Harald Vilimsky, FPÖ-Spitzenkandidat für die EU-Wahl, brach am Wochenende ein Interview mit dem ORF ab.
APA/HELMUT FOHRINGER

Im Zuge einer Wahlkampfveranstaltung ist es am Samstag einmal mehr zu einer Attacke der FPÖ auf den ORF gekommen. Harald Vilimsky, FPÖ-Spitzenkandidat für die EU-Wahl, hatte gemeinsam mit dem blauen Wiener Landesparteichef Dominik Nepp ein Straßenfest in Wien-Simmering besucht. Im Anschluss veröffentlichte Vilimsky auf X (vormals Twitter) ein kurzes Video, das ihn im Interview für die ORF-Sendung Report zeigt. Im publizierten Ausschnitt ist zu sehen, wie Vilimsky den Journalisten Stefan Daubrawa sichtlich aufgebracht verbal attackiert und daraufhin das Interview abbricht.

Grund dafür: Daubrawa habe ihm laut X unterstellt, "dass wir als FPÖ und unsere europäischen Freunde rechtsextrem wären". In dem Video ortete er "linke Propaganda" und forderte, dass die Angelegenheit "Thema im Stiftungsrat" wird. Wie der Journalist die Frage konkret formuliert hatte, geht – wohl nicht ohne Grund – nicht aus dem Ausschnitt hervor.

Später schaltete sich auch FPÖ-Chef Herbert Kickl in die Debatte ein. Auf Facebook schrieb er, dass es "nur mehr jenseitig" sei, "was in diesem ORF abgeht". Das habe "nichts mehr mit einer objektiven Berichterstattung eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks" zu tun.

Der ORF weist in einer Stellungnahme die Vorwürfe zurück. Die Frage, die der ORF-Redakteur gestellt hatte, sei eine rein journalistische zu einem aktuellen politischen Thema ohne jegliche Unterstellungen gegenüber Vilimsky. ORF-Redakteurssprecher Dieter Bornemann betonte auf X ebenfalls, dass die Frage "Die Rechtspopulisten und Rechtsextremen im europäischen Parlament sind sehr zerstritten. Wie überzeugen Sie die Wähler, dass es nicht eine verlorene Stimme ist?" journalistisch korrekt gewesen sei. Sie sei legitim, "weil die FPÖ im Gegensatz zu Le Pen die Zusammenarbeit mit der AfD nach der Causa Krah nicht beendet hat". Die AfD war nach Kritik an den Äußerungen ihres EU-Spitzenkandidaten Maximilian Krah zur SS aus der ID-Fraktion im EU-Parlament, zu der auch die FPÖ gehört, ausgeschlossen worden. Die FPÖ stimmte gegen den Ausschluss der gesamten Partei.

Kommissarsposten zu vergeben

Eine Woche vor der EU-Wahl nehmen außerdem die Personalspekulationen zu. Denn nach dem Urnengang wird sich nicht nur das EU-Parlament neu zusammensetzen, sondern auch die EU-Kommission. Wer Österreichs EU-Kommissar Johannes Hahn (ÖVP) nachfolgen und welche Agenden Österreich erhalten wird, ist noch unklar. Die Erstellung des österreichischen Vorschlags obliegt jedenfalls der türkis-grünen Regierung. Sie muss darüber mit dem Hauptausschuss des Nationalrats Einvernehmen herstellen. ÖVP und Grüne haben in einem Sideletter zum Regierungsprogramm festgeschrieben, dass der Posten der ÖVP zufallen soll.

Der Kurier berichtete am Sonntag, dass die beiden ÖVP-Minister Karoline Edtstadler und Magnus Brunner im Rennen um das Amt sein sollen. Sowohl die Verfassungsministerin als auch der Finanzminister kennen das europäische Parkett von EU-Ministertreffen und sollen sich parteiintern in Stellung gebracht haben. Edtstadler machte aber auch bereits öffentlich kein Geheimnis daraus, dass sie der Wechsel in die EU-Kommission interessieren würde. In einem Interview mit der Presse sagte sie etwa, darauf angesprochen, dass sie zwar "mit Leib und Seele" Ministerin sei, aber auch "neuen Dingen gegenüber aufgeschlossen" wäre – und meinte damit die EU-Kommission.

Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger brachte am Sonntag hingegen den derzeitigen Vizepräsidenten des Europäischen Parlaments, Othmar Karas (ÖVP), als künftigen heimischen EU-Kommissar ins Spiel. "Othmar Karas ist ein über die Parteigrenzen anerkannter Europapolitiker und lupenreiner Europäer", erklärte Meinl-Reisinger gegenüber der APA. "Im Sinne einer gewichtigen Rolle Österreichs in Europa" sollte die schwarz-grüne Bundesregierung "rasch" entscheiden, findet die Neos-Chefin.

Karas zeigte sich in der Presse erfreut, dass seine "Arbeit und die ehrliche parteiübergreifende Zusammenarbeit so wertschätzend anerkannt wird" – und zeigte sich nicht ganz abgeneigt. "Ich habe immer gesagt, dass ich für Aufgaben zur Verfügung stehe, die einen Sinn machen und mit denen ich gestalten kann." Er verwies jedoch darauf, dass eine Mehrheit im Hauptausschuss des Nationalrats notwendig sei. Man werde sehen, "wie die anderen Parteien mit der Frage umgehen".

Wann die Nominierung der neuen Kommissare dann tatsächlich erfolgt, ist derzeit noch nicht absehbar. Nach der EU-Wahl am 9. Juni muss zuerst die Kommissionspräsidentin oder der Kommissionspräsident vom Europäischen Rat nominiert und vom neuen Europaparlament gewählt werden. Dann erst entscheidet sich, wer in deren oder dessen Team dabei ist. Wenn sich dieser Entscheidungsprozess bis in den Herbst hineinzieht, könnten sich durch die Nationalratswahl die Machtverhältnisse in Österreich ändern und die schwarz-grüne Mehrheit im Hauptausschuss des Nationalrats dahin sein.

Deutsche Gerüchteküche brodelt

In Berlin wiederum wird kolportiert, dass Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) als EU-Kommissarin nach Brüssel wechseln könnte. Das Portal Politico will sogar wissen, dass sie Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin ablösen könnte. Letzteres ist wenig wahrscheinlich. Selbst wenn Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wie schon 2019 erneut jemand anderen als einen Spitzenkandidaten bei den EU-Wahlen an die Kommissionsspitze durchpressen wollte: Dass eine Deutsche eine Deutsche ersetzt, klingt doch wenig plausibel. Gegen "die Deutsche" von der Leyen wird vor allem in Frankreich und von Südländern intrigiert. Aber die Hürde ist auch im EU-Parlament: Dort müssen designierte Chefs der Kommission erst einmal eine Mehrheit finden. Die Grüne Baerbock hätte es da noch schwerer als von der Leyen.

Sollte Letztere aber scheitern, müsste die deutsche Regierung jedenfalls eine Kandidatin oder einen Kandidaten für ein Kommissarsamt nominieren. Ob Baerbock den Job als Außenministerin aufgeben würde, um als Kommissarin nach Brüssel zu gehen, ist unklar. (Sandra Schieder, Thomas Mayer, 2.6.2024)