiesen hat", wie der Förderalismusexperte Peter Bußjäger erklärt. Somit sind die einzigen expliziten Vorschriften für Länderstellungnahmen "totes Recht", ergänzt Bezemek. In der Praxis, so auch bei der Renaturierung, sind die Länder dazu übergegangen, ihre Position in anderen Gremien zu beschließen – bei Treffen ihrer Landesamtsdirektoren oder auf der Landeshauptleutekonferenz.

Rechtssicherheit gefordert

Dieses Ausweichen auf andere Gremien ist zwar zulässig, für dort fehlen aber ausdrückliche Regeln zur Herbeiführung und zur nachträglichen Änderung einheitlicher Länderstellungnahmen. Genau diese rechtliche Lücke räche sich jetzt, sagt Jurist Bezemek: "Der Umstand, dass sich gerade keiner auskennt, zeigt aus rechtsstaatlicher Sicht die Notwendigkeit einer Reform."

Das könnte durch eine Verfassungsänderung geschehen, zwingend wäre das aber laut dem Experten nicht. Es würde schon reichen, wenn die Länder untereinander ein klar festgelegtes Prozedere für künftige Stellungnahmen und deren Rücknahme vereinbaren: "Damit wäre der Rechtssicherheit gedient."

Querelen als Ausnahme

Auch Bußjäger kann einer stärkeren Formalisierung der Entscheidungsmechanismen einiges abgewinnen, damit sich die aktuellen Querelen nicht wiederholen. Fairerweise dürfe man Letztere aber auch nicht überbewerten: "Bisher hat sich das informelle System der Länder über dreißig Jahre relativ gut bewährt." Mitunter könnte der Anlassfall eher die Vorsicht der Landeshauptleute schärfen, glaubt Bußjäger: "So mancher wird sich künftig wohl noch genauer überlegen, ob er eine Stellungnahme überhaupt unterstützt."

Selbst wenn das Gezerre zwischen Gewessler und den Ländern noch irgendwie gelöst würde, bliebe freilich immer noch der Widerstand der ÖVP-Minister gegen das Renaturierungsgesetz. Würde sich die grüne Ministerin in der EU darüber hinwegsetzen, wäre das nicht nur rechtlich heikel – unweigerlich gäbe es auf den letzten Metern auch gehörigen Krach innerhalb der türkis-grünen Koalition. (Theo Anders, 13.6.2024)