Spätestens seit der Pandemie finden unzählige Pornoproduktionen vor allem vor der eigenen Smartphone-Kamera statt.
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Das Verhältnis vieler Frauen zu Pornografie ist ein kompliziertes. Sexuelle Selbstermächtigung ist zwar heute selbstverständlicher, doch dass dazu auch für Frauen Pornografie gehören kann, darüber wird noch wenig gesprochen. Hinzu kommt, dass in vielen Pornos alte Geschlechterstereotype vorherrschen, eine passive Weiblichkeit als sexy dargestellt und ein haar-, fett- und faltenfreier Frauenkörper idealisiert wird.

Verletzende Klischeebilder

Das gilt zwar auch für die Welt außerhalb des Pornos, doch gerade in einem derart intimen Lebensbereich wie der Sexualität können diese Klischeebilder nochmal besonders schmerzen und den Blick auf eigene Wünsche verstellen. Die gute Nachricht: Pornografie ist alles andere als veränderungsresistent. In den vergangenen Jahren hat sich sowohl bei der Zusammensetzung des Pornopublikums als auch bei der Vielfalt des Angebots sehr viel verändert. Verlässliche Zahlen zum Pornokonsum gibt es wenige, fest steht allerdings, dass immer mehr Frauen Pornos konsumieren, vor allem junge Frauen. Die Nutzerstatistiken der Plattform Pornhub gehören zu den besseren Datenquellen, weil sie keine erwünschten Antworten wiedergeben, sagt die Systemische Sexualberaterin Theresa Lachner im Gespräch mit dem STANDARD. 2023 lag der Frauenanteil bei Pornhub bei 36 Prozent, das ist seit 2015 eine Zunahme von zwölf Prozentpunkten.

Aktuelle Studien zeigen, dass mit der intensiven Nutzung sozialer Medien bei Frauen oft ein besonders skeptischer Blick auf den eigenen Körper entsteht. Beim Konsum von Pornografie ist es nicht anders, wie eine Untersuchung aus dem Jahr 2020 zeigt: je häufiger der Pornokonsum, desto negativer das eigene Körperbild – vor allem bei jungen Frauen. Für nicht pornografische Kulturgüter, die wir überall und ständig sehen, klingt das nur logisch: Darin kommen noch immer vorwiegend superschlanke, sehr junge Frauen mit Proportionen vor, die gemeinhin als perfekt gelten. Doch ein Blick auf die im Netz meistgesuchten männlichen Pornodarsteller zeigt, dass explizit dargestellter Sex offenbar für alle ein Stahlbad ist. Gestählte Muskeln, vom Hals bis zum Knöchel. Somit sind auch Burschen und Männer durch Pornokonsum mit überdurchschnittlichen Penissen, trainierten Körpern und einer schier endlosen physischen Potenz konfrontiert. Insofern ist es erstaunlich, dass der Zusammenhang von Körperscham und Pornos trotzdem bei Frauen deutlich höher ist. Insbesondere ihre Vulva empfinden sie durch zunehmenden Pornokonsum als nicht schön genug.

Glatte Haut, großer Busen

Das ist einer der Gründe, warum Pornos aus feministischer Perspektive lange schlecht beleumundet waren. Operierte, große Brüste oder Genitalien wie aus einem Guss normierten einmal mehr das Begehren und unterdrückten Frauen, so das Argument. Inzwischen gibt es allerdings breite – ebenso feministische – Kritik an der No-Porno-Direktive. Stattdessen solle es einfach andere Pornos geben, und die gibt es heute tatsächlich zuhauf.

Durch die entstandene Vielzahl an Kategorien und Vorlieben sei es inzwischen schwer, von "der" Mainstreampornografie zu sprechen, die sich etwa von ethischer, feministischer oder speziell "für Frauen" gemachter Pornografie unterscheide, sagt Lachner. Pornografie wird heute weniger von großen Studios produziert, sondern spätestens seit der Pandemie vor allem von Amateurinnen und Amateuren vor der eigenen Smartphone-Kamera. Diese Videos könnten gleich direkt über Plattformen wie Onlyfans vertrieben werden, wo das Angebot die Nachfrage bediene, so Lachner. Auch gibt es ein deutlich breiteres Angebot speziell für Frauen als früher, neben Filmen sind das etwa erotische Literatur, Audio-Apps oder KI-Erotika.

Künftig schamlos

"Pornos können dabei helfen, eigene Fantasien in einem sicheren Rahmen auszuloten und Scham abzubauen", meint Lachner. Dass Frauen sich mit Pornos der Gefahr eines zunehmend negativen Körpergefühls oder -bilds aussetzen, hält sie für ein allzu pauschales Urteil. Lachner gibt zu bedenken, dass wir generell in einer Welt leben, in der wir permanent mit manipulierten und nun auch noch mit künstlich generierten Schönheitsidealen konfrontiert sind.

Beim Thema Körperscham treffe sich Patriarchat und Kapitalismus, so Lachner, denn wer beschämt sei, könne auch leichter unterdrückt werden. In einem solchen System könne Pornografie aber sogar ermächtigend sein, ist die Sexualberaterin überzeugt. Etwa wenn man den eigenen Körpertyp in einem Porno repräsentiert sehe und der dort als sexy und begehrenswert wahrgenommen werde.

Der Blick auf den eigenen Körper wird durch die häufige Nutzung von Social Media bei Frauen kritischer. Das gilt laut einer Studie auch für den Pornokonsum.
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Protokolle

Sandra* (35), Friseurin und zweifache Mutter: "Ich habe beim Sex nur daran gedacht, wie ich aussehe"

Als ich 17 war, hatte ich meinen ersten Freund. Er war 20 und stand total auf Porn-Girls und Playmates. Die waren zu der Zeit echte Influencerinnen. Auch Paris Hilton war eine Trendsetterin, und als ihr Sextape geleakt wurde, waren Pornos irgendwie cool. Mein Freund und ich sind oft in die Videothek und haben uns Pornos auf DVD ausgeborgt. Wir sind auch in Sexshops Toys shoppen gegangen, weil es so normal war. Ich kannte viele, die das gemacht haben. Zu Hause haben wir dann Pornos selbst gedreht, und irgendwie haben meine Freundinnen und ich davon geträumt, selbst mal Pornostar zu werden. Das Problem war nur: Die Frauen in den Pornos sahen alle aus wie Barbies. Blond, große Busen, extrem schlank und natürlich immer glattrasiert. Das hat mein Körperbild massiv beeinflusst. Mir waren meine Schamhaare immer unangenehm und sind es bis heute. So als wären sie abnormal oder so. Ich habe mich immer gefragt, was mit meinem Körper nicht stimmt. Mein Busen war natürlich auch viel zu klein, und ich habe mir fest vorgenommen, dass ich mir Silikonbrüste machen lasse, sobald ich das Geld dazu habe. Pornos haben aber nicht nur mein Frauenbild beeinflusst. Auch den Sex, den ich mit anderen Männern hatte. Wenn ich so dar¬über nachdenke, dann habe ich immer performt oder gespielt, wie die Frauen in den Pornos. Für die Männer war es wichtig, möglichst schnell und lange eine Erektion zu haben. Sie hatten auch den Druck, immer bereit zu sein – weil sie das so aus den Pornos kannten. Lange habe ich beim Sex nur daran gedacht, wie ich wohl gerade aussehe, ob es ihm gerade gefällt. Es hat gedauert, bis ich meine weibliche Lust und meinen Körper entdeckt habe. Heute schaue ich erstaunlich oft Schwulenpornos an. Vielleicht weil ich das Gefühl habe, dass es mehr auf Augenhöhe ist als Heterosex und die Frauen noch immer wie operierte Puppen aussehen.“ *Alle Namen wurden auf Wunsch der Gesprächspartnerinnen geändert.

Christiane* (41), Angestellte: "Mein Mann weiß davon nichts"

Durch meinen Bruder stieß ich das erste Mal auf Pornos, damals sprach mich das nicht an. Doch ich hatte meine ersten sexuellen Erfahrungen sehr spät, das war ein Grund, warum ich mich für Pornos zu interessieren begann. Es stresste mich, dass ich im Gegensatz zu anderen noch keine Erfahrungen hatte, und irgendwo wollte ich auch meine Befriedigung finden. Heute schaue ich Amateurpornos, die wirken nicht so gestellt. Früher fand ich, die sehen so billig aus, aber das Gestellte in professionellen Pornos ist einfach nicht meines. Ich habe bei Pornos auch kein Problem mit nicht perfekten Körpern. Ich schaue täglich Pornos, mein Mann weiß davon nichts. Wenn ich sexuelle Befriedigung nicht durch den Partner bekomme, ist das der perfekte Ausgleich für mich. Ich mache ihm keinen Vorwurf, ich habe ja meine Pornos. Ich bin auf Porno-Seiten auch selbst aktiv und lade Bilder von mir hoch. Früher auch öfter Videos, um zu schauen, wie sie bei Männern ankommen und um mein Selbstwertgefühl zu stärken. Auf diesen Seiten gibt es kaum Frauen, und ich höre dort oft, wie außergewöhnlich es viele finden, dass Frauen Pornos schauen. Ich denke mir, die Männer tun es auch – wieso sollen wir nicht dürfen?

Anna* (31), in Ausbildung: "Habe 'Frauen, die Liebe machen' gesucht"

Durch meine älteren Cousins kam ich schon früh in Kontakt mit Pornos, es waren Bilder auf dem Handy – damals noch ganz verpixelt. Da war ich vielleicht zehn oder elf. Ich fand es spannend und gleichzeitig abschreckend. Heute führe ich das darauf zurück, dass ich lesbisch bin und einfach mit diesen Hetero-Bildern nichts anfangen konnte. Ich habe lange mit meinem Outing gehadert und hatte Angst, dass mich meine Freundinnen dann anders sehen. Auch über Pornos haben wir unter Freundinnen nie gesprochen. Als ich mich selbst auf die Suche nach Pornos gemacht habe, hatte ich bei Mainstream-Pornos das Gefühl: Das kann nicht die Realität sein, das hatte ich schon sehr früh so im Kopf. Ich weiß noch, dass ich im Netz dann immer nach "Frauen, die Liebe machen" gesucht habe. Wenn ich mir dann die Ergebnisse angesehen habe, hat das eine enorme Sehnsucht in mir ausgelöst. Vor allem, wenn die Darstellungen zeigten, dass die Frauen miteinander in einer Beziehung sind. Das war für mich das Prickelnde. Heute sind Pornos für mich in den Hintergrund getreten. Ich bin seit zwei Jahren in einer Beziehung und konnte insgesamt viele Erfahrungen sammeln. Ich bin daher selbst kreativ genug und kann das mit meiner Freundin gut ausleben. Manchmal nutze ich Pornos nur für einen ersten Anreiz, drehe aber rasch wieder ab und überlasse es dann meiner Fantasie. Mit Mainstream-Pornos kann ich nach wie vor nichts anfangen. Es törnt mich ab, wenn die Bilder nur Posen sind und da unten alles gebleacht ist. Die Körperteile sollen doch aussehen, wie sie eben aussehen. Jüngere sind oft schon so pornogeschädigt und glauben, sie müssen diesen Bildern entsprechen. Das ist auch ein Grund, warum ich mir das selbst nicht ansehen möchte.

Victoria* (28), Selbstständig: Literatur mit Schärfe

Ich war vielleicht 15 oder 16 Jahre alt, als ich im Freundeskreis das erste Mal auf Pornos gestoßen bin. Damals habe ich mich noch nicht sehr dafür interessiert, und es hat mich auch nicht angesprochen. Später, mit Mitte 20, habe ich mir Pornos noch einmal bewusster angesehen, ich wollte wissen, ob und was sich geändert hat – und fand, sie sind tatsächlich besser geworden, vor allem im Amateursektor. Heute konsumiere ich aber keine klassischen Clips oder Filme, sondern lese erotische Literatur und sehe mir gezeichnete Sachen an. Ich kenne viele Frauen, die auf Spicy Literatur stehen. An Filmen stört mich das Gekünstelte, es ist doch bei keiner Frau so, dass eine kurze Berührung schon reicht, damit es abgeht. Das ist völlig realitätsfern. Außerdem werden Frauen oft als unterwürfig dargestellt, was ich unangenehm finde. Hinzu kommen Schönheitsideale, selbst im Genitalbereich. Ich habe das lange nicht mitbekommen, aber Bleaching ist in vielen Pornos völlig selbstverständlich. Vielleicht habe ich wegen meiner Bisexualität einen weiteren Blick, ich lese und schaue nicht nur Frauen mit Männern, sondern auch Frauen mit Frauen oder Männer mit Männern – vielleicht sind wir bisexuelle Menschen hier von vornherein ein bisschen offener. Ich glaube jedenfalls nicht, dass viele Heterofrauen lesbische Pornos konsumieren.

Janine* (36), Unternehmerin und Mutter: "Heute bin ich eine, die schnell 'Stopp' sagt"

Ich erinnere mich gut daran, als mir einige Burschen aus meiner Schule die ersten Pornos zeigten. Es waren die 1990er. Ein großes In¬teresse für solche Filme hatte ich dennoch nicht. Vielleicht weil ich mich nicht mit den weißen Darstellerinnen identifizieren konnte. Ich schaue mir bis heute keine Pornos an. Zur Masturbation schalte ich mein Kopfkino ein, auch wenn mir das nie wer glaubt. Als schwarze Frau hat mich etwas anderes geprägt: Hip-Hop! In den ¬90ern wurden die ganzen schwarzen Rapper groß: Tupac Shakur, Dr. Dre, Snoop Dogg. Die fand ich cool. Es gab jede Menge Gangster-Rapper und Musikvideos, die total angesagt waren. Darin gab es keinen Platz für Frauen, zumindest nicht als Künstlerinnen. Frauen waren in den Videos immer nur die sexy Bitches, die sich halbnackt auf Autos räkelten oder vor den Protagonisten tanzten. Die Texte waren oft frauenfeindlich, dass Männer Frauen besitzen, benutzen oder misshandeln sollen. Als junges Mädl habe ich diese Texte laut mitgesungen und habe den Inhalt null reflektiert. Jetzt kommt nach und nach raus, dass einige dieser Rapper Frauen wirklich misshandelt haben, wie zuletzt bei P. Diddy. Und alle sind schockiert. Diese teils fast pornografischen Darstellungen in den Musikvideos haben meine Sexualität sicher beeinflusst, und ich habe Dinge gemacht, die ich eigentlich nicht wollte. Es hat lange gedauert, bis ich das Selbstbewusstsein entwickelt habe, beim Sex Grenzen zu setzen. Dazu musste ich erst meine eigenen Grenzen spüren. Die Nullerjahre waren musikalisch haufenweise von Frauen geprägt, da war schon so eine Art Feminismus oder Empowerment zu spüren. Inzwischen habe ich viele Therapiestunden hinter mir und bin reifer. Ich mag meinen Körper, wie er ist, und ich bin eine, die schnell Stopp sagt. Ich würde beim Sex nie etwas machen, das mir nicht taugt. Ich wünschte, dieses Selbstbewusstsein hätten alle jungen Mädchen. (Beate Hausbichler und Nadja Kupsa, 8.6.2024)