Liebesgrüße aus Moldau? Der ehemalige Generalstabschef der Republik Moldau Igor Gorgan soll jahrelang als Informant für einen russischen Geheimdienst tätig gewesen sein. Das hatte am Mittwoch das russische Enthüllungsmedium The Insider berichtet. Am nächsten Tag gab die moldauische Generalprokuratur bekannt, eine Anklage wegen Hochverrats zu prüfen.

Vor einem Rednerpult mit zahlreichen Fahnen im Hintergrund steht der moldauische General Igor Gorgan in Uniform.
Ein Bild aus besseren Zeiten: Igor Gorgan bei einer Veranstaltung auf dem US-Militärstützpunkt Fort Leavenworth in Kansas im Oktober 2016. Damals lag die Veröffentlichung der Vorwürfe noch in weiter Ferne.
U.S. Army

Gorgan war von 2013 bis 2016 und erneut von 2019 bis Herbst 2021 Generalstabschef der moldauischen Nationalarmee. Seinen Zugang zu sensiblen Informationen habe er als Informant für den GRU, den russischen Militärgeheimdienst, genutzt – auch nach seinem Rückzug von dieser Position. Dies gehe aus eingesehener Korrespondenz des Generalstabschefs mit seinen GRU-Kontakten hervor, berichtete am Mittwoch das Medium The Insider, das gemeinsam mit dem moldauischen Portal Malenkaja Strana recherchierte. Für Gorgan gilt die Unschuldsvermutung.

Der General soll systematisch sensible Informationen über die innenpolitische Lage in Moldau an den GRU weitergegeben haben. Zudem soll er detailliert über Besuche von Vertretern des ukrainischen Verteidigungsministeriums berichtet haben, bei denen über die Lieferung von Rüstungsgütern an die Ukraine verhandelt wurde. Nach seinem Ausscheiden aus dem Amt des Generalstabschefs Ende 2021 soll er über seine zahlreichen Kontakte im moldauischen Verteidigungsministerium weiterhin Informationen geliefert haben.

Karte der Republik Moldau
Karte der Republik Moldau. Die Region Transnistrien, ein schmaler Landstreifen an der Grenze zur Ukraine, wird von einem prorussischen De-facto-Regime kontrolliert.
Der Standard

Transportwege in die Ukraine verraten

Dem Enthüllungsmedium zufolge soll sich die Kommunikation zwischen Gorgan und dem GRU im April 2022, nach dem russischen Großangriff auf die Ukraine, deutlich intensiviert haben. Gorgan soll seinen damaligen Verbindungsoffizier, den russischen Militärattaché in Chișinău, Oberst Alexej Makarow, unter anderem über die Bemühungen der Ukraine informiert haben, sechs Mehrzweckkampfflugzeuge vom Typ MiG-29 von Moldau zu erwerben.

In einer Nachricht habe er ausführlich über einzelne Routen von Treibstofflieferungen aus Moldau in die Ukraine berichtet: "Der Zug mit Treibstoff bewegt sich nur nachts, um nicht zum Ziel der russischen Luftwaffe zu werden", zitiert The Insider aus einer entsprechenden Nachricht – wofür sich der Kontakt beim GRU bedankt haben soll. Über ukrainische Anfragen nach Rüstungsgütern soll er etwa geschrieben haben: "Die Ukrainer kommen seit drei Wochen in unser Verteidigungsministerium und erbitten alles Mögliche, vor allem Artilleriegranaten", so Gorgan nach Angaben des Investigativmediums.

"Zeit ist gekommen. Habe Armee unter Kontrolle"

Dem Bericht zufolge soll der ehemalige moldauische Generalstabschef seinen GRU-Kontakt auch regelrecht mit Nachrichten überhäuft haben, in denen er auf einen russischen Angriff auf Moldau gedrängt haben soll. "Wir brauchen dringend eine Säuberung des Landes von jeglichem faschistischen Abschaum!!! Viele sind bereit. Geben Sie das weiter ... Die Zeit ist gekommen. Ich habe die gesamte Situation in der Armee unter Kontrolle (…), mit den Politikern werden wir schnell zurechtkommen", soll Gorgan demnach geschrieben haben. Oder auch: "Ich bin ein Mann der Tat, wir müssen schneller vorankommen!!! (...) Wir leben in historischen Zeiten! Und diese Geschichte müssen wir schreiben!", wie The Insider eine Nachricht des moldauischen Generals wiedergibt.

Angehörige der Streitkräfte stehen in Uniform und mit Fahne auf einem verschneiten Platz. Im Hintergrund links ist ein Radschützenpanzer
Angehörige der moldauischen Streitkräfte sind anlässlich der Lieferung von deutschen Militärfahrzeugen im Jänner 2023 angetreten.
EPA

Die Regierung des Binnenstaats zwischen Rumänien und der Ukraine reagierte mit scharfen Worten auf die Enthüllungen. Adrian Băluțel, der Stabschef der Präsidentin, sagte zu Politico, dass Gorgans staatliche Auszeichnungen und militärische Ränge aberkannt würden: "Solche Verbrechen gegen den Staat sollten mit der härtesten Strafe für Hochverrat geahndet werden", erklärte Băluțel demnach. Eine genaue Überprüfung von Strafverfolgungs- und Sicherheitsbeamten sei nötig, um ähnliche Fälle zu verhindern.

Nur einen Tag nach der Veröffentlichung der Vorwürfe kündigte die moldauische Generalstaatsanwaltschaft an, die Einleitung eines Verfahrens wegen Hochverrats zu prüfen. Die Behörde bitte den Geheimdienst SIS um Informationen, auf deren Grundlage sie über die Einleitung eines Verfahrens gegen Gorgan entscheiden wolle, berichtete der moldauische Dienst von RFE/RL, Europa Liberă Moldova, unter Berufung auf Quellen im SIS und in der Generalprokuratur. Das moldauische Strafrecht sieht für den Tatbestand des Hochverrats eine Freiheitsstrafe von zwölf bis 20 Jahren vor.

Russischer Spion schon seit 2004?

Gorgan begann seine Laufbahn in der sowjetischen Armee. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR setzte er seine Ausbildung am US Command and General Staff College fort und nahm an Nato-Missionen in Bosnien und Herzegowina, Georgien und im Irak teil. 2019 wurde Gorgan vom Kreml-freundlichen Präsidenten Igor Dodon erneut in dieses Amt berufen, bevor er es 2021 unter der aktuellen proeuropäischen Regierung wieder verlor. Es ist unklar, wann seine Rolle als Doppelagent begann, aber eine von The Insider befragte nachrichtendienstliche Quelle geht davon aus, dass Gorgans Rekrutierung bis ins Jahr 2004 zurückreichen könnte. 2023 sicherte sich der ehemalige General den Posten der Leitung der Sicherheitsabteilung beim moldauischen Büro des Flüchtlingshochkommissariats UNHCR, von dem er noch am Mittwoch suspendiert wurde, wie der moldauische Sender TVR Moldova berichtete.

Eine Ukrainerin geht in einer provisorischen Unterkunft auf einem Messegelände.
Gorgans neuer Arbeitsplatz wurde das moldauische Büro des Flüchtlingshochkommissariats UNHCR (im Bild eine Notunterkunft im August 2022). Moldau hat viele Vertriebene aus der angegriffenen Ukraine aufgenommen.
EPA/DUMITRU DORU

Moldau als Zielscheibe russischer Operationen

Dass Gorgan ein russischer Informant gewesen sein könnte, überraschte den rumänischen Politologieprofessor Cristian Pîrvulescu nicht. In einer Sendung von TVR Moldova am Donnerstag sagte Pîrvulescu, die Ursache liege unter anderem im sowjetischen Erbe langjähriger Sicherheitsbeamter. Die Situation sei ähnlich wie in der Ukraine im Jahr 2014, so der Politikwissenschafter. "Ich befürchte, dass nicht nur die Armee, sondern auch die Geheimdienste und die Polizei weitgehend unterwandert sind, was typisch für das russische System ist", so Pârvulescu. "Die Situation ist ernst, aber es ist gut, dass das aufgedeckt wurde. Die Behörden haben gut reagiert", sagte der Politologe.

Die moldawische Präsidentin Maia Sandu steht zwischen EU-Kommissar Johannes Hahn (rechts) und dem Präsidenten des moldawischen Parlaments, Igor Grosu (links). Im Hintergrund spielt eine Militärkapelle.
Die Präsidentin der Republik Moldau, Maia Sandu, mit EU-Kommissar Johannes Hahn (rechts) und dem Präsidenten des moldauischen Parlaments, Igor Grosu (links), bei den Feierlichkeiten zum 9. Mai 2024. Nach sowjetischer Tradition wird in Moldau am 9. Mai das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa (VE-Day) begangen.
EPA/DUMITRU DORU

Die Republik Moldau unterstützt die Ukraine entschieden und ist auch Zielscheibe russischer hybrider Kriegsführung. So sprach die moldauische Präsidentin Maia Sandu im Februar 2023 von vereitelten Putschplänen russischer "Spezialdienste" in Moldau – kurz nachdem der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj mit einer solchen Warnung an die Öffentlichkeit gegangen war. Im Juli schließlich wies Chișinău dutzende russische Staatsbedienstete aus, nachdem Spionageaktivitäten aufgedeckt worden waren. Chișinău verstärkte die Zusammenarbeit mit westlichen Staaten, etwa wurde im März 2024 mit Frankreich ein Abkommen zum Ausbau der Verteidigungskooperation geschlossen. Die EU hat Moldau 2022 den Status eines Beitrittskandidaten zuerkannt, erst am Freitag wurde bekannt, dass die Kommission in Brüssel die Bedingungen für die Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit Moldau und der Ukraine erfüllt sehe.

In Transnistrien, einer international nicht anerkannten "Republik" auf einem an die Ukraine grenzenden Landstreifen jenseits des Dnjestr, unterhält Russland eine offizielle Militärpräsenz, obwohl Moldau einen Abzug fordert. Auch die autonome Region Gagausien versucht der Kreml als subversives Vehikel gegen die Regierung in Chișinău einzusetzen. Wie die jüngsten Meldungen aus Moldau nahelegen, scheint die russische Führung aber auch andere Wege auszuloten. (Noah Westermayer 7.6.2024)