Handy in einer Hand.
Was ist "Politik"? Was ein "politischer Inhalt"? In den sozialen Medien gelten eigene Regeln.
Foto: Getty Images / Polinmr

Man muss sich einer Sache bewusst sein: Die großen Plattformen entscheiden für uns, was als "Politik" beziehungsweise als "politischer Inhalt" eingestuft wird – und welche Regeln gelten. So kann es sein, dass politische Inhalte in der Reichweite gedrosselt werden oder politische Werbung höhere Auflagen erfüllen muss. Zwei Beispiele aus diesem Wahljahr: Der Verlag Hashtag Media hat ein sehenswertes Youtube-Video über rechtspopulistischen Parteien auf Tiktok gemacht. Er wollte dieses bewerben, blitzte aber ab – denn er hatte sich nicht als Lieferant "politischer Werbung" registriert.

Zweiter Vorfall: Schon im Frühjahr sorgte Instagram für Furore, weil es einschränkt, wie sichtbar politische Inhalte sind. So werden Videos mit politischen Themen nicht mehr einem größeren Publikum als Empfehlung eingeblendet, das heißt, sie werden in ihrer Reichweite – verglichen mit anderen Beiträgen – gebremst (Userinnen und User können die Begrenzung für sich ausschalten). Diese Vorfälle sind inhaltlich unterschiedlich, haben aber eine Gemeinsamkeit: In beiden Fällen geben Plattformen die Regeln rund um politische Rede vor.

Schwierige Grenzziehung

Besonders problematisch erscheint mir die Beschränkung politischer Inhalte durch Instagram. Denn zu unserer demokratischen Gesellschaft gehört dazu, dass wir genauso laut und sichtbar über politische Fragen reden können wie über Unpolitisches (wie Kochrezepte oder Schminken). Wobei die Grenzziehung zwischen Unpolitischem und Politischem ja schwierig ist: Mutterkonzern Meta bleibt vage, wann etwas als politisch eingestuft wird, spricht von Postings "beispielsweise zu Gesetzen, Wahlen oder gesellschaftlich relevanten Themen". "Gesellschaftlich relevant" ist schnell etwas, und bitte: Wieso soll ausgerechnet gesellschaftlich Relevantes weniger sichtbar sein? Nicht nur ich sehe das kritisch: Diese eingeschränkte Sichtbarkeit ist Teil des "förmlichen Verfahrens gegen Facebook und Instagram", das die EU einleitete. Sie prüft, ob Instagram die europäische Rechtslage verletzt.

Anleitung des STANDARD, wie man die Limitierung politischer Inhalte auf Instagram ausschaltet.

Zweites Beispiel: Youtube hat die Bewerbung eines journalistischen Beitrags unterbunden. Hier hingegen kann ich das Vorgehen nachvollziehen, es geht um Transparenz bei Online-Werbung. Youtube hat schon vor längerem die Kategorie "politische Werbung" eingeführt – wer Videos mit politischen Themen bewerben will, muss zuvor eine Zusatzregistrierung durchlaufen. Alle beworbenen politischen Videos erscheinen in einer Transparenzdatenbank. Für Medien kann das irritierend sein: Denn sie berichten zwar über Politik, sehen sich aber nicht als politische Player. Trotzdem erscheint mir dieses Vorgehen sinnvoll, es ist besser, wenn eine solche Transparenzdatenbank eine Spur zu groß als eine Spur zu klein ist. Ich verstehe, dass Hashtag Media irritiert war, als die Bewerbung ihres Journalismus abgelehnt wurde, aber sie müssen wohl diese Registrierung durchlaufen.

Enormer Spielraum

Diese Vorfälle zeigen: Nicht jedes Vorgehen der Plattformen ist problematisch, aber insgesamt haben diese Unternehmen enormen Spielraum, wie sie mit politischer Rede verfahren. Mein Wunsch deshalb: Die EU-Kommission hat bereits Verfahren gegen Instagram, Facebook, Tiktok und Co eingeleitet – sie soll diese streng durchführen und so mitdefinieren, was faire Regeln für Wahlkämpfe auszeichnet. Denn dass wir darauf hoffen, dass die großen Social-Media-Unternehmen umsichtig vorgehen, ist zu wenig: Es braucht rechtliche Leitlinien. (Ingrid Brodnig, 6.6.2024)