Die Anzugjacken werden rückseitig geknöpft – ein Hinweis auf den Luxus vergangener Zeiten, in denen vermögenden Menschen beim Anziehen assistiert werden musste.
Antonia Mayer

Der Rest des Teams ist schon weg, die Bilder im Kasten, das Shooting ist zügig über die Bühne gegangen. Oliver Kuzma – schwarzes T-Shirt, aus der Jeanshose eines japanischen Denimlabels lugt Wäsche von Supreme hervor – sitzt im Fotostudio an einem Holztisch, die Erleichterung scheint ihm ins Gesicht geschrieben.

Der 29-Jährige schwärmt von seinem Lieblingsphilosophen Emil Cioran, dem britischen Lyriker Philip Larkin, von, "ganz wichtig", Baudelaire. Man könnte meinen, man habe einen nostalgisch gestimmten Literaturstudenten vor sich. Doch Kuzma liest zwar gern, hat aber Mode studiert. Und eine Kollektion entworfen, die wie aus einer anderen Zeit entsprungen zu sein scheint. Eine der Inspirationen? Edwardianisch-viktorianische Männermode. In Kuzmas Mode übersetzt heißt das: hier ein schwingender Mantel mit Bubikragen, dort zwei rückseitig geknöpfte Anzüge und weit geschnittene, hoch sitzende Jeans: "Ich will Kleidung für Intellektuelle machen, für Menschen, die gerne lesen, träumen, sich Zeit für schöne Dinge nehmen." Der 29-Jährige bewundert Modedesignerinnen und
-designer, die "eine eigene Welt entwerfen", Leute wie Phoebe Philo, Rick Owens, Carol Christian ­Poell, Paul Harnden.

Das Handwerk

Denim gehört zu den liebsten Materialien des Designers.
Antonia Mayer

Vorhersehbar war Oliver Kuzmas Modestudium nicht unbedingt. Der gebürtige Badener, der seine Kindheit in Australien verbracht hat, um dann nach Österreich zurückzukehren, besuchte das Ballsportgymnasium in Wien im dritten Bezirk, ­betrieb Leistungssport, wollte eigentlich Basketballspieler werden. Während der letzten Jahre am Gymnasium wuchs das Interesse an Mode, auf ­Social Media entdeckte er Brands wie Hood by Air, Vetements, das Modehaus Celine unter der Desi­gnerin Phoebe Philo. Besorgte sich Magazine wie 032c, i:D oder Dazed & Confused. Statt nach der ­Matura weiterhin dem Ball hinterherzujagen, lernte Kuzma an der Modeschule Michel­beuern das Handwerk, das Nähen und Entwickeln von Schnitten.

Dann Aufnahme an der Angewandten. "Hier lernt man, selbstständig zu arbeiten", erklärt der ­29-Jährige und betont, was er vom Wissen seiner Nähprofessorin mitgenommen hat. Neben der Uni jobbt er in Wiener Boutiquen wie Song in der Praterstraße, schaut sich dort an, welche Details qualitativ hochwertige Kleidung ausmachen – von den Nähten bis zu den Sakkoschlitzen. Immer die Frage im Hinterkopf, wie Kleidungsstücke gut und gleichzeitig zeitsparend gefertigt werden können: "Die Modewelt ist leider sehr schnell", grinst Kuzma. Und nein, modische Effekthaschereien für Social Media sind seine Sache nicht.

Auch der braune, lose sitzende Anzug wurde aus Denim gefertigt.
Antonia Mayer

Umgesetzt hat der Diplomand sein gesammeltes Wissen in einer Kollektion, die sich mit der Frage beschäftigt, was Luxus heute fernab der großen Konzerne ausmachen kann. Und wie gut verarbeitete Mode in einem realistischen Zeitrahmen umgesetzt wird. Statt die Sakkos händisch zu pikieren, hat er beispielsweise mit Rosshaareinlagen gearbeitet. Vieles habe er sich selbst beigebracht, aus Fehlern gelernt, "ich bin ein ziemlicher Sturkopf". Um das Thema Luxus zu versinnbildlichen, werden die Anzugjacken in der Kollektion "Spleen" nun rückseitig geknöpft. Sie sind ein Hinweis darauf, dass deren Trägerin oder Träger eine Anziehhilfe braucht, ganz wie in vergangenen Zeiten wohlhabende Menschen.

Eine Art Selbstfindung

Shorts, Kniestrümpfe, Hemd und Baskenmütze ...
Antonia Mayer
... passen allen Geschlechtern.
Antonia Mayer

Während des Studiums entschied sich Oliver Kuzma für ein Praktikum bei Christoph Rumpf. Der Absolvent der Wiener Modeklasse hat sich vor einigen Jahren mit seinem Männermodelabel in Paris selbstständig gemacht. Kuzma half sechs Monate lang mit („bei einem kleinen Label kann man sich mehr einbringen“), genoss die Zeit in der französischen Hauptstadt, die unbeschwerten Abende vor den Kaffeehäusern. Wo er sich einmal vorstellen könnte zu leben? Wien sei toll, aber: "Paris oder ­London", die Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen.

Der Designer hat ein Faible für gute Stoffe ...
Antonia Mayer
... Der Wollstoff für den hellen Mantel stammt aus der Lombardei.
Antonia Mayer

Der 29-Jährige hat an der Modeklasse vier Professuren durchlaufen, von Hussein Chalayan wurde er aufgenommen, unter dem britischen Designer Craig Green jetzt das Diplom. Letzterer hat ihn auch ermutigt, sich selbstständig zu machen. Seine Stimme jedenfalls scheint der Österreicher gefunden zu haben. "Die Zeit an der Uni war auch eine Art Selbstfindung", erklärt der 29-Jährige rückblickend. Hat Yōji Yamamoto nicht einmal gesagt, dass man aus den Einflüssen der Idole das Eigene herausfiltert?

Der 29-jährige gebürtige Badener Oliver Kuzma schloss sein Diplom unter dem neuen Modeprofessor Craig Green ab.
Antonia Mayer

Sagt’s und packt seine acht Looks zusammen, von den gestrickten Socken bis zu den ausladenden Baskenmützen. Die Kleidersäcke passen in drei Ikea-Taschen. Nach dem Diplom? Bevor Oliver Kuzma weiterhin Praxiserfahrung sammelt, wird er erst einmal heiraten – der Anzug wird natürlich selbst genäht.

(Text und Produktion: Anne Feldkamp; Fotos: Antonia Mayer; Haare & Make-up: Roman Klammer; Styling: Hvala Ilija; Casting: Studio Steroid; Models: Mihriban Keske, Ilija Nestorović; Kunstwerk: Jakob Krinzinger; 6.6.2024)

Seit 25 Jahren werden mit dem RONDO-Modepreis die besten Diplomkollektionen der Modeklasse an der Universität für angewandte Kunst ausgezeichnet. Anlässlich dieses Jubiläums haben wir uns ein besonderes Geschenk für den diesjährigen Gewinner überlegt. Dank unseres Sponsorpartners Polestar konnte das Preisgeld auf 5000 Euro angehoben werden. Und die Wirtschaftsagentur Wien legt noch ein Mentoring-Paket drauf: Die Teilnahme am "Founders Lab" sowie an den "Austrian Fashion Association 'How To Fashion'"-Workshops und ein 1:1-Coaching mit Fachleuten der Wirtschaftsagentur Wien Academy helfen bei der Gründung eines eigenen Modelabels.
Polestar/ Wirtschaftsagentur Wien