Üblicherweise sind museale Objekte schön und höchst ansehnlich und zeigen sich von ihrer besten Seite. Nicht umsonst spricht man von einem "Museumsstück". Doch nur selten kommen sie in diesem Topzustand ins Museum. Das Buch von Barbara Beer, Es geht nicht um schön, führt hinter die Kulissen des Wien-Museums und gewährt Einblicke in die Arbeit der Restaurierwerkstätten. Dort gilt es, wie es der Buchtitel auf den Punkt bringt, weniger ein "schönes" Stück zu machen, als vielmehr die Objekte samt ihrer Seele, Eigenart und individuellen Geschichte(n) dauerhaft zu erhalten. Vielfach sind vor allem Zerfallsprozesse zu stoppen und Oberflächen zu reinigen. So strahlt der über die Jahre ergraute Himmel über Wien in Anton Hlavačeks Monumentalgemälde Die Kaiserstadt an der Donau – Wien vom Nußberg (1884) nun wieder in jenem frischen Hellblau eines Sommertages, wie ihn der Künstler vor 140 Jahren malte und seiner damaligen Intention entspricht.

Am Beispiel von 15 Objekten zeigt Barbara Beer die akribische Arbeit der Restauratorinnen und Restauratoren. Nicht nur deren breites Fachwissen, sondern auch viel Liebe und vor allem viel, beziehungsweise sehr viel Zeit verleiht den Ausstellungsstücken ein zweites Leben.

Plakatwand mit Wal
Die Geschichte des Praterwals wurde während der Umbauarbeiten des Wien-Museums auf Plakatwänden erzählt.
Thomas Hofmann

Vom Praterwal über Egon Schiele bis zum Modell Wiens

Das Buch beginnt mit dem Praterwal, den Güner Ayaz, der 2013 den Auftrag für den Abriss des Lokals Zum Walfisch im Prater bekam, auf eigene Initiative gerettet hatte. In den Werkstätten des Wien-Museums galt es den 1,7 Tonnen schweren Giganten aus Holz und Kupferblech aus dem Jahr 1951 nicht nur zu restaurieren, sondern auch für seine neue, nun hängende Präsentation an vier Seilen im Museum zu adaptieren.

Faszinierend ist auch das Bild Junge Mutter (1914) von Egon Schiele, das als eines der wenigen Bilder keine Firnisoberfläche besitzt. Infrarot- und Röntgenaufnahmen zeigten, dass Schiele ursprünglich zwei Kinder malte, jedoch ein Kind später wieder übermalte. Höchst komplex erwies sich der Malvorgang Schieles, so gibt es Bereiche mit mehreren fast pastosen Schichten übereinander, während anderenorts nur die dünn aufgetragene Grundierung vorhanden ist.

Arbeitsintensiv erwies sich auch das sechsteilige historische Wien-Modell (1897/98) von Erwin Pendl, 2400 Arbeitsstunden waren notwendig, um Wien im Maßstab 1:450 zu entstauben. Der Aufwand resultiert unter anderem aus früheren restauratorischen (Fehl-)Behandlungen, die nicht dem heutigen Stand entsprachen.

Exemplarisch seien noch das Original des aus Blei gegossenen Donnerbrunnens, der über viele Jahre im unteren Belvedere zu sehen war, ein Mammutzahn, der Bösendorferflügel aus der Wohnung Grillparzers sowie eine gerettete Fassadenbeschriftung des Uhren-, Juwelen- und Silberwarengeschäftes von Adolf Grünsfeld von der Favoritenstraße 60 erwähnt. Bei all den illustren Objekten faszinieren nicht nur deren gelungenen Restaurierungen, sondern auch deren Vorgeschichten, die allesamt Facetten der wechselvollen Historie Wiens sind.

Kunstrettung als künstlerischer Ansatz

Die im Großformat gestellte Frage "Wie rettet man Kunst?" wird von drei Frauen höchst ambitioniert, engagiert und kompetent mit Sachwissen, Liebe zum Detail auf hohem künstlerischen Niveau beantwortet. Doch der Reihe nach: Fabienne Meyer arbeitet als Restauratorin im Spezialgebiet Papierrestaurierung am Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin. Sibylle Wulff, ebenfalls Restauratorin (Schwerpunkt: Gemälde), betreut die über 600 Jahre alte Kunstsammlung der Universität Leipzig. Die Dritte im Bunde, Martina Leykamm, ist freiberufliche Illustratorin. Sie setzte zeichnerisch das Wissen der beiden Restauratorinnen um. Das Resultat ist ein außergewöhnliches Buch, inhaltsreich und informativ auf fachlichem hohem Niveau, gleichzeitig auch leicht lesbar wie ein Kinderbilderbuch. Die Intention war klar: "Die Leute sollten Lust haben, das Buch in die Hand zu nehmen", so Wulff. Das ist auch gelungen. Es wurde "Kein Lehrbuch, keine Anleitung, aber ein tiefer Einblick, mit vielen Hintergrundinformationen, und ein ultimativer Kunstrettungsgenuss – mehr kann und soll dieses Buch nicht sein." (Zitat: Vorwort).

Buchumschlag beschädigt
Nach mehr als 150 Jahren ist dieser Buchumschlag ein Fall für professionelle Restaurierung.
© GeoSphere Austria

Der Raub von "Hugo von Hangenstein" als roter Faden

Das Buch beginnt mit der zeichnerischen Darstellung eines nächtlichen Kunstraubs. Der Dieb hat es auf das Porträt von Hugo von Hangenstein abgesehen. Die nächsten Seiten geben Einblick in die Leidensgeschichte des Bildes. Schmutz, Temperaturunterschiede und andere Verletzungen setzen dem Kunstwerk zu, ehe es in einer Garage entdeckt wird. Nun beginnt die professionelle Restaurierung. Gezeigt werden Restaurierungsatelier samt Werkzeugen, Untersuchungsmethoden. Es folgt eine Materialkunde für Gemälde, man erfährt Details über Holzskulpturen, liest und staunt über aufwendige Verpackungen und findet für jedes lädierte Kunstwerk mit liebevollen Strichen skizzierte zeichnerische Antworten. Auf den Seiten 76 und 77 wird "Hugo" fachgerecht restauriert. Fehlendes Papier wird ergänzt, es folgt ein Passepartout und ein neuer Rahmen. Schlussendlich strahlt "Hugo" in alter Frische.

Am Ende des Buches Wie rettet man Kunst? steht die Frage: Wer rettet Kunst? Antwort geben nicht weniger als 30 Personen, die alle zeichnerisch dargestellt werden, was es leicht(er) macht, deren Kompetenzen zu zeigen. Die finale Frage nach der Kunstrettung findet im allerletzten Satz des Buches, das selbst ein Kunstwerk mit ausfaltbaren Seiten ist, eine allgemeingültige Antwort: "Alle, die sich für Kunst interessieren."

Fazit: Unter dem Titel Es geht nicht um schön werden nicht nur 15 Restaurierungsgeschichten von Objekten aus dem Wien-Museum im Detail geschildert, sondern mit jedem Objekt auch ein Stück aus der Geschichte Wiens vom Mittelalter bis heute erzählt. Das liebevoll illustrierte Großformat Wie rettet man Kunst? gibt Einblick in Restaurationswerkstätten und -techniken. Es könnte auch Lust machen, diesen Beruf, der Kreativität erfordert und Abwechslung auf höchsten Niveau garantiert, zu ergreifen. (Thomas Hofmann, 21.6.2024)