Mitte April hat die BJP ihr Parteimanifest veröffentlicht. Die Wahl ging nicht nach Plan aus.
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Schon dieses Wochenende soll Narendra Modi als Premierminister Indiens angelobt werden – bereits zum dritten Mal. Das hat bisher nur Jawaharlal Nehru geschafft, seines Zeichens erster Premierminister des Landes und so etwas wie ein Gründervater des unabhängigen Indien.

Doch die dritte Amtszeit des neuen alten Premierministers wird wohl anders als die zwei zuvor. Im Vorfeld der Wahlen hatten alle namhaften Institute mit einem erneuten deutlichen Sieg der Regierungspartei BJP gerechnet. Mindestens würde es für die Partei, die mit ihrer Hindu-first-Politik und betontem Nationalismus seit zehn Jahren die Geschicke des Landes lenkt, wieder die Absolute geben. Das ist nicht eingetreten. 240 Sitze konnte die Partei erobern, also weit weg von den nötigen 272.

So braucht Modi erstmals in seiner Karriere als Politiker Juniorpartner, um eine Regierung zu bilden. Noch am Dienstagabend, also an jenem Tag, als die überraschenden Ergebnisse veröffentlicht wurden, munkelten manche darüber, ob die zwei größten Partner in der NDA-Allianz vielleicht doch Modi auflaufen lassen könnten? In Indien funktionieren Koalitionsbildungen etwas anders als hierzulande. Bereits vor den Wahlen schließen sich traditionell Großparteien mit regionalen Partner zusammen, um Allianzen zu schließen. Die BJP führt die rechtsgerichtete National Democratic Alliance (NDA) an. Spätestens am Mittwoch war bereits klar, dass die zwei Königsmacher, also die zwei größten Parteien nach der BJP in der Allianz, sich weiterhin zu Modi bekennen.

Im Vergleich zu 2019 konnte die Opposition wieder Boden gewinnen.
Der Standard

Auf der anderen Seite steht die Oppositionsallianz India unter der Führung der größten Oppositionspartei, Indian National Congress, gemeinsam mit so gut wie allen namhaften indischen Oppositionsparteien – von den Kommunisten bis zur ultrarechten Shiv Sena. Angesichts der gefühlten Übermacht der BJP fand sich das bunte Bündnis vor rund einem Jahr zusammen. 2019 trat die Kongresspartei noch in der viel weniger breiten Allianz UPA an. India galt aber schon bald als zerstritten. Wenn man die vielen Machtkämpfe bedenke, frage man sich, was sie noch hätte zustande bringen können, wenn sie die Dinge im Griff gehabt hätte, meint der Journalist Ananth Krishnan, Chef der Mediengruppe The Hindu.

Kehrtwende für Indien

Das Ergebnis sei "der erste Schritt", um Modi davon abzuhalten, die Verfassung Indiens zu ändern, sagte Gandhi noch am Dienstag. Seine Allianz war mit der Botschaft angetreten, die Demokratie und die Verfassung retten zu wollen. Das Land habe nun gezeigt, dass "wir nicht wollen, dass Narendra Modi und Amit Shah (Innenminister, Anmerkung) etwas damit zu tun haben, das Land zu regieren", gab er an.

Rahul Gandhi kann sich über kräftigen Stimmengewinn freuen.
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In der Tat könnte der radikale Reformkurs, den Modis Regierung vor allem in der zweiten Amtszeit von 2019 bis zuletzt an den Tag gelegt hat, in den kommenden fünf Jahren eingedämmt werden. Vor allem in der zweiten Amtszeit folgten jene äußerst umstrittenen Reformen, die die BJP schon lange im Wahlprogramm hatte: Gleich im Sommer 2019 strich die Regierung die Autonomierechte der mehrheitlich muslimischen Provinz Kaschmir. Einige Monate später folgte ein neues Staatsbürgerschaftsgesetz, das Muslime diskriminiert. Und im Jänner schließlich wurde der umstrittene Hindu-Tempel in Ayodhya eingeweiht – an jenem Platz, wo über Jahrhunderte hinweg eine Moschee stand.

Es war vor allem auch in jener zweiten Amtszeit, in denen etliche internationale Organisationen aus dem Land gemobbt, politische Gegner mit Anzeigen bedacht wurden und die freie Presse immer mehr unter Druck geriet.

Weit entfernt von 400

2024 wurde der frühere knackige Wahlspruch "Abki baar, Modi sarkar" („Dieses Mal: Eine Modi-Regierung“) abgewandelt in "Abki baar, 400 paar"– was so viel heißt wie: "Dieses Mal mehr als 400". Damit gab die BJP das Ziel aus, über 400 Sitze im Parlament zu ergattern. "Es ist ein zutreffende Einschätzung, dass 400 Sitze im Moment sicherlich fern wirken", akzeptierte ein BJP-Sprecher bereits am Dienstag im TV das drohende enttäuschende Ergebnis.

Kritiker der Modi-Regierung atmeten wiederum auf. Mit großer Sorge haben viele auf eine dritte, noch stärkere Amtszeit geblickt und davor gewarnt, dass die "Überpartei" mit ihrer umstrittenen Radikalpolitik dann vollkommen übersteuern könnte.

Vor allem im ländlichen Raum waren die Arbeitslosigkeit und die hohe Inflation viel drängendere Themen für die Wähler und Wählerinnen als die Errichtung von Tempeln oder wer nun nach Indien zuziehen darf und wer nicht. Ein Punkt dürfte auch eine äußerst unbeliebte Militärrekrutierungsreform gewesen sein, zeigen Umfragen laut Reuters. Trotzdem gaben wiederum viele an, dass sie in Modi weiter die geeignetste Person sehen, um die dringendsten Probleme zu lösen, sagt Journalist Krishnan. Das mag widersprüchlich wirken – allerdings sei Indien einfach ein sehr komplexes Land, dessen Wahlergebnisse sich oft eher auf lokaler, bundesstaatlicher Ebene erklären lassen als auf nationaler. (Anna Sawerthal, 7.6.2024)