Nationalratspräsident und ÖVP-Mann Wolfgang Sobotka will im Herbst nicht mehr kandidieren.
APA/ROLAND SCHLAGER

In weiten Teilen der ÖVP galt Wolfgang Sobotka bereits als Fixstarter für die Wahl im Herbst. Er hatte zwar keinen Platz auf der niederösterreichischen Landesliste bekommen. Die türkise Bundesliste ist aber noch nicht fixiert – oder: jedenfalls noch nicht öffentlich. Und der Nationalratspräsident sollte eigentlich gute Chancen auf einen aussichtsreichen Listenplatz haben: Sobotka pflegt ein freundschaftliches Verhältnis zu Kanzler und ÖVP-Obmann Karl Nehammer sowie auch zu Klubchef August Wöginger.

Es war schon immer das große Talent Sobotkas, keinem parteiinternen Lager zuordenbar zu sein – und sich mühelos in jene Truppe einzuordnen, die gerade das Ruder hält. So war das auch in der Vergangenheit: mit Kurz, mit Spindelegger, mit Pröll. Er sei loyal zu all seinen Parteivorsitzenden gestanden, erklärte Sobotka gerade selbst in einem Interview mit dem Kurier, in dem er seinen politischen Rückzug bekanntgab. Die eine Ausnahme sei ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner gewesen, an dessen Demontage Sobotka mitgewirkt hatte – als Unterstützer der Mannschaft von Sebastian Kurz, der Sobotka nach der Wahl 2017 zum Nationalratspräsidenten machte.

Nun möchte Sobotka dem Parlament den Rücken kehren. Er gab seine Entscheidung am Dienstag bekannt. "Ich wollte immer selbstbestimmt aus der Politik ausscheiden und nicht darauf warten, dass andere mir sagen, ich soll gehen", zitiert ihn der Kurier dazu. Die Presse berichtet am Mittwoch, Sobotka solle künftig die Parteiakademie der ÖVP leiten, derzeit ist er deren Vizepräsident. Die Leiterin ist aktuell Bettina Rausch, eine frühere Kurz-Vertraute.

Zahlreiche Rücktrittsaufforderungen

Mit Sobotka wird einer der umstrittensten Politiker Österreichs von der tagespolitischen Bühne treten. Er liegt im APA-Vertrauensindex seit vielen Monaten konstant auf dem letzten Platz: Kein anderer Politiker genießt so wenig Vertrauen in der Bevölkerung wie der Parlamentspräsident. Die Opposition hält ihn seit Jahren für rücktrittsreif, auch politische Kommentatoren haben ihm schon mehrfach nahegelegt, es besser sein zu lassen; und selbst mächtige Grüne – Koalitionspartner der ÖVP – haben schon vor langer Zeit befunden, dass Sobotka nicht mehr tragbar sei.

In der ÖVP hingegen genießt Sobotka auch großen Respekt. Über sein Heimatbundesland hinaus hat der Niederösterreicher eine innerparteiliche Fan-Basis entwickelt – auch deshalb, weil er sich anscheinend durch nichts und niemanden einschüchtern lässt und sich mit seiner Meinung nicht zurückhält. Über viele Jahre galt Sobotka als einer der mächtigsten Politiker Niederösterreichs, gar als potenzieller Landeshauptmann. Bis heute zieht er in der ÖVP viele Fäden.

Aber warum ist Sobotka so umstritten?

1. Der Ibiza-U-Ausschuss

Das Absinken im Vertrauensindex geht mit der Diskussion um seine Vorsitzführung im Ibiza-U-Ausschuss im Jahr 2020 einher, wie die APA ausgewertet hat. Als Nationalratspräsident stand ihm der Vorsitz des Kontrollgremiums zu, die Opposition warf Sobotka aber schon damals Befangenheit vor. Sobotka selbst musste mehrfach im U-Ausschuss aussagen – und im Bericht darüber als Vorsitzender seine eigene Aussage bewerten.

2. Das Alois-Mock-Institut

Das Mock-Institut wurde 2012 als Thinktank aus dem direkten Umfeld der ÖVP Niederösterreich aufgebaut. Leiter der "Denkfabrik" war Wolfgang Sobotka. Im Oktober 2020 wurde bekannt, dass das Mock-Institut mit mehr als 100.000 Euro vom Glücksspielkonzern Novomatic unterstützt wurde. Im späteren ÖVP-Korruptions-Ausschuss konnte aufgezeigt werden, dass sich das Institut zwischen 2017 und 2019 zum Teil über Unternehmen finanzierte, an denen das Land Niederösterreich beteiligt war. Thomas Schmid, der ehemalige Generalsekretär im Finanzministerium, sprach in einer Zeugeneinvernahme davon, im Sinne Sobotkas sei eine Steuerprüfung des Mock-Instituts abgewendet worden. Sobotka bestreitet das vehement.

Für Aufregung sorgte Ende 2020 ein Oe24-Interview mit Sobotka, in dem er, angesprochen auf Inserate des Glücksspielkonzerns Novomatic in einer Zeitschrift des Alois-Mock-Instituts, meinte: "Sie kennen das Geschäft. Fürs Inserat gibt's ein Gegengeschäft, natürlich. Das wird man wohl machen dürfen, wenn man einen Thinktank hat."

3. ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss

Im Frühjahr 2021 startete der sogenannte ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss – und erneut gab es eine große Diskussion über Sobotkas Vorsitzführung. Sobotka ließ sich von Kritik jedoch wieder nicht beirren.

4. Die Pilnacek-Tapes

Auf einer heimlich erstellten Aufnahme in einem Lokal belastet der damals suspendierte Justiz-Sektionschef Christian Pilnacek mehrere ÖVP-Politiker, darunter Sobotka, sie hätten bei wichtigen Justizfällen bei ihm interveniert – allerdings ohne Erfolg. Sobotka bestreitet auch diesen Vorwurf energisch. Pilnacek ist inzwischen verstorben und kann nicht mehr befragt werden. Seine Witwe klagt den Mann, der die geheime Aufnahme angefertigt hat.

5. Eingestellte Ermittlungen wegen Postenbesetzung

Aufsehen gab es auch um Ermittlungen gegen Sobotka wegen des Verdachts des Amtsmissbrauchs. Dabei ging es um eine Postenbesetzung aus dem Jahr 2017: Aus einem Chatverlauf, der auf dem Handy von Ex-Kabinettschef Michael Kloibmüller gefunden wurde, ging hervor, dass von der ÖVP eine als Wiener Vizelandespolizeidirektorin vorgesehene Kandidatin verhindert worden sein soll, da sie als "SPÖ-Nahe" betrachtet wurde. Sobotka wurde daraufhin angezeigt. Er wehrte sich vehement, sprach davon, "angeschüttet" worden zu sein. Das Ermittlungsverfahren gegen ihn wurde im Jänner 2024 eingestellt.

Engagement im Kampf gegen Antisemitismus

Sobotka steht jedoch auch für sein ausgeprägtes Engagement im Kampf gegen Antisemitismus. Regelmäßig lädt er zu Veranstaltungen zu dem Thema und organisiert Vernetzungstreffen. Vor seinem Ausstieg aus der Politik soll er noch eine europäische Parlamentskonferenz in Wien planen, in der es um den steigenden Antisemitismus in Europa gehen soll. "Europa muss sich dieser Diskussion stellen", wird Sobotka im Kurier zitiert. Denn Antisemitismus sei demokratiefeindlich.

Bis zur Wahl wolle Sobotka mit vollem Einsatz weiterarbeiten, sagt sein Sprecher. Der Nationalratspräsident werde aber auch nach seinem Ausscheiden "ein zutiefst politischer Mensch" bleiben. (Katharina Mittelstaedt, 5.6.2024)