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Werden die rechtspopulistischen Parteien die großen Sieger bei der kommenden EU-Wahl?
Foto: EPA / Ronald Wittek

Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass die rechtspopulistischen Parteien bei den Wahlen zum Europaparlament in einer Reihe von Staaten mehr Stimmen bekommen werden als je zuvor. Die langfristigen Folgen für die Europäische Union und die Handlungsmöglichkeiten sind offen.

In seiner kürzlich veröffentlichten glänzenden Streitschrift gegen die Nationalisten und leidenschaftlichen Plädoyer für eine "nachnationale europäische Demokratie" will Robert Menasse eine in der Tat notwendige Diskussion über die Zukunft des europäischen Demokratieprojekts anregen (Die Welt von morgen, Suhrkamp). Er entlarvt unter anderen die Scheinheiligkeit der österreichischen und deutschen "proeuropäischen" Regierungsparteien in ihrer sozialen, wirtschaftlichen und Menschenrechtspolitik. All das sei Wasser auf die Mühlen der Nationalisten, Rechtsextremen und Populisten.

Der große österreichische Verfassungsrechtler Hans Kelsen warnte bereits 1932, dass die Demokratie jenes politische Organisationssystem sei, das sich am wenigsten gegen seine Gegner wehren könne: "Es scheint ihr tragisches Schicksal zu sein, dass sie ihren ärgsten Feind an ihrer eigenen Brust nähren muss." Mit Hinweis auf den Aufstieg der Populisten in Ungarn und (bis vor kurzem) in Polen, den britischen Ausstieg aus der EU, auf die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten und die Rechtswende der Republikaner unter seiner Führung betont auch der US-amerikanische Politikwissenschafter Larry M. Bartels in diesem Sinne, dass die Demokratie von der Spitze aus ausgehöhlt werde und dass nicht die Wähler, sondern die Führungspersönlichkeiten die treibende Kraft der politischen Krise in Europa seien (Democracy Erodes from the Top, Princeton 2023). Sein Buch stützte sich dabei auf die Resultate von 183 Untersuchungen in 23 Ländern zwischen 2002 und 2019.

Untergrabene Normen

Nicht nur angesichts der Entwicklungen unter dem Orbán-Regime, sondern auch in der Zeit der Fico-Regierung in der Slowakei und der von Jarosław Kaczyński geführten Regierungspartei in Polen konnte man verfolgen, wie ("frei, aber nicht fair") gewählte Regierungen die verfassungsmäßigen Bremsen und demokratischen Normen trotz Protesten aus Brüssel untergraben können. Die Folgen des russischen Aggressionskriegs gegen die Ukraine und die Aushöhlung der westlichen Sanktionen haben auch die Tragödie Ungarns unter der Herrschaft des korrupten Autokraten Viktor Orbán in den Mittelpunkt der internationalen Aufmerksamkeit gerückt. Die große Mehrheit der Ungarinnen und Ungarn wollen nach wie vor der Europäischen Union angehören, trotz der Tatsache, dass laut dem Leitartikler der FAZ "Orbán sich inzwischen wie ein russischer Agent verhält". Seine Regierung behindere "systematisch" die Ukraine-Politik der EU.

Und Österreich? Die besorgniserregende, aber bei weitem noch nicht aufgearbeitete Erbschaft der Ära Kurz, mit FPÖ-Politikern in der Kontrolle der Außen-, Innen- und Verteidigungspolitik, ist eine Warnung: Bei der EU-Wahl und erst recht bei der Nationalratswahl geht es um den Schutz der liberalen Demokratie und der Souveränität der Zweiten Republik. (Paul Lendvai, 4.6.2024)