Junge Frau tastet ihre Brust nach Knoten ab.
Jede achte Frau erkrankt im Lauf ihres Lebens an Brustkrebs, und es sind immer jüngere Frauen betroffen. Eine Impfung kann womöglich die langfristigen Heilungschancen verdoppeln.
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Krebs zählt zu den häufigsten Todesarten weltweit und trifft auch zunehmend jüngere Menschen, also Personen unter 50 Jahre. In Großbritannien etwa ist die Zahl der Tumorbetroffenen unter 50 in den vergangenen drei Jahrzehnten um 24 Prozent gestiegen. Das dürfte vor allem eine Folge des Lebensstils sein. Das ist eines der vielen Themen, die in den vergangenen Tagen auf dem weltweit größten Krebskongress diskutiert wurden. Von 31. Mai bis 4. Juni fand die Jahrestagung der American Society of Clinical Oncology (ASCO) in Chicago statt. Und dort wurden zahlreiche spannende Entwicklungen präsentiert. Besonders erfreulich: zwei Druchbrüche in der Behandlung von Brustkrebs.

Immerhin erkranken mehr als zwei Millionen Menschen weltweit jedes Jahr an Brustkrebs, in Österreich sind es rund 5600. Jede achte Frau ist irgendwann im Laufe ihres Lebens davon betroffen. Und auch wenn diese Tumorart mittlerweile bei ganz vielen Betroffenen geheilt werden kann, sterben rund 1600 pro Jahr an den Folgen dieses Krebses. Hier sorgt eine wirklich aufsehenerregende Erkenntnis aus Wien für Furore.

Impfung halbiert Sterblichkeit

Eine Impfung soll langfristig das Sterberisiko bei Brustkrebs halbieren. Das Spannende: Diese Erkenntnis wurde, wie es öfter in der Wissenschaft vorkommt, auf Umwegen gewonnen. Von einem "klassischen Zufallsbefund" spricht Gynäkologe und Onkologe Christian Singer, der das Zentrum für familiären Brust- und Eierstockkrebs am AKH Wien leitet. Er hat die Studie soeben auf der ASCO in Chicago präsentiert.

"Wir haben vor acht oder neun Jahren eine Studie gestartet, für die Frauen im Frühstadium eines Mammakarzinoms mit Standardbehandlung eine spezielle Impfung bekommen haben, die gegen ein bestimmtes Oberflächengen des Tumors wirkt. Unsere Hoffnung war, dass dadurch beim operativen Eingriff mehr Tumoren komplett verschwinden", berichtet Singer dem STANDARD. Die Studie wurde in Kooperation mit der Austrian Breast & Colorectal Cancer Study Group (ABCSG) durchgeführt. Die Impfung, bei der es sich nicht um eine mRNA-Impfung handelte – die war damals noch nicht so weit entwickelt –, wurde der Hälfte der 400 teilnehmenden Frauen im Zuge der neoadjuvanten Therapie (diese soll den Tumor vor dem operativen Eingriff verkleinern) verabreicht. "Und wir waren sehr enttäuscht, weil wir damals wirklich überhaupt keinen Effekt gesehen haben."

Trotz dieser Enttäuschung haben der Onkologe und sein Team sieben Jahre später die Daten noch einmal geprüft, wenn auch ohne große Hoffnung – und stießen auf ein wirklich sensationelles Langzeitergebnis: Bei jenen Frauen, die die Impfung bekommen hatten, war das Risiko, an ihrem Krebs zu sterben, um die Hälfte reduziert. Und auch das Risiko für Metastasen war halbiert. "Wir waren komplett von den Socken. Das ist die weltweit erste Beschreibung einer erfolgreichen Impfung bei Brustkrebs", berichtet Singer voll Enthusiasmus.

Porträt von Prof. Christian Singer
Gynäkologe und Onkologe Christian Singer hat bei der weltgrößten Onkologietagung in Chicago Studienergebnisse präsentiert, wie eine Impfung die Sterblichkeit durch Brustkrebs halbieren kann.
MedUni Wien/feelimage

Eine weitere Sensation: Die Impfung ist komplett ohne Nebenwirkungen, keine einzige Frau hatte Beschwerden. "Man kann die Impfung zusätzlich zur normalen Therapie geben, und jede Frau profitiert." Nun gilt es herauszufinden, was genau den Erfolg der Impfung ausgemacht hat. Das Oberflächengen, gegen das geimpft wurde, gibt es nämlich auch bei anderen Tumoren, nicht nur in der Brust. Bei anderen Tumoren konnte aber keine vergleichbare Wirkung festgestellt werden. "Es gibt drei Faktoren, die für den Erfolg ausschlaggebend sein könnten", sagt Singer. "Wir haben die Impfung vor der Operation gegeben. Wir haben lang genug gewartet, um einen Effekt zu sehen. Und wir haben die Impfung mit einem Immunbooster angereichert." Welcher dieser Faktoren wie gewirkt hat, gilt es nun zu ergründen.

Singer geht davon aus, dass der Immunbooster ein wesentlicher Faktor sein könnte: "Wahrscheinlich konnte das Immunsystem dadurch Antikörper bilden, die sich gegen alle neuen Tumorzellen gerichtet haben." Im nächsten Schritt soll nun auch erforscht werden, warum die Impfung nicht bei allen Tumorpatientinnen gleich gut gewirkt hat.

Personalisierter Bluttest

Doch es gibt weitere Hoffnung für Brustkrebs-Patientinnen und zwar für all jene, bei denen der Tumor nach geglückter Entfernung und Behandlung wieder auftritt. Das betrifft immerhin eine von zehn Frauen. Genau hier setzt ein neuer, personalisierter Bluttest an. Es handelt sich dabei um die Technik der "Liquid Biopsy", der Flüssigbiopsie. Die basiert auf der Tatsache, dass Tumorzellen Erbinformation in Form von Messenger-RNA ins Blut abgeben. Mit dem Bluttest kann man nun das Risiko, dass ein Tumor in der Brust erneut auftritt, schon bis zu drei Jahre früher erkennen als in bildgebenden Verfahren.

"Brustkrebszellen können nach Operationen und anderen Behandlungen im Körper verbleiben. Oft sind es aber so wenige, dass sie bei Folgeuntersuchungen nicht nachweisbar sind", sagt Isaac Garcia-Murillas, Hauptautor der Studie am Institute of Cancer Research (ICR) in London. "Diese Zellen können bei Brustkrebspatientinnen viele Jahre nach der Erstbehandlung einen Rückfall verursachen." Der Bluttest kann helfen, jene Frauen zu identifizieren, die eine vorbeugende Behandlung gegen ein Rezidiv brauchen.

An der Studie nahmen 78 Patientinnen mit unterschiedlichen Brustkrebsarten teil. Alle elf, die innerhalb von fünf Jahren einen Rückfall hatten, konnten vorab korrekt identifiziert werden. Die durchschnittliche Zeit bis zum Rückfall betrug 15 Monate, die längste Zeit war 41 Monate.

"Das scheint definitiv etwas Bahnbrechendes zu sein. Wenn sich die Daten in einer größeren Studie bestätigen, kann man diese Frauen zu einem sehr frühen Zeitpunkt und somit mit einer kleineren Tumormasse therapieren", beurteilt der Onkologe Manfred Mitterer vom Franz-Tappeiner-Krankenhaus in Meran, der selbst nicht an der Studie beteiligt war, diese Erkenntnisse. "Wahrscheinlich sind in diesem Stadium auch die Patientinnen noch nicht metastasiert und somit potenziell heilbar." Die Daten sollten aber in einer größeren Studie noch einmal verifiziert werden, auch weil gerade beim Brustkrebs immer so genannte Spätrezidive, bis zu 20 Jahre nach Erstdiagnose, auftreten.

Erste Erfolge mit mRNA-Impfung

Und auch abseits von Brustkrebs gibt es gute Nachrichten auf der ASCO: Einen weiteren Impfdurchbruch gibt es im Feld der Melanome, also des Hautkrebs, und zwar in diesem Fall mit einer mRNA-Impfung. Genau für die Behandlung bei Krebs wurde die Technologie ja ursprünglich entwickelt, nur weil sie in jahrzehntelanger Forschung bereits so weit gediehen war, konnte man sie in der Pandemie sehr rasch für ein Sars-CoV-2-Vakzin adaptieren. Die Krebsimpfung ist wesentlich komplexer, deshalb hat es – abgesehen von der Finanzierung – so lange gedauert, bis sie erfolgreich zum Einsatz kam. Doch jetzt ist es möglicherweise bald so weit.

Der weltweit erste personalisierte mRNA-Krebsimpfstoff gegen Melanome wurde in einer Phase-II-Studie geprüft, mit sensationellem Ergebnis: Er halbierte das Sterberisiko ebenso wie das Risiko eines neuerlichen Auftretens der Krankheit. Die Studienergebnisse bezeichneten die Forschenden als "äußerst beeindruckend". Im Detail: 157 an einem Melanom Erkrankte erhielten nach der Entfernung des Tumors im Stadium 3 oder 4 entweder die von Moderna und Merck entwickelte Impfung zusätzlich zur Immuntherapie Keytruda oder nur Keytruda. Jene, die den Impfstoff erhalten hatten, hatten ein um 49 Prozent geringeres Sterberisiko und ein um 49 Prozent geringeres Risiko, dass die Krankheit innerhalb von drei Jahren wieder ausbricht.

Von einem echten Durchbruch spricht die Studienerstautorin auf der Plattform X in Bezug auf die mRNA-Impfung bei Melanom.

Die zweieinhalbjährige rezidivfreie Überlebensrate bei der Impfung in Kombination mit Keytruda betrug 74,8 Prozent, verglichen mit 55,6 Prozent bei alleiniger Gabe von Keytruda. "Das größte Risiko für ein Rezidiv besteht innerhalb der ersten beiden Jahre. Natürlich müssen wir uns auch die Ergebnisse in fünf und zehn Jahren anschauen, aber hier liegt der Fokus", sagt Studienerstautorin Georgina Long vom Melanoma Institute Australia dazu in Chicago.

Der als mRNA-4157 (V940) bekannte Impfstoff wird für jede betroffene Person auf Basis einer Tumorprobe individuell entwickelt und gibt dem Körper Informationen, um alle verbleibenden Krebszellen abzutöten und so ein Wiederauftreten der Krankheit zu verhindern. All das gibt Hoffnung, dass Krebs irgendwann nicht mehr zu den häufigsten Todesarten zählen wird. (Pia Kruckenhauser, 5.6.2024)