Megan Thee Stallion auf dem Cover ihres neuen Albums. Zementiert sie Stereotype ein, oder ist das dieses Empowerment? Wahrscheinlich beides.
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Wäre es biologisch möglich, könnte man viele Tracks als Zipfelmesserei abtun. Der Begriff ist drüben bei den männlichen Kollegen geborgt und beschreibt einschlägige Prahlerei: Wer hat den dickeren Autoreifen in der Hose?

Doch auch auf der anderen Seite der Geschlechterfront wird gemessen. Da geht es darum, wer die ärgere Bitch mit dem hotteren Hintern ist. Revier markieren, wie der Biologe sagt, Brunft und Imponiergehabe. Der Mensch ist auch nur Vierbeiner.

Buchstäblich vorgetanzt bekommt die Popkultur das von vielen. Eine bekannte Vertreterin dieses Fachs ist die Rapperin Megan Thee Stallion. Sie hat eben ihr viertes Album veröffentlicht. Es heißt selbstbezogen Megan und strotzt vor eindeutigen Zweideutigkeiten. Entweder gilt es, einer Rivalin derbe den ihr zustehenden Platz in Erinnerung zu rufen, oder darum, dass ein Boy zu liefern hat. Sie, Megan, würde das ebenfalls tun.

Megan Thee Stallion heißt bürgerlich Megan Pete und stammt aus dem globalen Wilden Westen, aus Texas. Sie ist 29 und debütierte 2019 mit dem Album Fever. Im Jahr darauf wurde sie einem größeren Publikum bekannt, da ihr der kanadische Rapper Tory Lanez in die Füße geschossen hat, was unter großer medialer Anteilnahme zehn Jahre Haft für Lanez bedeutete. Pete sagt, sie leide immer noch unter dem Trauma. Doch das Leben geht weiter, Kunst ist immer auch Therapie, psychisches Entlastungsgerinne.

"Die Hengst"

Mit dem Appendix "Thee Stallion" umschreibt die Trap-Rapperin einerseits ihre Physis – ein Indiz dafür, dass sie im Business selbst über ihre Außenwahrnehmung bestimmen möchte. Andererseits adaptiert sie damit Eigenschaften wie Stärke, Ausdauer, Potenz.

Megan Thee Stallion - HISS [Official Video]
Megan Thee Stallion

Ihr größter Hit war 2020 WAP. Das steht kurz für "Wet-Ass Pussy" und war eine Zusammenarbeit mit der Rapperin Cardi B. In dem dazugehörigen Video feiern die beiden beckenbodenintensiv ihre Körpersäfte, ohne dabei die Subtilität über Gebühr zu bemühen. Nicht nur Beach Boys haben Fun, Fun, Fun.

Bei derlei explizitem Spaß steht dann stets die Frage in der Tür: Ist das noch Feminismus oder bloß die Erfüllung männlicher Feuchtträume? Je nach Sichtweise wird es als Ermächtigung interpretiert. Oder als Verfestigung von Stereotypen. Eine eindeutige Antwort gibt es nicht, niemand hat da die längere Ahnung.

Sex ist im Pop ein Dauerthema. Von der Anbahnung über das Begehren bis zum Vollzug und den Nachwehen, alles wurde auf fast jede Art und Weise schon besungen. Seit jedes individuelle Pläsierchen zudem als politisch gilt und, wenn die Sterne ungünstig stehen, via soziale Medien Aufmerksamkeit erhält, ist die Sache nicht einfacher geworden. Oder besser.

Zweierlei Maß

Es wurde zum Beispiel an der Nomenklatur geschraubt: Will heute jemand seine oder ihre Geilheit akzeptiert wissen, geht das am besten über den Begriff "sexpositiv". Wer möchte schon sexnegativ dastehen? Dem folgt, einem Schatten gleich, die Rede vom Empowerment.

Megan Thee Stallion gilt als eine, die sich ermächtigt habe. Sogar ein eigenes Label hat sie: Hot Girl Productions. Beeindruckend. Wobei der Begriff, wie man sieht, mittlerweile für jede halbwegs autonome Handlung verwendet wird und dabei durchaus zweierlei Maß genommen wird.

Megan Thee Stallion - BOA [Official Video]
Megan Thee Stallion

Der populäre brasilianische Comedian Rafi Bastos fragt in einem seiner Sketches, warum es bei einer Frau Selbstermächtigung heißt, wenn sie einen Dildo verwendet. Greift hingegen ein Mann zu einer Plastikvagina, ist er ein Loser: "Why?" Die Antwort bleibt offen.

Männliche Erektionen

Wobei selbst die vermeintliche Selbstermächtigung kritisch hinterfragt wird. Gilt sie vielen doch als "Defizitdiagnose", was nicht gerne gehört wird. Und es erscheint mitunter überzogen, zumal Pop ohnedies zusehends weiblich dominiert ist. Und sehr oft wird die Behauptung des Empowerment für etwas bemüht, das eigentlich bloß die Tradition des "Sex Sells" weiterführt.

Aber Empowerment trendet halt gerade gar so gut und rechtfertigt so manche heruntergelassene Hose, so manches Flashing. Dabei ist es oft nur ein neues Etikett für eine alte Strategie. Die streitbare britische Feministin, Popschreiberin und Autorin Julie Burchill meint dazu knapp: "Das Einzige, was ihr ermächtigt, wenn ihr eure Titten zeigt, sind männliche Erektionen."

"Sex" von Madonna

Eine Zäsur in der Diskussion über Sex im Pop markierte das 1992 erschienene Buch Sex von Madonna. Der aufwendige Fotoband mit inszenierten Nacktfotos des Stars war ein Versuch, sich als selbstbestimmtes sexuelles Wesen zu präsentieren. Nicht dass man bei Madonna je an etwas anderes gedacht hätte, aber gut. Sie wollte keine vage erotische Projektionsfläche sein, sondern ohne viel Text Klarheit schaffen. Das ging nicht gut.

Die nackte Madonna zog sich Ungemach aus der Domina-, Fetisch- und Sadomaso-Welt zu. Dort warf man ihr vor, kokette Aneignung zu betreiben. Immerhin, wer Madonna edel inszeniert nackt sehen wollte, kam auf seine Kosten. Die Prüderie, gegen die sie vorgeblich und vergeblich ankämpfte, zensierte das Buch, anderswo wurden seine Einfuhr und Verbreitung verboten. Madonnas Karriere knickte ein.

Abgegebene Deutungshoheit

Die meisten Künstler sind sich darin einig, dass sie mit einer Veröffentlichung die Deutungshoheit über ein Werk abgeben. Ob Lied, ob Bild, ob Film, ob Buch. Sie müssen es aushalten, dass ihre Werke Eigenleben entwickeln. Ein Megan-Thee-Stallion-Video kann als Statement für weibliche Selbstbestimmung betrachtet werden. Oder Feministinnen den Kopf schütteln lassen. Ein Megan-Thee-Stallion-Video kann testosteronhaltige Reaktionen hervorrufen. Gewollt oder nicht.

Madonnas Buch mag von ihrer Absicht her ein Schuss in den Ofen gewesen sein, am Ende besaß sie 20 Millionen Dollar mehr. Sex verkauft sich, es ist ein Trost mit vielen Nullen. Einer, mit dem auch Megan The Stallion gut leben können wird, wenn sie missverstanden wird. Solange ihr Kunst millionenfach geklickt und gestreamt wird, ist alles gut. Und wenn nicht, kann sie es ja einmal hochgeschlossen probieren. Schließlich geht’s ja eigentlich um Musik. Angeblich. (Karl Fluch, 29.6.2024)