Ein Polizeieinsatz am Rande von Wien.
Nach Einschätzung der Exekutive besitzen tschetschenische Banden eine Vormachtstellung in Österreich.
APA/GEORG HOCHMUTH

Der neueste Sicherheitsbericht des Innenministeriums ist da. Am Mittwoch wurde darüber im Innenausschuss des Nationalrats beraten. Der Bericht behandelt das Jahr 2022 und zeigt eine Reihe neuer Entwicklungen auf. Ein Überblick in vier Hauptpunkten.

Veränderungen in der Rockerszene

Die Kriminalbeamten beobachten einen "Wandel" in der hiesigen Rockerszene. Bisher gaben unter den organisierten Motorradklubs in Österreich die Hells Angels den Ton an – wie auch weltweit. Von einer ernsthaften Konkurrenz fehlte hierzulande lange jede Spur. Nun drängen aber die Bandidos ins Land. Beide Gangs haben ihren Ursprung in den USA.

Im Sommer des Vorjahres fielen die Bandidos erstmals auf, als die Exekutive in Oberösterreich ein riesiges Waffenarsenal aushob. Offenbar schwebte den Bikern vor, dort einen Ableger zu gründen. Dafür nutzen sie die Strukturen der zerschlagen geglaubten neonazistischen Gruppe Objekt 21. Nach einigen Festnahmen kam es bisher zu vier Verurteilungen und Haftstrafen nach dem Verbotsgesetz und Suchtgiftdelikten. Ein größerer Prozess gegen insgesamt fünf Verdächtige in der Causa steht noch aus.

Im vergangenen April wollten sie sich in einem Vereinslokal in St. Pölten niederlassen. Als der Plan öffentlich wurde, machte der Vermieter einen Rückzieher. Die Rocker mischen im Drogengeschäft mit: In Tirol wurden im Zusammenhang mit dem Schmuggel von 150 Kilogramm Kokain in den vergangenen Jahren mehrere Bandidos festgenommen.

Von Revierkämpfen, sogenannten "Rockerkriegen", wie etwa in Deutschland oder in der Schweiz blieb Österreich bisher zumindest noch verschont. Durch den Einfluss der Bandidos hält das Bundeskriminalamt "ein erhöhtes Gewaltpotenzial" für wahrscheinlicher. Sie sind zudem nicht die einzigen Newcomer: In Österreich ist neuerdings auch die irakische Rockerbande Al Salam 313 aktiv. Die Gruppe wurde in Deutschland gegründet und ist mittlerweile in mehreren europäischen Ländern aktiv. Ihre Mitglieder posieren mit Motorrädern und schnellen Autos, sie gelten als Strengreligiöse und sprechen auch Todesdrohungen gegen irakische Flüchtlinge im Westen aus. Ein Messerattentat auf einen irakischen Regimekritiker soll auf sie zurückgehen.

Neue Clans und Banden

Wenn von Clan-Kriminalität die Rede ist, blickt man im deutschsprachigen Raum in der Regel nach Deutschland. Vor allem ab den 1980er-Jahren etablierten sich dort arabische und palästinensische Großfamilien in der organisierten Kriminalität – ursprünglich auch, weil sie regulär nicht arbeiten durften. Der wohl bekannteste Verbund ist der Abou-Chaker-Clan, dessen Anführer lange im Management des Deutschrappers Bushido war.

Im Sicherheitsbericht wird vermerkt, dass arabische Clans aus Deutschland verstärkt auch in Österreich Geschäfte machen: allen voran im Bereich von Schlüssel- oder Installationsnotdiensten. Sogenannte "Arbeitsteams" verrichten demnach Arbeiten zu völlig überhöhten Preisen. Die Teams selbst werden laufend ausgetauscht, um den Betrug bestmöglich zu verschleiern.

Beobachtet werden außerdem Tätergruppen aus der Ukraine, die in Österreich Erpressungen und Entführungen begehen. Österreich nutzen Kriminelle als Rückzugsort, um einem Strafverfahren in der Heimat zu entgehen, da ihnen wegen des Krieges hierzulande – im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern – keine Auslieferung droht. Außerdem werde in Österreich teils "beträchtliches Vermögen" gewaschen. Tätergruppen aus der Ukraine sind unter anderem im Drogen- und Waffenhandel aktiv und gelten "als äußerst gewalttätig", wird im Sicherheitsbericht festgehalten. Auch Kriminelle aus der Russischen Föderation tauchen in Österreich unter.

Große Player

Tschetschenische Banden hätten inzwischen eine derart herausragende Stellung in der organisierten Kriminalität inne, dass sich andere Gruppen mit ihnen arrangieren müssten, um ihren Geschäften ungestört nachgehen zu können. Sie beherrschen Felder wie Wirtschafts- oder Cyberkriminalität, Erpressung, den Drogen- und Waffenhandel, aber auch illegales Glücksspiel und nicht angemeldete Shisha-Bars. Afghanische Tätergruppen wiederum würden eine "zunehmende Herausforderung" in unterschiedlichen Bereichen darstellen, etwa im Suchtmittelhandel, in der Schutzgelderpressung oder im Straßenraub.

Bei den illegalen Geschäften wird arbeitsteilig vorgegangen: So werden in Lokalen, die Österreicher oder Türkischstämmige betreiben und in denen Suchmittel verkauft werden, nicht selten Tschetschenen als Türsteher beschäftigt. Vereinzelt kommt es allerdings auch zu gewalttätigen Revierkämpfen, hält der Bericht fest und nennt vor allem jene zwischen Afghanen und Tschetschenen.

Angezeigte Straftaten

Die Anzeigen im Bereich der Gewaltdelikte nahmen 2022 im Vergleich zu 2021 um knapp 17 Prozent zu. Im Zehn-Jahres-Vergleich war die Anzahl der Straftaten 2022 am höchsten, wobei sich in dieser Zeitspanne auch die juristische Definition des Gewaltbegriffs veränderte. Neue Delikte kamen hinzu, Paragrafen wurden erweitert. Die Aufklärungsquote war leicht geringer als im Jahr zuvor (83 versus 86 Prozent), über die vergangenen Jahrzehnte hinweg ist sie tendenziell gestiegen. Stichwaffen waren 2022 bei den Gewaltdelikten die am häufigsten verwendeten Waffen. Sie seien im häuslichen Bereich leicht verfügbar, kämen aber auch im Rahmen der Beschaffungskriminalität oft zur Verwendung, wird im Sicherheitsbericht ausgeführt.

Auch bei den Anzeigen wegen (versuchter und durchgeführter) Vergewaltigungen wurde ein Anstieg verzeichnet. 2022 waren es 1139, im Jahr zuvor 1054. 512 der 872 wegen vollendeter Vergewaltigung angezeigten Verdächtigen hatten eine österreichische Staatsbürgerschaft. Von den 972 Opfern einer vollendeten Vergewaltigung hatten 696 eine österreichische und 276 Personen eine andere Staatsbürgerschaft.

Die Zahl der Einbrüche in Wohnräume ist entgegen dem Trend der letzten Jahre 2022 wieder gestiegen (6058). Allerdings waren die Jahre 2021 und 2020 stark von der Corona-Pandemie geprägt, in der aufgrund von Lockdowns und Reisebeschränkungen weniger Einbrüche stattfanden. Im Feld der Internetkriminalität, also konkret Angriffe auf Daten und Computersysteme, geht der kontinuierliche Anzeigenzuwachs weiter. Internetbetrug ist hier der größte Faktor: In absoluten Zahlen listet der Sicherheitsbericht 27.629 angezeigte Delikte in diesem Bereich auf, die beispielsweise auf Lovescam oder das Anbieten von nichtexistierenden Waren zurückgehen (2021: 22.440).

Allgemein spielt das Thema Menschenhandel weiterhin eine Rolle. Die Ermittlungsverfahren in diesem Bereich haben sich auf 41 verdoppelt. Jene des Prostitutionshandels sind annähernd gleich geblieben. Opfer werden für gewöhnlich über soziale Medien, in Diskotheken, im Umfeld von Obdachlosenheimen oder direkt auf der Straße in den jeweiligen Heimatländern angeworben. Eine häufige Methode ist laut Sicherheitsbericht das Vortäuschen einer Liebesbeziehung, um junge Frauen in die Prostitution zu zwingen. Im speziellen Fall von Opfern aus Nigeria wird nicht selten Voodoo eingesetzt, um Frauen, die sich vor göttlicher Strafe fürchten, auszubeuten. (Anna Giulia Fink, Jan Michael Marchart, 5.6.2024)