Es fliegt, es fliegt, es fliegt. Auch das italienische Team versucht dem Titelverteidiger Neuseeland heuer den Cup abzuluchsen.
Luna Rossa Prada Pirelli Team | Studio Borlenghi

Der britische Tee-Millionär Sir Thomas Lipton war wohl der hartnäckigste ­Herausforderer in der Geschichte des America’s Cup. "Diese alte Kanne ist das am schwierigsten zu erringende Stück Metall auf der Welt", sagte er. Fünfmal versuchte er zwischen 1899 und 1930 den als "heiliger Gral" des Segelns verehrten Pokal zu gewinnen. Fünfmal verlor er gegen die US-Amerikaner. Nicht nur er. Erst 1983 gelang es den Australiern nach diversen Cup-Austragungen, die Kanne zu gewinnen.

Was wäre wohl Thomas Lipton durch den Kopf gegangen, wenn er die modernen Rennyachten erlebt hätte, die sich heuer vor Barcelona im Kampf um eine Segeltrophäe tummeln, hinter der bereits er und eine Handvoll andere Tycoons her waren. Dazu zählten zum Beispiel der Milliardär Larry ­Ellison, Ernesto Bertarelli oder Ted Turner. Wahrscheinlich wäre Lipton vor Staunen der Mund offen gestanden. Und das für eine ganze Weile.

Pfitschipfeile

Einst waren es schwimmende Paläste mit Segelflächen von bis zu 1500 Quadratmetern. Heute handelt es sich bei den Cuppern um Rennmaschinen-Pfitschipfeile. Das Erscheinungsbild der Boote hat sich nicht nur in Sachen Design radikal verändert, mittlerweile kommen die Yachten auch wie schwimmende Reklametafeln diverser Unternehmen daher, was dem Event in Sachen Exklusivität nicht gerade förderlich war. Aber wie heißt es? Money makes the world go round, und ebenso die segelnden Flitzer. Die Rede ist von Teambudgets, die zum Teil jenseits der 100 Millionen Dollar liegen. Schließlich handelt es sich um ein Megaspektakel, das in einer nicht so segelaffinen Nation wie Österreich so manches Kopfschütteln hervorrufen könnte. Die Macher des maritimen Superevents erhoffen sich heuer um die 1,5 Milliarden Zuschauer rund um den Globus.

Die legendären Yachten Reliance und Shamrock III vor dem Start zum America’s Cup im Jahr 1903
IMAGO

Bereits vor über zehn Jahren wurde klar, dass der America’s Cup in ganz neue Dimensionen abheben würde. Im wahrsten Sinne des Wortes. Der mehr als 26 Meter lange Katamaran des neuseeländischen Teams fuhr an einem Septembertag des Jahres 2012 zum Training aufs Meer vor Auckland. Nach kurzer Zeit erreichte er die Geschwindigkeit von 74 km/h, dabei hob der doppelte Rumpf komplett ab. "Team New Zealand fliegt", titelte der New Zealand Herald am nächsten Tag.

Wie das funktioniert? Die aero- und hydrodynamischen Rennsegler aus kohlefaserverstärkten Kunststoffen und anderen Über-drüber-Materialien sind Extremleistungen des Designs. Das Abheben der Rennziegen wird durch das sogenannte Foiling ermöglicht. Dieses funktioniert über eine Art Flügel, die wie Schwerter unter Wasser an den Booten angebracht sind. Ab einer gewissen Geschwindigkeit heben diese das Boot aus dem Wasser und ermöglichen doppelte Windgeschwindigkeit. Das Ganze ist durchaus mit einem Flugzeug zu vergleichen, mit dem Unterschied, dass diese Flügel Wasser statt Luft benötigen. Heute erreichen die verschiedenen Yachten der Klasse AC 75 bis zu 100 km/h.

Wasserblitzschach

Mit Geschwindigkeiten bis zu 100 km/h ist der America's Cup die Formel 1 des Wassers
Luna Rossa Prada Pirelli Team | Studio Borlenghi

Der Neuseeländer Russell Coutts, mehrfacher America’s-Cup-Gewinner und eine Art Segelgott, bezeichnete den Cup 2017, als er vor den Bermudas ausgetragen wurde, im Gespräch mit dem STANDARD als "Wasserblitzschach" in einer Art maritimen Arena. "Der Wind ändert sich ständig und somit auch die ersegelten Positionen. Die besten Segler können den Wind und das Wasser lesen. Es ist wie beim Schach. Hinzu kommt der Blitz. Er steht für den Speed der Boote." Schon seit längerem tragen die Segler Helme, sind gepanzert und wirken wie Gladiatoren der Neuzeit. Und das wird gut sein, forderte der Cup 2013 in der Bucht von San Francisco doch ein erstes Todesopfer.

Schon 2007, als die Yachten noch deutlich langsamer unterwegs waren, antwortete der deutsche Topsegler Tim Kröger auf die Frage, wie man einem Alpenmensch den America’s Cup erklären kann: "Man könnte sagen, es handelt sich um die Formel 1 des Wassers. Wahrscheinlich würden Nichtsegler einen irren Schiss bekommen, allein schon wegen der Geräusche, abgesehen vom Speed und der Kraft, die spürbar werden."

America's Cup, Sailin
Auch ein französisches Team zählt zu den Herausforderern.
AFP/MANAURE QUINTERO

Beim letzten Durchgang 2021 gewann übrigens Neuseeland den Cup zum vierten Mal und darf sich also Verteidiger nennen. Von 29. August bis 7. September wird es vor der katalanischen Hauptstadt zur Ausscheidungsserie, dem Louis Vuitton Cup, kommen, ab dem 12. Oktober starten die Cup-Match-Races. Es gilt also für Neuseeland, gegen den zuvor ausgewählten Besten der fünf Herausforderer aus England, der Schweiz, Italien, den USA und Frankreich zu bestehen. Der Gewinner darf tun, was Thomas Lipton verwehrt blieb: den Wanderpokal, der den Spitznamen "The Auld Mug" trägt, mit nach Hause nehmen.

Thomas Liptons Niederlagen beim America’s Cup brachten ihm einen speziell geschaffenen Pokal namens "Gold Loving Cup" für den "besten aller Verlierer" ein. Verliehen wurde ihm dieser 1930 vom New Yorker Bürgermeister höchstpersönlich. Was ihn mehr gefreut haben dürfte: Sein Bemühen um den Cup und sein Durchhaltevermögen steigerten den Umsatz seiner Teemarke in den USA gehörig. (RONDO Exklusiv, Michael Hausenblas, 25.6.2024)