Julian Nagelsmann will nie wieder etwas von "so einer Scheißumfrage" lesen.
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550 Tage nach seinem bisher letzten Länderspiel gibt Manuel Neuer am Montag (20.45 Uhr, live Puls 24 und ARD) in Nürnberg im EM-Test gegen die Ukraine sein Comeback im Tor der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Die Nebengeräusche hätte sich Deutschlands Kapitän aber gerne erspart. Über das Wochenende beschäftigte die deutsche Öffentlichkeit vor allem eine Umfrage im Auftrag des WDR, wonach sich jeder fünfte Deutsche wieder mehr weiße Spieler in der DFB-Auswahl wünscht. Zudem sagten 17 Prozent der Befragten, dass sie es schade fänden, dass der DFB-Kapitän Ilkay Gündogan türkische Wurzeln habe.

Teamchef Julian Nagelsmann fand deutliche Worte. "Ich hoffe, nie wieder so was von so einer Scheißumfrage lesen zu müssen", sagte der 36-Jährige am Sonntag im Teamcamp in Herzogenaurach, in dem sich die Deutschen auch bei der in zwei Wochen beginnenden Heim-EM aufhalten werden. "Ich war schon schockiert, dass solche Fragen gestellt werden – und dass Menschen darauf antworten, auch. Ich sehe es auch so, dass das rassistisch ist."

Nagelsmann findet klare Worte

Ähnlich hatte sich zuvor bereits sein Führungsspieler Joshua Kimmich geäußert. "Gerade wer im Fußball aufgewachsen ist, weiß, dass das absoluter Quatsch ist. Gerade der Fußball ist ein Beispiel dafür, wie man verschiedene Nationen, verschiedene Hautfarben, verschiedene Religionen vereinen kann", meinte der Bayern-München-Profi. Die Umfrageergebnisse seien "absolut rassistisch" und hätten in der Kabine keinen Platz. Kimmich wie Nagelsmann kritisierten die Fragestellung so kurz vor einem Turnier, das das Land einen sollte.

Zwei Drittel der 1304 Anfang April telefonisch Befragten gaben zwar an, dass sie es gut finden würden, dass im DFB-Team mittlerweile viele Fußballer mit Migrationshintergrund spielen. Bei den Dreharbeiten zu einer Dokumentation sei man aber auch mit Aussagen konfrontiert worden, dass es zu wenige "echte", hellhäutige Deutsche im Team gebe, hieß es vom ausstrahlenden Sender. Um dieses Bild mit Daten zu überprüfen, habe man die Umfrage in Auftrag gegeben, erklärte WDR-Sportchef Karl Valks. "Wir selber sind bestürzt, dass die Ergebnisse sind, wie sie sind, aber sie sind auch Ausdruck der gesellschaftlichen Lage im heutigen Deutschland."

Nagelsmann sprach emotional über das Thema. "Ich habe schon das Gefühl, dass wir mal ein bisschen aufwachen müssen. Es gibt einfach unfassbar viele Menschen, die flüchten müssen, die ein sicheres Land suchen", sagte der Bundestrainer ausgerechnet vor dem Duell mit den Ukrainern. Geleitet wird der EM-Test der beiden Nationen vom Tiroler Walter Altmann, der zuletzt zum besten Schiedsrichter der heimischen Bundesliga-Saison gewählt worden ist.

Nebenthemen

Die Aufregung in Deutschland ist jedenfalls groß und drängt die vielen sportlichen Fragen wieder einmal in den Hintergrund. Das war schon bei Neuers bisher letzten DFB-Einsätzen der Fall gewesen. Bei der WM 2022 in Katar war die Vielzahl der gesellschaftlichen Nebenthemen zu einer sportlichen Bürde für die deutsche Auswahl geworden, die sich in der Gruppenphase verabschiedete. Neuer war in der Diskussion über die Nichtzulassung seiner Regenbogen-Kapitänsbinde eine zentrale Figur.

Für den 38-Jährigen ist es völlig unerheblich, welche Hautfarbe oder Religion seine Kollegen haben. Vor seinem achten großen Turnier in Serie als Nummer eins hatte er wichtigere Themen zu bearbeiten. Etwa seinen schweren Beinbruch nach einem Skitouren-Unfall, der kurz nach der Katar-WM seine Karriere bedroht hatte. "Es ist eine unglaubliche Leistung, was er da vollbracht hat. Nicht nur, dass er zurückgekommen ist, sondern auch die Art und Weise, wie er zurückgekommen ist", betonte Kimmich.

Kroos will nach CL- den EM-Titel

Vergleichsweise harmlos war die Trainingsverletzung, die Neuers Mitwirken bei den Tests im März gegen die ÖFB-Gruppengegner Frankreich (2:0) und die Niederlande (2:1) verhindert hatte. Und erst recht ein Magen-Darm-Infekt, der ihn zuletzt zu einem verspäteten Einstieg in die EM-Vorbereitung zwang. "Er macht einen guten Eindruck. Körperlich ist er in einer guten Verfassung, und er hat gut trainiert. Manu hat eine gute und stabile Saison gespielt. Er wird eine sehr gute EM spielen, da bin ich mir sicher", meinte Nagelsmann. Das EM-Eröffnungsspiel gegen Schottland steigt am 14. Juni. Marc-Andre ter Stegen bleibt im Tor wieder nur die Rolle des ewigen Stellvertreters.

Bis zum finalen Test gegen Griechenland am Freitag in Mönchengladbach wird auch der seit Samstag sechsmalige Champions-League-Sieger Toni Kroos zum DFB-Team stoßen. Die Heim-EM wird sein Karriereschlusspunkt. "Es wäre falsch, nicht mit dem Ziel EM-Titel anzutreten", meinte der 34-Jährige nach dem CL-Finalsieg mit Real Madrid gegen Borussia Dortmund (2:0) auf Sky. "Ich glaube, wir haben es geschafft, die Stimmung ein bisschen ins Positive zu drehen. Trotzdem sind wir in meinen Augen weit weg davon, ein Favorit zu sein. Aber es ist ein Selbstverständnis in mir: Wenn ich ein Turnier spiele, dann will ich natürlich gewinnen." (APA, red, 2.6.2024)