Blick auf eine Stahlschmelze der Voestalpine in Linz
Für die Aktionäre und Aktionärinnen des Stahlkonzerns Voestalpine gibt es derzeit kalt-warm. Erst durch Zufall wurde bekannt, dass es jahrelang Bilanzmanipulationen bei einem deutschen Tochterunternehmen gegeben hat. Untersuchungen sind am Laufen.
APA/HANS KLAUS TECHT

"One step ahead" – so lautet seit 2017 der Werbespruch von Voestalpine. Beim Umgang mit den ruchbar gewordenen Bilanzmanipulationen bei einem deutschen Tochterunternehmen war von vorausschauendem Agieren und Informieren jedoch nichts zu bemerken. Dem Management des Stahlkonzerns war das Frisieren der Bilanzen, das sich über einen Zeitraum von zehn Jahren hingezogen und in der Größenordnung von 100 Millionen Euro gelegen haben soll, jedenfalls keine schriftliche Mitteilung wert. Auch eine Ad-hoc-Meldung ist nicht erfolgt.

Bei der Bilanzpräsentation für das zurückliegende Geschäftsjahr 2023/24 am Mittwoch wurde dann zwar viel zum widrigen konjunkturellen Umfeld und zu den Herausforderungen, vor denen man stehe, gesagt; kein Wort des sechsköpfigen, von CEO Herbert Eibensteiner angeführten Vorstands aber zur Schönung der Bilanzzahlen. Wären die Oberösterreichischen Nachrichten nicht auf eine kryptische Passage im Geschäftsbericht aufmerksam gemacht oder selbst aufmerksam geworden – die Öffentlichkeit hätte noch immer keine Kenntnis der Manipulationen, die eine Herabsetzung des Eigenkapitals der Voestalpine um 100 Millionen Euro von 7,6 auf 7,5 Milliarden Euro nötig gemacht haben.

Aufsichtsrat in der Kritik

Der Aufsichtsrat, an dessen Spitze seit 1. April 2022 Wolfgang Eder sitzt, trug offenbar alles mit. Eder stand 40 Jahre im Dienste der Voestalpine; 15 Jahre, von 2004 bis 2019, hatte er die Zügel als CEO in der Hand. Manche Kritiker, die namentlich nicht genannt werden wollen, sagen, Eder sei "in gewissem Sinn betriebsblind", müsse sich selbst und seine Vergangenheit kontrollieren. Das ist eher schwierig.

Neben Eder sitzen mit Heinrich Schaller, Generaldirektor der Raiffeisenlandesbank Oberösterreich, und Franz Gasselsberger, Generaldirektor der Oberbank, zwei Vertreter von Kernaktionären der Voestalpine im Aufsichtsrat. Ingrid Görg (Constellium), Florian Khol (Rechtsanwalt), Maria Kubitschek (Arbeiterkammer) und Elisabeth Stadler (Vienna Insurance Group) vervollständigen das Gremium auf der Kapitalseite.

"Was da passiert ist, macht gar kein gutes Bild. Der Vorstand und vor allem der Aufsichtsrat werden sich am 3. Juli einige Fragen gefallen lassen müssen", sagt der Präsident des Interessenverbands für Anleger (IVA), Florian Beckermann, im Gespräch mit dem STANDARD. Für besagten Tag ist im Linzer Design-Center die Hauptversammlung von Voestalpine anberaumt.

Voestalpine-Chef Herbert Eibensteiner.
Der Chef der Voestalpine, Herbert Eibensteiner, wird sich bei der Hauptversammlung am 3. Juli im Linzer Design-Centereinige kritische Fragen von Aktionären und Aktionärinnen anhören müssen.
Florian Voggeneder/laif

Was steht nun in der fraglichen Passage, die sich auf Seite 112 des aktuellen Voestalpine-Geschäftsberichts findet? "Gegen Ende des 4. Quartals des Geschäftsjahres 2023/24 wurden bei einer Gesellschaft der Metal Forming Division bewusst ergebnisverbessernde Fehlbuchungen hinsichtlich der Bilanzierung und Bewertung von Vermögensgegenständen und Schulden identifiziert. Insbesondere in den Positionen der geleisteten Anzahlungen innerhalb der Vorräte und der sonstigen Forderungen (inklusive Vertragsvermögenswerte) wurden im Rahmen der Bilanzierung von Werkzeugen und Entwicklungsleistungen sowie bei Preisanpassungen auf Serienfertigungen zu hohe Aktivierungen vorgenommen bzw. Ausbuchungen unterlassen."

Eingeräumt hat Voestalpine inzwischen auf Nachfrage, dass eine Top-Führungskraft der Metallverarbeitungstochter Metal Forming Division mithilfe eines Buchhalters Zahlen über einen längeren Zeitraum geschönt hat. Besagte Person habe im vergangenen Herbst das Unternehmen verlassen. Warum die Bilanzfälschungen so viele Jahre lang niemandem aufgefallen sind, ist offen. Man sei erst heuer im Februar bei einem konzerninternen Controlling darauf gestoßen. Daraufhin sei der Aufsichtsrat informiert und eine Wirtschaftsprüfungskanzlei, eine der Big Four, aber nicht die Hauskanzlei Deloitte, mit Untersuchungen betraut worden. Ergebnisse werden bis September erwartet. Erst dann werde entschieden, ob es zu zivilrechtlichen Klagen oder strafrechtlichen Anzeigen kommt. Geldmittel sollen nicht abgeflossen sein.

Warum keine Ad-Hoc-Meldung?

Hätte es seitens der Voestalpine eine Ad-hoc-Meldung geben müssen? Die Meinungen dazu gehen auseinander. Die Frage, ob die Voest die Öffentlichkeit via Ad-hoc-Meldung hätte informieren müssen, hängt davon ab, ob sie die Information als Insiderinformation beurteilt. Das ist eine Information dann, wenn sie kursrelevant ist, also dazu geeignet, den Aktienkurs zu beeinflussen. Kommt das Unternehmen zu dem Schluss, dass dem so ist, muss die Öffentlichkeit unverzüglich informiert werden. Allenfalls kann die Veröffentlichung aufgeschoben werden, wenn nämlich Schaden aus der Veröffentlichung entstünde. Das muss dann aber begründet werden, die Aufsicht muss informiert werden.

Dass die Voest nichts veröffentlicht hat, lässt darauf schließen, dass das Unternehmen die Information als nicht kursrelevant eingestuft hat.

Die mit der Überwachung der Wiener Börse betraute Finanzmarktaufsicht (FMA) wird auch diesen Fall unter die Lupe nehmen. Ein FMA-Sprecher bestätigt, dass sich die Aufsicht alle relevanten Informationen im Handel mit börsennotierten Papieren anschaue.

Vergangenheit holt Voest ein

Aufklärungsbedürftige Vorkommnisse gab es bei der Voestalpine auch in der Vergangenheit. Im Herbst 2002 etwa hat die Aufsichtsbehörde FMA einen damaligen hochrangigen Manager bei der Staatsanwaltschaft Wien angezeigt. Der Verdacht lautete: Insiderhandel in Aktien der vormals börsennotierten Voestalpine-Tochter VA Eisenbahnsysteme AG (VAE). Damals lautete der Slogan von Voestalpine noch: "Einen Schritt voraus".

Die FMA war aufgrund ihrer Erhebungen zur Ansicht gelangt, dass der Voestalpine-Mann, der zugleich im Aufsichtsrat der VAE saß, im Juli 2002 sein Wissen um eine bevorstehende Großtransaktion missbraucht hatte, um mit Aktien der VAE zu spekulieren und dabei einen Gewinn von 250.000 Euro zu erzielen. Der gesetzlich festgelegte Strafrahmen für Insiderhandel: bis zu zwei Jahre Haft.

Kein Geldabfluss

Zu einer Anklage kam es aber nie. Der ermittelnde Staatsanwalt schlug dem unbescholtenen Voest-Manager im März 2003 eine außergerichtliche Einigung vor: Der spendete den gesamten Gewinn karitativen Einrichtungen und zahlte zudem weitere 50.000 Euro an die Republik Österreich.

Beim jetzt aufgepoppten Fall soll es nicht zu einer Bereicherung gekommen sein. Der beschuldigte Manager der deutschen Tochter soll kein Geld in die eigene Tasche gewirtschaftet haben, heißt es. Möglicherweise sei es ihm darum gegangen, die Zahlen besser darzustellen, als sie es tatsächlich waren, um dadurch intern eine besseres Standing zu haben und seine Berufskarriere zu befördern. (Günther Strobl, Renate Graber, 6.6.2024)