Jérôme Boateng im Trainingsanzug von US Salernitana
Jérôme Boateng, hier noch in der Montur von US Salernitana, soll kommende Saison für den LASK in der österreichischen Bundesliga auflaufen.
IMAGO/Giuseppe Maffia

Der LASK freut sich. Der Fußballklub aus Linz hat Jérôme Boateng verpflichtet, Ex-Weltmeister und Deutschlands Fußballer des Jahres 2016. Mit den Bayern gewann der Innenverteidiger zweimal die Champions League. LASK-CEO Siegmund Gruber nennt Boateng einen "Vorzeigeathleten", und weil er für das Engagement in Linz "seine wirtschaftlichen Interessen" hintangestellt hat, wie es Gruber sagt, adelt er seinen neuen Mitarbeiter als "außergewöhnlichen Charakter". Den Neuzugang titulieren sie beim LASK als Transfercoup.

Ein Coup ist es tatsächlich, denn es war unklar, ob Boateng einen neuen Arbeitgeber finden würde. Gegen den 35-Jährigen gibt es Vorwürfe der Gewalt gegen Frauen. 2021 wurde er zu einer Geldstrafe wegen Körperverletzung in Höhe von 1,8 Millionen Euro verurteilt, weil er seine ehemalige Partnerin Sherin S. geschlagen haben soll. Boateng legte Berufung ein und wurde ein Jahr später erneut verurteilt. Die Urteile sind nicht rechtskräftig, wegen eines Verfahrensfehlers kommt es zu einer Neuaufrollung des Prozesses. Der erste Verhandlungstag ist für Freitag in einer Woche angesetzt, den Eröffnungstag der EM in Deutschland. Mit einem Urteil kann noch vor dem ersten Bundesliga-Spieltag der kommenden Saison im August gerechnet werden. Es gilt die Unschuldsvermutung.

In Gedenken an Kasia Lenhardt

Dass Boateng nun in Linz einen Job gefunden hat, ärgert in der österreichischen Fußballszene viele. Es gibt Gerüchte, dass LASK-Angestellte den Transfer durchaus kritisch sehen. Öffentlich sprechen möchte bisher niemand darüber.

Die Saison der Männermannschaft ist vorbei. Doch das Frauenteam des LASK war am Sonntag beim FC Blau-Weiß Linz zu Gast. Eine Betreuerin des Stadtrivalen setzte dort ein Zeichen. "Ich hätte mir Vorwürfe gemacht, hätte ich das nicht gemacht", sagt sie dem STANDARD. Alisha Jahn ist Torwarttrainerin bei Blau-Weiß, beim Spiel machte sie auf Kasia Lenhardt aufmerksam. Lenhardt war eine Ex-Freundin Boatengs, die ihm unter anderem in Sprachnachrichten Gewalt vorgeworfen hatte. Darüber hat das Nachrichtenmagazin Spiegel in einer Podcast-Serie berichtet. Lenhardt nahm sich im Februar 2021 das Leben.

Am Sonntag regnete es in Linz. Jahn suchte sich einen wasserfesten Stift, klebte weiße Tapestreifen auf ihre Jacke und schrieb mit einem Edding Lenhardts Namen auf den Rücken. Jahns Aktion schlug große Wellen in sozialen Medien. Manche Leute im Stadion kannten den Fall Lenhardt noch nicht, sagt Jahn. "Sie haben bei mir nachgefragt und ihren Respekt gezollt." Aus den eigenen Reihen erhielt Jahn für die Aktion Zuspruch, aus dem Umfeld des LASK-Teams sprach sie niemand an.

"Mein Antrieb ist die aktuelle Lage im Land", sagt Jahn. "Die hohe Anzahl der Femizide. Ich versuche, in Social Media dagegenzuhalten, auf Gewalt gegen Frauen aufmerksam zu machen. Man muss das tun." Die Verpflichtung von Boateng beim LASK machte Jahn zuerst sprachlos, dann kam ihr der Gedanke: "Da betritt künftig jemand den Platz mit dunkler Vergangenheit."

LASK berichtet von "Gewaltfantasien" gegen Boateng

DER STANDARD wollte vom LASK wissen, ob die Gerichtsverfahren wegen Körperverletzung bei der Anstellung Boatengs tatsächlich keine Rolle spielten. Wie hat der Verein die Gewaltvorwürfe mit Boateng und dessen Beratern besprochen?

Auf die Fragen wollte der Verein nicht eingehen. Stattdessen lieferte die Pressestelle ein "allgemeines Klubstatement". Darin wird zunächst die Kritik an der Verpflichtung erwähnt, "die zum Teil in Gewaltfantasien gegen Jérôme ausgeartet sind". Das sei "unter Umständen strafbar, aber auf jeden Fall nicht akzeptabel", hieß es. Auf Nachfrage, wie die Gewaltfantasien konkret an den Verein herangetragen wurden, wollte der LASK nichts sagen.

"Wir werden kein laufendes Verfahren kommentieren, denn jetzt hat das Gericht in München das Wort", hieß es im Statement. Darauf, dass einem Spieler des LASK noch vor Beginn der kommenden Saison eine Verurteilung drohen könnte, wollte der LASK also nicht eingehen. Er teilte mit: "Den Vorverurteilungen schließen wir uns nicht an und erwarten das auch von all jenen, die die Diskussion zurzeit lautstark führen."

Als der Spiegel in Deutschland über Boateng berichtete, fragte das Magazin auch beim vorherigen Arbeitgeber in Italien, beim Fußballklub Salernitana, nach. "Das ist ein Thema des Spielers, nicht des Vereins", hieß es damals vom Verein. Fragen blieben unbeantwortet.

LASK-CEO Siegmund Gruber bei der Vertragsunterzeichnung Boatengs in Linz.
APA/LASK

Moralisch unhaltbar

Von den "Landstrasslern", dem Kollektiv der Fanszene des LASK, das zuletzt mit Protesten gegen das sponsorenfreundliche Design der pinken (dritten) Ausweichtrikots auffiel, gab es bisher keine Reaktion auf den Boateng-Transfer. Das Fanmedium seit1908.at, das das Gründungsjahr des Linzer Sport-Klubs (LSK) im Namen trägt, veröffentlichte einen Gastkommentar mit dem Titel: "Tätern eine Bühne geben?"

Die Autorin, deren Name nicht genannt wird, schreibt: "Solange vermeintliche Gewalttäter glorifiziert (…) und Kritikübende belächelt werden, sind Aufklärung und uneingeschränkte, lautstarke Solidarität mit den Opfern häuslicher Gewalt unverzichtbar. Auch der LASK als 'Familienverein' trägt hier unweigerlich Verantwortung." Die Autorin fragt sich auch: "Wie kann es sein, dass unser Verein regelmäßig und mit Ansage völlig absurde und moralisch unhaltbare Entscheidungen trifft?" Sie fordert vom Verein ein Werte- und Leitbild. Und dass der LASK den Vertrag mit Boateng auflöst.

Was sagen Geschäftspartner des LASK zur Causa? Der oberösterreichische Backmittelhersteller Backaldrin ist Trikotsponsor des LASK und voll auf der Linie des Vereins. Auf STANDARD-Anfrage um eine Stellungnahme verwies das Unternehmen auf die Pressestelle des LASK – und fügte das "allgemeine Klubstatement" des Klubs an.

Alisha Jahn ist Torwarttrainerin bei Blau-Weiß Linz und kritisiert die LASK-Verpflichtung von Boateng.
Alisha Jahn

Verantwortung, Verhöhnung

BW-Torwarttrainerin Jahn wünscht sich weitere Zeichen von Zuschauern, wenn Boateng für den LASK in Österreichs Stadien aufläuft. "Ich bin gespannt, ob es Pfiffe gibt", sagt sie. "Es sind ja viele Männer in den Stadien. Es wäre eine coole Sache, zu sehen, dass es viele Männer nicht gut finden, wen der LASK anstellt."

Die Verantwortlichen des LASK hätten durch die Verpflichtung "ihre gesellschaftliche Verantwortung mit Füßen getreten", sagt Jahn. "So oft wie Gewalt an Frauen ein Thema in Medien ist, hätten sie die Aufgabe, die Gesellschaft zu sensibilisieren. Sie haben aber das Gegenteil gemacht. Sie verhöhnen die Opfer."

Beim Stadtderby am Sonntag waren auch Transparente im Publikum zu sehen. "Gratuliere ,Dr.‘ Gruber zu den neuesten Transfer-Schlagzeilen", stand in schwarzen Buchstaben auf einem Banner geschrieben, wobei "Schlag" in Rot hervorgehoben war. Und: "Keine Bühne für Täter! Ruhe in Frieden Kasia!" (Lukas Zahrer, 4.6.2024)