Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und US-Vizepräsidentin Kamala Harris bei der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar. Kommende Woche sollen die beiden in der Schweiz erneut zusammentreffen.
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Die neutrale Schweiz richtet am 15. und 16. Juni eine Ukraine-Konferenz aus. Staats- und Regierungschefs sollen in der abgeschotteten Luxusherberge Bürgenstock Resort hoch über dem Vierwaldstätter See Wege zu einem "gerechten und dauerhaften Frieden" finden. Der Aggressor Russland ist nicht eingeladen. US-Präsident Biden schickt seine Vizepräsidentin.

Frage: Wieso findet die Konferenz in der Schweiz statt?

Antwort: Russland überfiel die Ukraine im Februar 2022 großflächig und entfesselte damit den schlimmsten und gefährlichsten Konflikt in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Der Präsident der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, diskutierte im Jänner in Bern mit der Schweizer Bundespräsidentin Viola Amherd über mögliche Schritte in Richtung eines Friedens. Die Schweiz versprach, dazu eine Konferenz abzuhalten. Die neutrale und bündnisfreie Eidgenossenschaft, die aber die EU-Sanktionen gegen Russland mitträgt, fühlt sich als Vermittlerin berufen. Die Schweiz diente schon als Schauplatz von Gesprächen zur Zypern-Frage und anderen Konflikten.

Frage: Welches Ziel hat die Schweiz für die Konferenz ausgegeben?

Antwort: Die Schweiz will einen "künftigen Friedensprozess" für die Ukraine anregen. Die Bürgenstock-Konferenz soll praktische Elemente und erste Schritte in Richtung eines solchen Prozesses erarbeiten. "Die Erwartung ist nicht, dass wir bei der Konferenz einen Friedensvertrag unterschreiben, der direkt umgesetzt werden kann", dämpft Bundespräsidentin Amherd den Optimismus.

Frage: Welches Ziel verfolgt die Ukraine?

Antwort: Präsident Selenskyj wird versuchen, möglichst viele Regierungen auf die Positionen Kiews einzuschwören. Gegenüber der New York Times sagte er, zu Beginn gehe es um die Stabilisierung der ukrainischen Lebensmittelexporte in Entwicklungsländer, einen Gefangenenaustausch, die Sicherung des russisch besetzten Atomkraftwerks Saporischschja im Südosten der Ukraine und die Rückkehr der ukrainischen Kinder, die Russland verschleppt hat. Hinter vorgehaltener Hand äußern Schweizer Offizielle jedoch die Befürchtung, dass Selenskyj das Treffen nach Belieben dominieren könnte.

Frage: Welche Politiker werden kommen und welche nicht?

Antwort: Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sowie dutzende weitere Staats- und Regierungschefs wollen kommen. US-Präsident Joe Biden schickt seine Vizepräsidentin Kamala Harris. Bidens Abwesenheit schmälert das politische Gewicht der Konferenz – die USA leisten bislang von allen Ländern mit Abstand die größte Hilfe für die Ukraine. China signalisierte, dass mit einer Delegation aus Peking nicht zu rechnen sei. Die Chinesen unterhalten enge Beziehungen zu Russland und können Präsident Wladimir Putin beeinflussen. Ohne China verliert das Bürgenstock-Format an Bedeutung. Insgesamt hat die Schweiz mehr als 160 Delegationen eingeladen.

Frage: Hat die Schweiz auch Russland eingeladen?

Antwort: Putin hält den Schlüssel für Krieg und Frieden in der Hand. Doch hat die Schweiz Vertreter des Kreml-Machthabers "zum jetzigen Zeitpunkt" nicht zu der Konferenz eingeladen. Russland habe "mehrfach, auch öffentlich, gesagt, dass es kein Interesse an einer Teilnahme an dieser ersten Konferenz hat", heißt es seitens des Außenministeriums in Bern. Dennoch will die Schweiz Russland in den Prozess miteinbeziehen. "Ein Friedensprozess ohne Russland ist undenkbar", betonen die Schweizer. Wie die Eidgenossen die Russen noch an Bord holen wollen, sagen sie nicht. "Es ist zu hoffen, dass sich aus dem Treffen auf dem Bürgenstock eine Dynamik entwickelt, die beim nächsten Treffen, wo auch immer dieses stattfindet, dafür sorgen wird, dass auch Russland beteiligt sein wird", sagt der Schweizer Politikwissenschafter Laurent Goetschel dem STANDARD.

Russlands Machthaben Wladimir Putin ist "zum jetzigen Zeitpunkt" nicht zu der Konferenz in der Schweiz eingeladen.
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Frage: Könnten die Russen doch noch kommen?

Antwort: Diplomaten bei den Vereinten Nationen betonen, dass sich die Schweizer mit der Nichteinladung in eine schwierige Lage manövriert hätten. "Das Ignorieren der Russen ist ein Fauxpas", sagt ein Unterhändler. Gemäß der Neuen Zürcher Zeitung besteht noch die Möglichkeit, dass die Verantwortlichen in Bern im letzten Moment umdenken und Russland um Teilnahme bitten. Doch dann dürfte Putin den Eidgenossen die kalte Schulter zeigen.

Frage: Wie reagiert Moskau?

Antwort: Die Russen attackieren die Schweiz seit Monaten verbal in scharfer Form. Außenminister Sergej Lawrow raunt, Helvetien habe sich von einem neutralen Staat in ein "offen feindseliges Land" verwandelt. Moskau versucht mit wirtschaftlichem und politischem Druck, möglichst viele Staaten von der Ukraine-Konferenz fernzuhalten. "Die Mehrheit der Führungspersönlichkeiten des Globalen Ostens und Südens werden diesem Treffen nicht beiwohnen", sagte Russlands Botschafter bei den UN in Genf, Gennadi Gatilow, dem STANDARD.

Frage: Macht eine Konferenz ohne Putin Sinn?

Antwort: Für Botschafter Gatilow ist klar: Ohne Russland mache das Stelldichein "sicherlich" keinen Sinn. Nur die Hotelindustrie in der Region werde gewinnen, höhnt Gatilow. Ähnlich äußert sich Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Das Institute for the Study of War hingegen sieht bei den Russen überhaupt keine Gesprächsbereitschaft: Putin halte an seinen maximalen Zielen fest, "die auf eine völlige Kapitulation der Ukraine und des Westens" hinausliefen. Russland habe "kein Interesse an Verhandlungen mit der Ukraine, die aufrichtig sind". An dieser Einschätzung des Instituts vom vergangenen März dürfte sich nichts geändert haben. Politikwissenschafter Goetschel wiederum erkennt einen Wert in der Konferenz: "Dass überhaupt eine solche Konferenz stattfindet, zeugt von der Bedeutung, welche die teilnehmenden Staaten der Beendigung des Krieges und der Lösungsfindung beimessen", erläutert Goetschel. "Je breiter und diverser die Teilnehmerschaft sein wird, umso repräsentativer werden die erzielten inhaltlichen Ergebnisse sein."

Frage: Macht die Konferenz den Vereinten Nationen Konkurrenz?

Antwort: Die UN spielen bei der Konferenz keine Hauptrolle. "Im Idealfall wäre der Bürgenstock eine Art geschrumpfte UN-Gemeinschaft, die zu den Grundwerten und Eckpfeilern eines künftigen Friedensprozesses Stellung bezieht", führt Politikwissenschafter Goetschel aus. "Es wäre auch denkbar, zu gegebenem Zeitpunkt einen künftigen Friedensprozess in die UN zu überführen."

Frage: Wird Putin während der Konferenz Stärke demonstrieren?

Antwort: Nach Einschätzung von Diplomaten ist es Kreml-Herrscher Putin zuzutrauen, dass er zum Zeitpunkt der Konferenz mit massiven militärischen Schlägen in der Ukraine seine Stärke demonstriert. Russland könnte auch versuchen, die Konferenz durch das Streuen gezielter Falschinformationen oder andere Mittel der hybriden Kriegsführung zu untergraben. Florian Schütz, Direktor des Schweizer Bundesamts für Cybersicherheit, sagte dem Sender SRF, ein russischer Hackerangriff auf Firmen oder Institutionen der Schweiz sei "sehr wahrscheinlich". (Jan Dirk Herbermann aus Genf, 7.6.2024)