Festwochen Jelinek Steuerfahndung
So jung kommen die drei Versionen ein und derselben Literaturnobelpreisträgerin auch nicht mehr zusammen: Susanne Wolff, Linne Reuss und Fritzi Haberlandt (v. li.) auf Festwochen-Besuch im Wiener Volkstheater.
Festwochen/Declair

Jemand musste Elfriede J. verleumdet haben; denn ohne dass sie sich gröberer Vergehen bewusst gewesen wäre, stattete ihr eines Tages die Finanzbehörde einen Besuch ab. Das Eindringen der Steuerfahnder in ihren Lebensbereich, verbunden mit der Beschlagnahme von Festplatten, hat Jelinek zum Verfassen von Angabe der Person angestachelt: einem ihrer furiosesten, zugleich unverblümtesten Monologe (2022).

Auf den Spuren des in alle Windungen und Ritzen versickernden Kapitals nimmt Jelinek die eigene Witterung auf: eine Art Spurensicherung als Fährtendienst. Verschwunden ist nicht allein das Geld. Verflüchtigt hat sich die eigene Familie. Verwandte sind unwiederbringlich dahin, Onkel und Cousin wurden vom Mahlwerk der NS-Barbaren zerrieben.

Jetzt, wo die Nobelpreisträgerin die Verluste des höheren Alters beklagt, ist auch noch der persönliche Zufluchtsort böse ramponiert. Auf der Drehbühne des Wiener Volkstheaters stehen nur noch windige Fragmente des eigenen Bungalows, mit Kachelrest und Porzellanschüssel (Ausstattung: Anja Rabes).

Ein Pianino spielt, von unsichtbaren Händen gerührt, nah am Portal. Der Gemahl der Dichterin (Bernd Moss als „Gottfried Hüngsberg“) sitzt als kontemplativer Weiser mit langem Künstlerhaar stumm an einer Konsole. Nur ab und zu wirft er mit kleinen Boshaftigkeiten wie mit Nüsschen nach ihr.

Funktionshosenträger

Jelinek selbst tritt auf in dreifacher Pracht. Wann immer sich eine der drei blonden, ungemein eloquenten Frauen müdegeredet hat, tritt ein weiteres Double auf den Plan: In Jossi Wieler, dem feinhörigsten Sprachspielleiter unter allen Jelinek-Regisseuren, haben sie ihren helvetischen Puppenbaumeister gefunden.

Jede von ihnen trägt die Galle auf der Zunge. Die Schauspielerinnen des Deutschen Theaters Berlin sind die Koloratursopranistinnen dieses Spuks. Jede knallt den Aktenordner ungehalten auf den Boden. "Bauen wir mal meine Lebenslaufbahn", hebt die äußerlich recht kaschmirweiche Linn Reusse an. Es ist stets die staatliche Behörde, die aus angepassten Bürgerinnen redende Subjekte macht. Aus Mitläufern werden "Funktionshosenträger" – und Steuerfahnder kontrollieren den Spülfluss im Privatklosett der Dichterin.

In der Version der ingrimmigen Fritzi Haberlandt wird Rokoko-Gift versprüht. Mit spitzen Fingern aus gerüschten Ärmeln modelliert die Mimin in Blitzes Schnelle Jelineks Sprachturmbauten. Kommt vom "Baldur" (von Schirach) auf den "Arthur" (Seyß-Inquart), von diesen beiden auf ihren Cousin – und macht auch vor dem funktionsethischen Gebrauchsliteraten Ferdinand von Schirach nicht halt.

Haberlandt ist eine sarkastische Königin. Mit Susanne Wolff als der Dritten im Bunde ziehen Spuren wienerischen Idioms wie finsteres Gewölk über die Bühne. Längst hat die Stunde der Selbstbezichtigung geschlagen. Unermüdlich geißelt Jelinek das eigene, unerschöpfliche Berennen aller Borniertheitswände.

Eigene Gespenstwerdung

Wolff beginnt ihren Monolog mit mehreren Clustern am Klavier. Mit perversem Genuss am Scheitern wird die eigene "Zweistaatenlösung" kommentiert. Jelineks Pendeln zwischen Bayern und Österreich dient als Aufhänger: Die Autorin kann ihre eigene Gespenstwerdung kritisieren. Sich selbst geißelt sie als "narzisstisches Ersatzobjekt". Anstelle der Eltern nimmt sie sich selbst in die Liebesmangel.

So weit kommt es noch an diesem ingeniösen Theaterabend: Die Dichterin möchte keine Kassandra sein – die Nachgeborene kein Opfer, das Mündel kein Vormund. "Ich gehöre zum Personal, nicht zur Herrschaft." Niemand widmet sich hingebungsvoller der Kunst der Selbstbezichtigung als Elfriede Jelinek.

In diesem Spiegelsaal der Brechungen stehen die drei Blondinen zum Chor vereinigt – und nehmen Maß an ihren Kindheitspuppen. Das letzte Wort gehört dem Ehemann, der realiter 2022 plötzlich verstorben ist. Er liest mutterseelenallein aus dem Textbuch – nur endet dieses abrupt, mitten im Satz. Sein vielsagendes Lächeln ins Publikum beendet ein Highlight der diesjährigen Festwochen, das vor nicht langer Zeit mit dem Nestroy-Preis geehrt worden ist. (Ronald Pohl, 6.6.2024)