Zumindest zum Begräbnis der Queen waren beide royalen Brüder anwesend.
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Das nordenglische Städtchen Chester gehört schon an normalen Tagen zu den Hauptanziehungspunkten jener Touristen aus der neuen Welt, die auf der Insel gern "typisch englische" Vergangenheit betrachten. Gemeint sind damit nicht die hässlichen Ausfallstraßen und Betonkreuzungen aus den 1970er-Jahren. Vielmehr ruft das Zentrum der Stadt Entzückensrufe von Stadtführern und Besucherinnen hervor: Innerhalb der weitgehend intakten, drei Kilometer langen Stadtmauer, die auf die römische Siedlung Deva Castra zurückgeht, schmiegen sich pittoreske Gebäude aus dem Mittelalter, der Renaissance und dem 19. Jahrhundert.

Charmant wie die Umgebung fällt am Freitag auch jene Hochzeit aus, von der die Londoner Society-Gazetten seit Wochen atemlos geschwärmt haben: Vor dem Altar der Kathedrale von Chester, einem stimmungsvollen Architekturgemisch aus romanischen und gotischen Elementen, geben sich der Geschäftsmann Hugh Grosvenor und die frühere Lebensmittelmanagerin Olivia Henson das Ja-Wort.

Damit endet die Zeit des siebten Herzogs von Westminster als umschwärmte "beste Partie" des europäischen Hochadels: Dem 33-Jährigen und seiner Familie (Motto: "Tugend, nicht Herkunft“) gehören gewaltige Ländereien in England und Schottland, darunter 121 überaus lukrative Hektar und die darauf stehenden Gebäude in den feinen, allen Monopoly-Süchtigen wohlbekannten Londoner Stadtvierteln Belgravia und Mayfair. Insgesamt beläuft sich das Vermögen der Herzogsfamilie nach Ermittlungen der Sunday Times-Reichenliste auf eindrucksvolle 11,9 Milliarden Euro.

Diese Art von Reichtum, vor allem solchen Grundbesitz, häuft man auf der Insel nicht an, ohne über beste Verbindungen zum Königshaus zu verfügen. Ein Vorfahre des Herzogs gehörte zur normannischen High Society, die nach Wilhelms Eroberung 1066 England unter sich aufteilte. Der Bräutigam darf sich zu den 33 Patenkindern von König Charles III. zählen. Umgekehrt amtiert er als Patenonkel sowohl von Prinz George, dem Ältesten des Thronfolgerpaars William und Kate, als auch von Prinz Harrys und seiner Gattin Meghans Sohn Archie.

Hoffnung auf Versöhnung

Womit das Problem benannt wäre, das sämtliche "royal watchers" in den vergangenen Wochen in Atem gehalten hat: Würde der eine oder der andere Prinz zu den rund 400 geladenen Gästen gehören? Oder könnten sich am Rande der Grosvenor-Hochzeit die beiden Königssöhne sogar gerührt in die Arme fallen und ihr Kriegsbeil begraben?

Nein, selbst für den alten Freund mochten die verfeindeten Prinzen, 41 und 39 Jahre alt, nicht von ihrer Fehde lassen. Anders als den meisten Menschen aus dem royalen Umfeld hat Grosvenor es dem Vernehmen nach bisher geschafft, mit beiden Männern befreundet zu bleiben. Beide aber in einen Raum zu bringen – mag dieser auch die Ausmaße einer mittelalterlichen Kathedrale besitzen –, das überstieg selbst die Talente des großzügigen Milliardärs.

Die diplomatische Lösung: Harry und Meghan erhielten zwar eine schriftliche Einladung, telefonisch aber wurde vereinbart, dass das Paar die weite Reise aus Kalifornien nicht antreten würde. Harry hat ja bei seinen jüngsten Reisen in die Heimat wenig Willkommen erlebt. Ein Blitzbesuch beim krebskranken Vater Charles dauerte gerade mal zwanzig Minuten, beim letzten Aufenthalt in London erlaubte der Terminkalender des Monarchen nicht einmal ein solch kurzes Zusammentreffen. Kein Zweifel: Vater und Erbsohn Windsor bleiben gänzlich "unversöhnt" mit dem Problemprinzen im fernen Montecito.

William als "Türsteher"

Für das festliche Ereignis in Windsor war durch Harrys elegante Absage der Weg frei für den allein reisenden Thronfolger – Prinzessin Kate befindet sich weiterhin in Krebsbehandlung. William erhält wie bei Adelshochzeiten üblich das Ehrenamt als "usher", was vom Lexikon – in diesem glamourösen Fall gänzlich unzureichend – mit "Türsteher" oder "Platzanweiser" übersetzt wird. Nach dem Gottesdienst zieht die Festgemeinde auf den nahegelegenen Grosvenor-Landsitz Eaton Hall um, wo sich's unbeschwert von Nachbarn feiern lässt: Das Herrenhaus liegt inmitten von 4,45 Hektar Park und Gärten.

In Chester müssen Einheimische und Touristen am Freitag zu Fuß gehen, die Innenstadt bleibt weiträumig für Autos gesperrt. Zum Trost dürfen die Zwangsfußgänger auf Kosten des Herzogs Eis essen und jene mehr als 100.000 Blumen betrachten, die zu Ehren des Hochzeitspaars gepflanzt worden sind. (Sebastian Borger aus London, 6.6.2024)