Die massiven Verbalangriffe der FPÖ und vor allem ihres ORF-Stiftungsrats Peter Westenthaler beschäftigten am Donnerstag den ORF-Publikumsrat intensiv. Wirtschaftswissenschafter und Stiftungsrat Michael Meyer (WU Wien) aus der grünen Fraktion vermutet etwa, "dass man alle Rechtsmöglichkeiten ausschöpfen muss" gegenüber Westenthalers "Sperrfeuer". Möglicherweise brauche es "schärfere Waffen" als den Protestbrief der Stiftungsräte an Westenthaler. Meyer befürchtet etwa schon "vorauseilenden Gehorsam" von ORF-Journalistinnen und -Journalisten gegenüber der FPÖ.

Peter Westenthaler, hier im März bei seiner ersten Sitzung als ORF-Stiftungsrat der FPÖ, beschäftigte am Donnerstag in diesem Sitzungssaal den ORF-Publikumsrat.
APA Roland Schlager

ORF-Generaldirektor Roland Weißmann blieb im Publikumsrat bei seiner Zurückhaltung, zu Westenthaler Position zu beziehen: "Ich kommentiere meinen Aufsichtsrat, Stiftungs- oder Publikumsrat öffentlich nicht." Der ORF-Beitrag sei aber "rechtskonform", widersprach er Westenthalers Erklärung der Rechtswidrigkeit.

"Da braucht sich niemand zu fürchten"

Weißmann wies aber eine Schere im Kopf in seinen Redaktionen gegenüber der FPÖ zurück: Er habe keineswegs den Eindruck, dass die Journalistinnen und Journalisten "schaumgebremst" agierten "noch dass sie sich überbordend einschüchtern lassen". Das Unternehmen stehe hinter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, auch rechtlich, "da braucht sich niemand fürchten".

Meyer vermisste Fragen von ORF-Journalistinnen und -Journalisten nach dem Abstimmungsverhalten von Harald Vilimsky (FPÖ) als Europaabgeordnetem, das aus seiner Sicht "viel stärker den Interessen Russlands als Österreichs dient". Die ORF-Journalisten näherten sich der FPÖ offenbar schon "mit Glacéhandschuhen".

Willi Mernyi vom Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB) verlangte, "ORF-Journalistinnen zu schützen, die nichts anderes machen als ihre Arbeit". Er bezog sich auf persönliche Angriffe nach kritischen Fragen eines Report-Journalisten an Vilimsky, der das Interview abbrach und mit Ausschnitten skandalisierte. Der ORF veröffentlichte daraufhin das gesamte Material von dem Interview und wies die Kritik zurück. Mernyi im Publikumsrat: "Wenn ein Rechtsextremist als Rechtsextremist bezeichnet wird, kann er natürlich aufstehen und gehen." Wenn der ORF deshalb "skandalisiert wird und Journalisten angegriffen werden", müsse der ORF handeln.

"Mir fehlt eine Reaktion des Hauses"

"Völlig indiskutabel" ist Westenthalers Verhalten für Siegfried Meryn, entsandt von der SPÖ-Parteiakademie Renner-Institut. "Mir fehlt eine Reaktion des Hauses."

Zurückhaltung des ORF und seines Generaldirektors gegenüber Westenthaler kritisierte etwa Kommunikationswissenschafter Matthias Karmasin (Akademie der Wissenschaften) im Publikumsrat: "Ich bin dagegen, dass der ORF parteipolitisch vereinnahmt wird. Warum die Zurückhaltung?"

Der von den Neos in den Publikumsrat entsandte Publizist Wolf Lotter, selbst nicht anwesend, ließ über andere Mitglieder ausrichten, der Publikumsrat müsse entschieden gegen Westenthaler und seine Angriffe Stellung beziehen.

Publikums- und Stiftungsrätin Andrea Danmayer (Grüne Bildungswerkstatt Freda) verwies auf den Protestbrief von 30 der 35 Stiftungsräte an Westenthaler. "Wir fühlen uns an Regeln gebunden. Damit ist man immer im Nachteil gegenüber Menschen, die sich nicht an Regeln gebunden fühlen." Danmayr empfiehlt möglichst sachlichen Umgang mit der "Aufmerksamkeitsökonomie" Westenthalers, für die mediales und politisches Echo ein Erfolg sei.

"Voll im Dienst parteipolitischer Agitation"

"Ich weiß nicht, ob es gescheit ist, dass der ORF-Generaldirektor in den Diskurs mit einer politischen Partei geht", überlegte der bürgerliche Publikumsratsvorsitzende Walter Marschitz (Geschäftsführer Sozialwirtschaft Österreichs). Marschitz' Befund über Westenthalers Wirken als Stiftungsrat: "Es ist eine Änderung der Spielweise", die sich auch vom Auftreten anderer und bisheriger Vertreter der Freiheitlichen in ORF-Gremien unterscheidet, die Kritik "in konstruktiver Form geübt haben und trotzdem den ORF als wichtige Institution gesehen. Das ist jetzt etwas anderes."

"Öffentlich-rechtlicher Rundfunk wird immer im öffentlichen Diskurs stehen", sagte Marschitz. Es sei eine "legitime demokratische Position für eine Partei", dass es keinen öffentlich-rechtlichen Rundfunk brauche. Er sehe aber bei Westenthaler "das Problem der Vermischung von Rollen. Dass man in der Rolle des Mitglieds eines Aufsichtsgremium voll in den Dienst parteipolitischer Agitation stellt, halte ich für problematisch."

ORF-Beitrag "rechtskonform"

Der ORF-Generaldirektor widersprach im Publikumsrat aber klar Westenthalers Position, die 2024 eingeführte Haushaltsabgabe sei "rechtswidrig". Westenthaler bezieht sich etwa auf den Wiener Rechtsanwalt Alexander Scheer, wonach es einen Beschluss des Stiftungsrats über die Höhe des ORF-Beitrags brauche, auch wenn das Gesetz selbst die Höhe für die Jahre 2024 bis 2026 den Beitrag mit höchstens 15,30 Euro limitiere.

Weißmann betonte im Publikumsrat, der ORF-Beitrag sei "rechtskonform". Er verwies neuerlich auf eine Stellungnahme der KommAustria dazu, die ebenfalls auf die gesetzliche Vorgabe verwies, es brauche daher keinen Beschluss des Stiftungsrats, so die Behörde.

ORF-Wahlforscher mit Parteiklausel

Westenthaler wirft dem ORF etwa auch vor, nach der Trennung vom Meinungsforschungsinstitut Sora wegen eines Angebots an die SPÖ die Ausschreibung für die Wahlhochrechnungen auf das Sora-Nachfolgeinstitut Foresight zugeschnitten zu haben.

Weißmann widerspricht, er verweist im Publikumsrat auf eine "von einem der renommiertesten Vergabeexperten" ausgearbeitete internationale Ausschreibung, bei der "zwei Unternehmen im Rennen seien". Der ORF-General verwies insbesondere auf das Kriterium für künftige Wahlhochrechner: Aktuell und für die Zeit des ORF-Auftrags "müssen sich Unternehmen verpflichten, keine aktive Geschäftsbeziehung mit einer politischen Partei zu haben". (fid, 6.6.2024)