Sabin Tambrea als Franz Kafka und Henriette Confurius als Dora Diamant in "Die Herrlichkeit des Lebens".
Majestic Christian Schulz

Kafka am Strand hat sich schon Haruki Murakami vorgestellt – im gleichnamigen Fantasy-Roman. Doch der berühmte Schriftsteller aus Prag, dessen 100. Todestag die Literaturwelt diese Woche begeht, war damit nicht gemeint. Nun schickt ein Kino-Biopic Franz Kafka tatsächlich an den Strand, konkret ins mecklenburgische Seeheilbad Graal-Müritz. Kein besonders romantischer Name, aber historisch belegter Begegnungsort von Kafka und Dora Diamant. Die 24-jährige jüdische Polin mit dem klingenden Namen geht in Kafkas Biografie als seine letzte Liebe ein, mit der er kurz aufblühte und die ihn bis zu seinem Tuberkulose-Tod pflegte. Sie war Kindergärtnerin, Kommunistin und Schauspielerin und überlebte ihren berühmten Partner um fast drei Jahrzehnte bis zu ihrem Tod 1952 in London. Dem Schicksal als letzte biografische Fußnote in seinem Leben ist sie dennoch nicht entkommen. Der Film Die Herrlichkeit des Lebens erzählt nun von der Beziehung der beiden in Berlin, fernab von seinem dominanten Vater.

Biografische Kafka-Klischees gibt es fast so viele wie schulische Interpretationen seiner Texte. Werk und Autor werden in seinem Fall nur allzu gerne übereinandergelegt, das Adjektiv kafkaesk auf den Menschen angewandt. Kafka haftet das Image des sensiblen Genies und depressiven Eigenbrötlers an. Mit diesen Klischees brachen vor kurzem bereits David Schalko und Daniel Kehlmann in ihrer durchwachsenen, komödiantisch-experimentellen Serie Kafka, deren letzte Folge Dora Diamant gewidmet ist. Und auch Dora Diamant selbst hat am Ende ihres eigenen Lebens noch versucht, gegen das einseitige Bild des asketischen, liebesunfähigen Hungerkünstlers anzuschreiben.

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Der leise Kino-Spielfilm des deutschen Regieduos Georg Maas und Judith Kaufmann nimmt diesen Faden im Kafka-Jahr nun auf, basierend auf dem gleichnamigen Bestseller von Michael Kumpfmüller. Ihr Film ist eine ernstere, weniger wilde Annäherung als Schalkos Serie und fügt dem Kafka-Bild mithilfe der Romanvorlage dennoch neue Facetten hinzu. Denn wer stellt sich Franz Kafka schon glücklich verliebt vor?

Gegen das Klischee

Immer wieder steht Die Herrlichkeit des Lebens unter Kitschverdacht, im romantischen Glück wie auch in der Tragik des Tuberkulose-Todes, in der Ostsee-Sonne wie im kalten Berliner Winter der Hyperinflationszeit. Doch die Hauptdarstellenden (zusammen bereits in Stefan Ruzowitzkys Narziss und Goldmund zu sehen) meistern auch die todernsten Szenen und die Inszenierung. Und die Bilder von Kamerafrau Judith Kaufmann übertreiben es nicht allzu sehr mit dem Pathos. Sabin Tambrea arbeitet gegen das depressive Kafka-Klischee, und Henriette Confurius gibt Dora eine selbstbewusste Perspektive als Hauptfigur. Die Chemie der beiden stimmt. Nur der letzte Akt im Kierlinger Sanatorium bis zu Kafkas Tod am 3. Juni 1924 gerät etwas lang.

Kafka am Strand, nämlich im mecklenburgischen Seeheilbad Graal-Müritz. Hier begegnete er Dora Diamant.
Majestic Christian Schulz

Dieses letzte Jahr von Dora und Franz, das der Film erzählt, lädt jedenfalls zum Spekulieren ein. Was wäre ohne Kafkas Krankheit und Tod gewesen? Welches Kafka-Bild hätten wir heute? Oder wäre er womöglich glücklich geworden und unbekannt geblieben? Kafkas Briefe an Dora, 1933 von der Gestapo beschlagnahmt, harren derweil noch ihrer Entdeckung im Bundesarchiv.

Was mit Kafka am Ostsee-Strand begonnen hat, darf in dieser Geschichte in einem Klosterneuburger Heurigen einen Abschluss finden. Auf dieses kleine Abschiedsglück von Franz und Dora lässt sich anstoßen. (Marian Wilhelm, 6.6.2024)