Andrea Menz und Lukas Mandl trafen einander online aus ihren Büros in Frankfurt und Wien.
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Soll Europa eine eigene Armee haben? Soll die Ukraine der EU beitreten? Soll das Recht auf Abtreiben in die Verfassung? Sind soziale Medien eine Bedrohung für die Demokratie? Über diese und andere Fragen lässt sich trefflich streiten.

Über 5000 politisch interessierte Teilnehmer und Teilnehmerinnen aus 39 Ländern in ganz Europa taten das auch tatsächlich in den vergangenen Wochen im Rahmen der aktuellen Runde von "Europa spricht".

Das Debattenformat vermittelt – unter anderem über den STANDARD in Österreich oder über Zeit Online in Deutschland veranstaltet – seit dem Jahr 2018 Europäer und Europäerinnen in grenzüberschreitende Vieraugengespräche. Seither wurden bereits 65.000 Menschen zusammengebracht, die sich sonst wohl nie getroffen, geschweige denn miteinander Argumente ausgetauscht hätten.

Plaudern mit Politikern

Die deutsche Versicherungskauffrau Andrea Menz aus Frankfurt am Main ist eine von denen, die von Anfang an dabei waren. Bereits mehrere Male traf sie online oder persönlich Menschen zum Austausch. Begegnungen, die sie nicht missen möchte, wie sie sagt. Teilweise seien gute Kontakte entstanden.

Der aufgeschlossenen 59-Jährigen, in ihrer Firma auch Belegschaftsvertreterin im Betriebsrat, liegt demokratische Teilhabe am Herzen. So kristallisierte sich beim Gespräch mit ihrem "Europa spricht"-Partner, bei dem DER STANDARD mithören durfte, auch gleich ein zentrales Thema heraus: Wie kann man Menschen dazu motivieren, demokratisch aktiver zu sein, sich an Wahlen zu beteiligen?

Ihr Gesprächspartner im Zoom-Meeting gab zu diesem Thema ein passendes Gegenüber ab: Der österreichische EU-Parlamentarier Lukas Mandl (ÖVP) tourt gerade durch die Bundesländer, um österreichische Wählerinnen und Wähler nicht zuletzt davon zu überzeugen, überhaupt zur EU-Wahl zu gehen. Dass die Wahlbeteiligung bei Urnengängen zum EU-Parlament so niedrig sei, liege vor allem auch daran, dass die Bürger und Bürgerinnen eigentlich gar nicht wüssten, was Abgeordnete den lieben langen Tag so täten.

"Jeder weiß, was eine Friseurin oder eine Ärztin macht, aber eine EU-Parlamentarierin?", zeigt sich Mandl nachdenklich. Getöse und Streit in der Politik würden dann vom eigentlichen Kern dieser Arbeit zusätzlich ablenken: "Der Alltag besteht aus Kompromissen. Politik muss meiner Meinung nach integrieren, nicht polarisieren." Jedenfalls warnt Mandl davor, die Entscheidung anderen zu überlassen und auf das eigene Wahlrecht leichtfertig zu verzichten.

Tatsächlich ist die Wahlbeteiligung bei Europawahlen im Vergleich zu nationalen Wahlen meist deutlich geringer. An den Europawahlen 2019 nahmen nur 59,8 Prozent der österreichischen Wahlberechtigten teil, in Deutschland waren nur etwa 61 Prozent an den Urnen, fünf Jahre davor sogar nur 43 Prozent.

Aus persönlichen Beobachtungen wissen beide, dass als Begleiterscheinung der Politikverdrossenheit auch immer weniger Menschen in der Kommunalpolitik tätig sein möchten: "Wer will das überhaupt noch machen? Immer im Kreuzfeuer der Bewertung zu stehen ist ja auch nicht einfach."

Das ständige Grundrauschen von Kampf und Negativität und der raue Ton in seiner Branche schrecke bestimmt ab, gibt Mandl zu: "Politik ist das Bohren harter Bretter, um Max Weber zu zitieren. Ich sage oft scherzhaft dazu: Bohren harter Bretter mit dem Finger." Umso wertvoller seien auch kleinste Erfolge.

Komplexe Themen

Mit Vertretern der Branche, die einfache Lösungen für komplexe Themen versprechen, gehen beide, Menz wie Mandl, ins Gericht: "Ich stelle auch die Frage nach der Qualifikation und nach dem Motiv", betont Mandl.

Sie ermüde vor allem dann, wenn Politikerinnen und Politiker ständig nur "dagegen" seien und nicht klarmachten, wofür sie einstünden – und aus welchen Gründen, unterstreicht Menz ihre Sicht der Dinge.

Um genau das zu tun, eben "klarzumachen", wofür er steht, muss der Abgeordnete Mandl sich auch nach einer guten halben Stunde verabschieden: "Jetzt geht es weiter nach Niederösterreich", erklärt er – nicht ohne, ganz Vertreter Österreichs, noch die Vorzüge der Wachau anzupreisen: "Kommen Sie doch einfach demnächst selbst vorbei, auf ein Gläschen Wein." Andrea Menz wird es sich überlegen. (Manuela Honsig-Erlenburg, 2.6.2024)