EU
Ginge es Österreich besser, wären wir nicht der EU beigetreten? Viele Wählerinnen und Wähler vermuten dies bis heute.
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Brexit. Das war bis Ende Jänner 2020 in den Berichten zur EU jahrelang einer der meistgebrauchten Fachbegriffe. Dieses auch ins Deutsche übernommene Kunstwort aus "British" und "exit" ging viel leichter über die Lippen als der korrekte, aber sperrige Ausdruck "Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union".

Ausbruch aus Europa

Es löste eine Modewelle aus. In Anlehnung daran geisterten in den Niederlanden, in Deutschland oder Österreich Nexit, Dexit oder Öxit als Vision vom bruchartigen Verlassen der Gemeinschaft herum. EU-skeptische Parteien spielten gern mit nationalen Trennungsfantasien.

Als die Briten dann ab 1. Februar 2020, null Uhr tatsächlich keine EU-Bürger mehr waren, die Wirtschaft der Insel in Turbulenzen geriet, Gemüseregale in Supermärkten leer blieben, wurde es leiser um die Brexitmania. Vielen dämmerte, dass das Verlassen des Binnenmarkts, Grenzkontrollen statt Personenfreizügigkeit, Verengung statt Offenheit vielleicht doch keine so geniale Idee ist – besonders für kleine Staaten, die nicht über die Power Großbritanniens verfügen, der zweitgrößten Volkswirtschaft Europas.

Die Trittbrettfahrer

Dennoch. Ganz verschwunden sind Gedankenspiele vom besseren Leben ohne EU-Mitgliedschaft nie, so auch in Österreich. Vor allem die FPÖ liebäugelt verklausuliert damit. Sie hatte – wie die Grünen – bereits beim Referendum 1994 unter Parteichef Jörg Haider hart gegen den EU-Beitritt des Landes kampagnisiert.

Das Wort Öxit, mit dem die Blauen im EU-Wahlkampf 2019 noch geflirtet hatten, als sie "das Volk befragen" wollten über den EU-Verbleib, will Spitzenkandidat Harald Vilimsky nicht mehr in den Mund nehmen. Er spricht jetzt von einer "roten Stopptaste", die es zu drücken gelte – wegen "EU-Wahnsinns" und "Kriegstreibern" in Brüssel.

Die FPÖ redet nun vom Rückbau der EU in eine reine Freihandelszone, ohne politische Union, ohne den Euro, wofür es keinerlei Pläne gibt. Als Vorbild für Österreich wird dabei gerne die Schweiz bemüht, deren Bevölkerung 1992 den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) ablehnte, später auch EU-Beitrittsverhandlungen.

Beflügelte Skeptiker

Stattdessen handelte die Regierung in Bern bilaterale Abkommen mit der EU aus, etwa zu Luftfahrt oder Transit. Die Schweiz nimmt an EU-Forschungsprogrammen teil (als Nettozahler). 2005 öffnete sie sich dem Schengen-Raum, hob die Grenzkontrollen auf.

So wie Österreich bei der militärischen Sicherheit verhält sich die Schweiz in Bezug auf die Teilnahme an dem von der EU geprägten einheitlichen Wirtschaftsraum in Europa: als "ein Trittbrettfahrer", sagt der Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo), Gabriel Felbermayr. Das sei möglich, weil die EU das bisher freundlich akzeptiere und die Schweiz sich das aus historischen Gründen leisten könne.

Das beflügelt in Österreich manche EU-Skeptiker: Hätten wir es nur so gemacht wie die Schweizer, es ginge dem Land besser! Man müsste sich von der zentralistischen EU nichts vorschreiben lassen, hätte Souveränität bewahrt. So die These.

Schwer vergleichbar

Aber wie realistisch ist das? Hätte sich Österreich ohne EU-Beitritt 1995 so gut entwickeln können wie die Schweiz? "Nein", sagt Felbermayr. Das liegt daran, dass die historisch gewachsenen Voraussetzungen und Bedingungen in beiden Ländern nicht vergleichbar seien.

Ähnlich wie das durch Nordseeöl superreich gewordene Norwegen konnte die Schweiz zur EU eine starke Position aufbauen. De facto ist sie als Nichtmitglied dem EU-Raum sehr eng verbunden: Rund 400.000 Schweizer Bürger leben und arbeiten in EU-Staaten, 1,5 Millionen EU-Bürger in der Schweiz. Sie ist nach den USA, China und Großbritannien viertgrößter Handelspartner der EU. Das kleine Land exportierte 2022 Waren im Volumen von 140 Milliarden Euro in die EU, die Hälfte des Außenhandels, importierte für 160 Milliarden – noch ohne Dienstleistungen.

Österreich profitierte stark

Warum hat Österreich ein deutlich schlechteres Standing? Dem Nachbarland blieben zwei Weltkriege erspart, damit die riesigen Zerstörungen. Die Schweiz wurde im Krieg auch zum Fluchtort für den Rest Europas. Es floss enorm viel Kapital ins Land. Bis heute ist die Schweiz ein Eldorado für Privatbanken, hat eine starke, differenzierte Industrie, von Pharma über Uhren bis Maschinenbau. Sie hat Weltkonzerne, eine seit Jahrhunderten gefestigte liberale Demokratie, eine starke Währung – und hohes Arbeitsethos.

Das 1945 verwüstete, von Alliierten besetzte Österreich hatte all diese Vorteile lange nicht. Die Industrie etwa war von Stahl und Textil dominiert. Das Land schaffte einen beeindruckenden Wiederaufbau, eng an Deutschland gebunden. Der Schilling wurde 1976 an die D-Mark gekoppelt. Erst der EU-Beitritt 1995, der Eintritt in den EU-Binnenmarkt, die Öffnung zu den östlichen Nachbarländern, die später alle EU-Mitglieder wurden, brachten Österreich große Entwicklungschancen, sagt Wifo-Chef Felbermayr.

Er forscht an der Gegenprobe – was ein Öxit auslösen würde: Österreichs Wirtschaft würde um fünf bis acht Prozent einbrechen, mehr als 40 Milliarden Euro, je nachdem, wie ein EU-Austrittsvertrag aussähe, was an Offenheit zum Markt übrigbliebe. Das Land wäre statt EUreich wieder mehr Österarm. (Thomas Mayer, 2.6.2024)