Auf den ersten Blick scheint die Frage, was Konsens bedeutet, einfach zu beantworten zu sein. Nämlich mit Einwilligung. Anhand dieses Blogbeitrags möchte ich verschiedene Facetten dazu beleuchten.

Zwei Hände schütteln sich
Was bedeutet Konsens?
Getty Images

Ich habe die STANDARD-Community vor längerer Zeit schon gefragt, ob ich einen Artikel über Konsens schreiben soll. Gezögert habe ich bisher dennoch, weil der Artikel wohl eventuell mehr Fragen aufwirft, als er beantwortet. Und dennoch: Fangen wir mal an... Gegebenenfalls können Folge-Artikel erscheinen.

Das Konsensrad

Beginnen wir bei Betty Martins Konsensrad. Hier das Video mit der Erläuterung von ihr selbst als Kurzfassung in Englisch.

What is the Wheel of Consent?
Betty Martin

Betty Martins unterscheidet zwei Ebenen. Die erste ist geben oder bekommen. Und die zweite ist wer handelt – man selbst oder jemand anderes. Daraus ergeben sich die vier im Bild angegebenen Varianten. Innerhalb des schwarzen Kreises herrscht Einvernehmlichkeit; und wenn dieser Rahmen überschritten wird, landet man auf der von Betty Martins benannten Schattenseite.

Das Konsensrad: Nehmen Sie sich eine Tasse Tee und etwas Zeit. In dieser Grafik ist sehr viel geballte Information abgebildet.
© Dr. Betty Martin / www.bettymartin.org

Die Differenzierung, in welchem der Quadranten man sich befindet, ergibt sich aus der Frage: "Wer hat etwas davon?".
Wenn ich handle, und ich ziehe einen Nutzen daraus, bin ich im Nehmen.
Wenn ich handle, und die empfangende Person zieht einen Nutzen daraus, bin ich im Dienen.
Wenn andere handeln, und ich ziehe einen Nutzen daraus, dann bin ich im Empfangen.
Wenn andere handeln, und ich ziehe keinen Nutzen daraus, dann erlaube ich.

Ein klassisches Beispiel ist eine Massage

Wer hat etwas davon, wenn jemand massiert wird? Auf den ersten Blick mögen wir sagen: Ja, klar, die Person, die massiert wird! Wenn wir das Szenario allerdings nach Betty Martens Konsensrad analysieren, ergibt sich ein anderes Bild. Die Person, die massiert, will die Person, die massiert werden soll, massieren, zum Beispiel, weil sie diese Person berühren möchte, ihr nah sein will – dann ist das ein Nehmen der massierenden Person und ein Erlauben der massierten Person. Wenn die Person, die massiert wird, einen Nutzen daraus zieht, dann empfängt sie, während die massierende Person dient.

So weit, so klar?

Geschenke

In einer funktionierenden Beziehung ergeben sich andere Dynamiken als bei kürzlich geschlossenen Kontakten. In der Sexpositiv-Community gilt: "Nur ein enthusiastisches Ja, gilt als Ja". Natürlich dürfen wir uns aber auch "Geschenke" machen, indem ich zum Beispiel eine Handlung an mir erlaube, oder eine Handlung an meinem Gegenüber vollziehe, nicht weil ich das unbedingt will, sondern weil ich nichts dagegen habe, und der anderen Person eine Freude dadurch bereiten möchte.

Solche immateriellen Geschenke sind generell förderlich für zwischenmenschliche Beziehungen.

Gruppendruck und freier Wille

Über den freien Willen gibt es philosophisch betrachtet wohl Unmengen an Material und ist eine wichtige Basis der psychotherapeutischen Theorie. Daher will ich dieses Thema hiermit nur anreißen. Wo es jetzt schwierig wird für uns und die Einvernehmlichkeit: wenn jemand ja gesagt hat, wann ist dieses JA auch ernst zu nehmen? Und ich meine das nicht rechtlich gesehen, sondern ethisch.

Wenn ich weiß (oder richtig rate), was das Bedürfnis einer Person ist, ist es oft recht einfach eine Einwilligung zu bekommen. Gerade wenn "alle" etwas machen, ist das Bedürfnis dazuzugehören, und eben nicht Außenseiter:in zu sein, ein wesentlicher Faktor fürs Mitmachen. Zum Beispiel, wenn sich alle ausziehen, ziehe ich mich auch aus. Das ist für mich eine schlüssige Begründung, warum manchen oft erst Jahre später eine Grenzüberschreitung bewusst wird. Oft, wenn man bereits länger in einem anderen Umfeld ist, und somit ein anderes "Normal" kennengelernt hat.

Das heißt, einerseits sind wir super anfällig dafür, was in unserer Umgebung "normal" ist, das übt eine Art Gruppendruck auf uns aus. Und andererseits ist es ein einfaches, einer manipulierenden Person "auf den Leim zu gehen".

In Kontext und Kontinuum

Unser Umfeld prägt uns einfach über Gebühr. Auch in welcher Zeit wir leben, macht einen wesentlichen Einflussfaktor aus. Vor 50 oder gar 100 Jahren waren die Weltbilder noch komplett anders geprägt. Ob ich als Mann oder Frau oder divers durch diese Welt gehe; wo auf dieser Welt; und eben wann. Heraklit sagt: Alles fließt.

Consent Tea

Apropos fließen und auch Tee: Hier noch ein englisches Youtube-Video, welches Konsens mittels Teetrinken verständlich macht. Gibt's mittlerweile auch in der deutschen Übersetzung:

Beidseitiges Einverständnis - so einfach wie Tee
GONEASTRAYfilms

In diesem sinne: Prost! (Natascha Ditha Berger, 5.7.2024)