Liberté, Egalité, Fraternité: Im Zentrum versucht es zu Beginn mit Einigkeit und dem EU-"Familienfoto" mit den 27 Mitgliedern. Aber wohin steuert die EU, fragt Claudia Reiterer am Sonntag in ORF 2. "Europa, 30 Jahre in der Badewanne", bemüht Wolodymyr Ohrysko, der ehemalige Außenminister der Ukraine ist aus Kiew zugeschaltet, eine Metapher. Die wichtigste Frage für ihn ist freilich, was gegen "den wilden Staat" Russland zu tun sei. "Wir haben dieses wilde Land verschlafen", sagt er, "wir haben nicht gesehen, was die Natur dieses Russlands ist."

"Die Frage von Krieg und Frieden" stehe bei Umfragen wieder ganz oben, sagt Südtirols Landeshauptmann Arno Kompatscher, aber in dieser Situation könne man nicht einfach sagen, "wir sind Pazifisten und wollen keinen Krieg mehr". Für einen gerechten Frieden müsse man auch kämpfen. "Es braucht eine europäische Geschlossenheit und eine klare Sprache".

Stenzel, Kompatscher, Moderatorin Reiterer, Ederer und Ogrysko in
Stenzel, Kompatscher, Moderatorin Reiterer, Ederer und Ohrysko in "Im Zentrum" in ORF 2.
Screenshot: ORF On

Stenzels "Ganslhaut"

Die ehemalige EU-Staatssekretärin Brigitte Ederer macht einen Schritt zurück und erinnert daran, dass die EU als "Friedens- und Wohlstandsprojekt" gegründet wurde, das weiterzuverfolgen sei. Es gehe jetzt darum, "eine gemeinsame Sprache" zu finden. Das mache Europa im Moment nicht. Und dann erzählt Ex-FPÖ-Politikerin und Ex-ÖVP-Abgeordneten Ursula Stenzel aus ihrem Leben als ehemalige EU-Abgeordnete der ÖVP und erinnert sich an einen ukrainischen Bürgermeister, dessen Aussage ("Sie hier in Europa leben für die Demokratie. Wir in der Ukraine sterben für die Demokratie") "Ganslhaut am ganzen Körper" verursacht. Gefragt wurde sie zur "EU-Wahnsinn"-Plakatserie der FPÖ, "Österreich sollte sich als neutraler Staat vorsichtig verhalten", sagt sie dazu.

Wenn die Ukraine fällt, werden Polen, Moldau, die baltischen Staaten die nächsten Ziele Russlands sein, warnt Ohrysko. Wenn wir jetzt nur über Neutralität reden, dann habe das Aggressorland die Chance, hier weiterzumachen. Was könnte zu einem Waffenstillstand führen?, fragt Ederer. "Wir brauchen militärische Hilfe, und wir brauchen finanzielle Hilfe", so Ohrysko. Einfrieren bringe nichts. Wenn man die Situation dulde, würde das bedeuten, dass das internationale Recht tot sei.

Nach der Ukraine geht es um die rechten Parteien innerhalb der EU. Wobei man nicht von "den Rechten" sprechen sollte, sie alle hätten unterschiedliche Positionen. Meloni sei "stramm rechts" mit sehr traditionellem Familienbild. In Fragen der EU-Politik habe sie auf Kontinuität gesetzt, stellt sich klar auf die Seite der Ukraine. Stenzel sieht bei den rechten Kräften nicht, "dass sie die EU unbedingt in die Luft sprengen wollen". Wir als Österreicher könnten darauf hinweisen, dass wir von der EU auch wirtschaftlich profitiert haben.

Ihr mache der Rechtsruck Sorgen, so Ederer. Rechte Parteien – "auch unsere" – hätten den Hintergedanken, aus der EU auszutreten oder die EU zu schwächen. Aber was ist passiert, dass Leute diese Parteien wählen, auch wenn sie keine Nazis sind, fragt Kompatscher und liefert als Antwort, dass wir den Menschen in den letzten Jahren zu viel zugemutet hätten, die Menschen hätten Angst, fürchten etwa Regulierung. "Die EU muss endlich mit einer Stimme sprechen können", fordert er. Und es brauche mehr "Yes, we can"-Stimmung, sagt er später.

Ursula Stenzel in
"Je lockerer man die Zügel lässt, umso geringer sind die Fliehkräfte": Ursula Stenzel in "Im Zentrum".
Screenshot: ORF On

Diese Debatten begleiten sie seit 30 Jahren, so Stenzel, sie hält nichts von einer "schleichenden Verstaatlichung der Europäischen Union". Die Möglichkeit eines Vetos sei oft der letzte Ausweg, auch Blödsinn zu verhindern, "je lockerer man die Zügel lässt, umso geringer sind die Fliehkräfte", bemüht sie die Physik. Es sei kein Unglück, wenn "bestimmte Souveränitätskompetenzen wieder zurückgeholt werden". Sie erinnert an die Reaktion der EU auf die Schüssel-Haider-Koalition, "damals ist eine Ernüchterung gegenüber der EU eingetreten. Diese Ernüchterung haben wir bis heute nicht überwunden."

"Die EU hat große Erfahrung im Einfrieren von Verhandlungen", polemisiert Stenzel ein bisschen beim Thema EU-Erweiterung. Dieses Schicksal wünsche sie der Ukraine nicht. "Die Ukraine in der EU und in der Nato ist die beste Voraussetzung, dass wir nie wieder neue Kriege im Osten Europas haben werden. Verstehen Sie das bitte", fordert Ohrysko. Das würde Putin seine Grenzen aufzeigen. Er hofft, dass die Ukraine bis "Ende dieses Jahrzehnts" Mitglied der EU sein wird. (Astrid Ebenführer, 3.6.2024)