Der Wiener Anwalt Ramin Mirfakhrai und Sicherheitsberater Julian Hessenthaler stecken hinter dem Ibiza-Video.
Oliver Das Gupta

Fünf Jahre nach Veröffentlichung des Ibiza-Videos bricht der zweite Initiator der Affäre erstmals sein Schweigen. "Es ist Zeit, sich zu erklären und mit Mythen aufzuräumen", sagte der Wiener Rechtsanwalt Ramin Mirfakhrai in einem am Sonntag veröffentlichten Interview mit dem deutschen Nachrichtenmagazin Spiegel. Darin spricht der promovierte Jurist über die Motive, die ihn antreiben – und über seine Rolle in dem Ibiza-Plot, der 2019 zum Ende der ÖVP-FPÖ-Koalition und zu Neuwahlen führte.

Zu seinem durchaus riskanten Engagement erklärte Mirfakhrai, dass ihm "Extremismus aller Art ein Graus" sei. Der 48-Jährige verweist auf seine Familiengeschichte: Nachdem das islamistische Mullah-Regime die Macht im Iran übernommen hatte, waren seine Eltern einst nach Österreich übersiedelt. Schon als Jugendlicher habe er eine tiefe Abneigung gegen Strömungen empfunden, "die gegen eine plurale und liberale Demokratie arbeiten". Außerdem widerten ihn die Polemiken der FPÖ an.

Aktiv wurde Mirfakhrai, als sich ein damaliger enger Mitarbeiter des langjährigen FPÖ-Chefs Heinz-Christian Strache ihm anvertraute: Er lieferte Belege für Missstände, die angeblich bei den Freiheitlichen herrschten – es ist das Material, dessentwegen noch heute die Ermittlungen zur FPÖ-Spesenaffäre laufen. Mirfakhrai beteuerte, er habe die Behörden damals darauf aufmerksam gemacht, ohne Erfolg.

Daraufhin hätten er und der Sicherheitsberater Julian Hessenthaler eine "unorthodoxe Idee" entwickelt. Man habe sich zum Vorbild genommen, wie einst britische Reporter mit versteckter Kamera die Korruptionsanfälligkeit des österreichischen Europaabgeordneten Ernst Strasser (ÖVP) dokumentieren. Der frühere Innenminister wurde schließlich zu einer Haftstrafe verurteilt. "Das inspirierte uns, die Methodik hat uns gefallen, auch die Wirkung seriöser Berichterstattung", sagte Mirfakhrai.

Vordermann und Hintermann

Die Finanzierung des eigenen Projekts will der Anwalt allein übernommen haben: jenes 2017 heimlich auf der spanischen Insel Ibiza aufgenommene Filmmaterial, auf dem sich der damalige FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache mit seinem Vertrauten Johann Gudenus offen zeigt für allerlei dubiose Deals. Strache schwadronierte über eine gefügige Presselandschaft wie in Ungarn, sprach von Journalisten als den "größten Huren auf dem Planeten". Und der Rechtspopulist schwelgte in der Vorstellung, Kontrolle über das mächtigste Massenblatt Österreichs zu erlangen: die Kronen Zeitung.

Mirfakhrais Kompagnon Hessenthaler hatte den FPÖ-Granden die Videofalle gestellt, der Anwalt zahlte. Auf mindestens eine halbe Million Euro taxierte Mirfakhrai die Kosten. "Wie teuer es mich zu stehen kam, möchte ich eigentlich gar nicht wissen."

In dem Spiegel-Interview widersprach der Jurist energisch Gerüchten, wonach Geheimdienste, Konzerne oder Parteien in die Affäre verwickelt seien. "Ibiza ist ein Projekt von zwei Menschen", sagte Mirfakhrai. "Wenn Sie so wollen, ist Hessenthaler der Vordermann, und ich bin der Hintermann. So langweilig das klingen mag." Die Frau, die sich auf Ibiza als russische Oligarchennichte ausgab, sie sei nur am Rande involviert gewesen. "Sie ging ein besonderes Risiko ein, wir sind ihr sehr dankbar." Und den Strache-Mitarbeiter, der sich ihm anvertraut hatte, habe er erst kurz vor Veröffentlichung des Videos eingeweiht.

Sorge, dass Tarnung auffliegt

Mirfakhrai schilderte auch bislang unbekannte Details aus der Zeit nach dem Video-Abend auf Ibiza. So habe aus dem Dunstkreis der FPÖ Interesse bestanden an einem Folgetreffen: "Sie schlugen eine abgelegene Berghütte in den Alpen vor, zu der man mit einem Helikopter geflogen worden wäre – viel zu riskant für uns." Hessenthaler und er hätten ständig die Sorge gehabt, dass die Tarnung auffliegt, vor allem, nachdem Ende 2017 Strache als Vizekanzler und sein Vertrauter Herbert Kickl als Innenminister angelobt worden waren. "Über uns hing ein Damoklesschwert", so Mirfakhrai.

Hessenthaler und er hatten das Videomaterial anfänglich gegen hohe Beträge angeboten – ohne Erfolg. Mirfakhrai erklärte, das Geld sei nicht für ihn, sondern "zur Absicherung anderer als Ausgleich für Vermögenseinbußen und Verteidigungskosten" vorgesehen gewesen.

Eine Szene aus dem im Mai 2019 durch "Spiegel" und "Süddeutsche" publik gewordenen Ibiza-Video.
Spiegel, SZ

"Zivilgesellschaftliches Projekt"

Nachdem Jan Böhmermann Mitte April 2019 in einer Videobotschaft bei der Romy-Gala über angebliche FPÖ-Verhandlungen über die Krone auf Ibiza gewitzelt hatte, standen Mirfakhrai und Hessenthaler unter Zugzwang. "Wir wussten, dass es gefährlich für uns wird, weil man bei der FPÖ Böhmermanns Anspielungen auch richtig gedeutet hatte", sagte Mirfakhrai. Eine Veröffentlichung habe noch den besten Schutz versprochen, deshalb sei das Material an Spiegel und Süddeutsche übergeben worden – ohne finanzielle Gegenleistung.

Den 17. Mai 2019, bevor die beiden deutschen Medien das Ibiza-Video veröffentlichten, scheint der Anwalt filmreif erlebt zu haben: Vor seiner Haustür warteten demnach unbekannte Personen. "Zum Glück haben wir eine zweite Tür. Durch die bin ich raus und zu meinem Auto gesprintet", so Mirfakhrai. Er sei dann zu seinem Rechtsbeistand gefahren.

Nach Veröffentlichung des Ibiza-Videos wurde bald publik, dass Hessenthaler und Mirfakhrai involviert sind. Der Anwalt äußerte sich damals nur in Form einer Presseaussendung, in der er das Ibiza-Video als "zivilgesellschaftliches Projekt" bezeichnete. "Das war und ist mein voller Ernst", sagte Mirfakhrai nun dem Spiegel. Als engagierter Bürger wolle er auch künftig helfen, Missstände aufzudecken.

Neue Whistleblower-Plattform

Medienhistoriker Fritz Hausjell, Sicherheitsberater Julian Hessenthaler, Rechtsanwalt Ramin Mirfakhrai und die Wirtschaftsexpertin Ursula Bittner haben den Verein Ans Licht! gegründet.
Julie Brass

"Wir standen bei Ibiza allein da, es war zermürbend", sagte Mirfakhrai dem STANDARD. Dieses Schicksal wolle man künftigen Aufdeckern ersparen. "Die vergangenen fünf Jahre seit der Ibiza-Affäre haben gezeigt, dass die Ermittlungsbehörden in Österreich fast zwingend auf Hinweisgeber angewiesen sind", sagt Mirfakhrai. Eine Anlaufstation für Whistleblower fehle aber – im Gegensatz zu Deutschland und der Schweiz – bislang hierzulande, was für den Anwalt eine "echte demokratische Lücke" darstellt.

Um diese Lücke zu schließen, haben Mirfakhrai und Hessenthaler den Verein Ans Licht! gegründet. "Wir sind bereit, couragierte Menschen juristisch durch Beistellung geeigneter Anwälte zu unterstützen, ihnen möglicherweise auch finanziell unter die Arme zu greifen", sagt Mirfakhrai. Es gehe aber auch um moralischen Beistand, um Recherchen, um Kommunikation und Medienkontakte. Weitere Mitstreiter sind die Wirtschaftsexpertin Ursula Bittner, die sich bei Greenpeace und der Antikorruptionsinitiative Saubere Hände engagiert, sowie Fritz Hausjell, Medienhistoriker und Präsident von Reporter ohne Grenzen Österreich. Die Website von Ans Licht! ging bereits am Samstag online. Der Verein will Aufdecker sichtlich die Unterstützung bieten, die Mirfakhrai und Hessenthaler nicht hatten.

Der Verein ist dem Anwalt zufolge überparteilich und unabhängig, Kooperationen mit anderen NGOs seien geplant. "Wir sind auf Spenden angewiesen und hoffen, dass uns weitere Personen, Stiftungen und Vereine unterstützen", sagt er.

Während Hessenthaler, Bittner und Hausjell öffentlich auftreten, will Mirfakhrai sein "zivilgesellschaftliches Soll lieber im Hintergrund erfüllen". Das Gespräch mit dem Spiegel soll demnach eine Ausnahme bleiben. "Ich habe nicht vor, weitere Interviews zu geben oder zu einer öffentlichen Person zu avancieren", sagt Ramin Mirfakhrai dem STANDARD. "Der Nervenkitzel in der Ibiza-Hochphase hat mir gereicht." (Oliver Das Gupta, 2.6.2024)