Trump-Anhänger behaupten, der Urteilsspruch sei politisch motiviert, und versammeln sich unter der umgedrehten Flagge.
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Der Schuldspruch für den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump im Schweigegeldprozess in allen Anklagepunkten wird in Teilen des radikalisierten Onlinemobs als Kriegserklärung eines angeblich korrupten Systems ausgemacht. Trump selbst heizt die Stimmung weiter an.

"RIP America" trendete auf X, vormals Twitter, binnen wenigen Minuten nach der Urteilsverkündung. Ein Geschworenengericht in Manhattan hatte den ehemaligen Präsidenten Donald Trump in allen 34 Anklagepunkten für schuldig befunden. Er soll Geschäftsunterlagen im Zusammenhang mit einer Schweigegeldzahlung an die Erotikdarstellerin Stormy Daniels gefälscht haben.

Es dauerte daraufhin nicht lange, bis die umgekehrte US-Flagge, eigentlich ein maritimes Notsignal, in die sozialen Netzwerke gespült wurde. Trump-Anhänger, Extremisten und Politikerinnen und Politiker des extremen rechten Randes teilten das Bild, das schon von der "Stop the Steal"-Bewegung im Jahr 2020 eingesetzt wurde.

Die Argumentation dürfte Beobachter wenig überraschen, passt sie doch genau ins verschwörungsideologische Handbuch der "Make America Great Again"-Bewegung oder MAGA: Die Geschworenen seien gekauft gewesen, und der tiefe Staat stecke dahinter. Schnell war auch die Rede von einer Kriegserklärung der "Globalisten" gegen vermeintlich anständige US-Bürger. Der Schuldspruch, so die gängige Rhetorik, sei ein Zeichen für den Zusammenbruch der USA und einen bevorstehenden Bürgerkrieg.

"Steuern auf Bürgerkrieg zu"

"Ab heute, mit diesem gefälschten Schuldspruch gegen Trump, ist Amerika nicht mehr die Vereinigten Staaten", schrieb Joey Marianno, ein Trump-freundlicher Kommentator, an seine 466.000 Follower auf X. "Wir sind ein Scheißloch in der Dritten Welt und steuern auf einen Bürgerkrieg zu. Ich habe kein Verlangen danach, dieses Land zu vereinen. Es gibt kein Land zu vereinen. Das haben wir längst hinter uns."

Vor allem in Kreisen der Teilnehmer des Angriffs auf das Kapitol am 6. Jänner findet derartige Argumentation viel Zuspruch. In einem Video, behauptete Alex Jones von Infowars, dass der "tiefe Staat und die Globalisten" Trump vor ein Scheingericht ("kangaroo court") stellten, in der Hoffnung, dass ein Schuldspruch seiner Kampagne schaden würde. "Meine Damen und Herren, wir sehen unsere Republik gerade auf dem Sterbebett", sagte Jones und fügte hinzu, er glaube, dass "Terroranschläge unter falscher Flagge, die den über das Urteil verärgerten Trump-Anhängern angelastet werden" unmittelbar bevorstünden. "Wir wollen keine Gewalt, wir wollen keine Anschläge", sagte Jones zu seinen 2,3 Millionen Followern, wie Wired berichtet.

Musk spricht Politurteil

X-Eigentümer und Tesla-CEO Elon Musk stimmte in den Chor der MAGA-Fans ein: "Das Vertrauen der Öffentlichkeit in das amerikanische Rechtssystem hat heute großen Schaden erlitten. Wenn ein ehemaliger Präsident wegen einer so trivialen Angelegenheit strafrechtlich verurteilt werden kann – die eher politisch als juristisch motiviert ist –, dann droht jedem ein ähnliches Schicksal."

Auch Ali Alexander, ein rechtsextremer Verschwörungstheoretiker, nahm kein Blatt vor den Mund. "Heute ist der 6. Januar für die ganze Nation", schrieb er auf Telegram an seine 12.000 Abonnenten. "Das ist schlimmer als der Bürgerkrieg. Hochachtungsvoll." Diese Art der Rhetorik landete wenig später im Fernsehen, nämlich auf Fox News. Dort sprach man in der Vergangenheit bereits davon, dass Gerichte den Staat ausschalten wollen, und von "lawfare", ein Kofferwort aus "law", also Gesetz und "warfare", Kriegsführung. Jeanine Pirro von Fox News kommentierte: "Ich denke, 'lawfare' ist viel zu weich, es ist viel zu harmlos. Dies ist Kriegsführung."

Trump wütet und bettelt um Geld

Donald Trump selbst stachelte den Onlinemob weiter an. Er meldete sich über seine eigene Plattform Truth Social und eine E-Mail zu Wort, in der er seine Anhänger einmal mehr um Geldspenden bat. Darin stellte er sich erneut als Opfer politischer Verfolgung von einem korrupten System dar. Ein System, das nur das Ziel habe, ihm die Wahl 2024 zu "stehlen".

"Das war eine Schande – ein manipulierter Prozess durch einen Richter, der korrupt ist. Wir werden für unsere Verfassung kämpfen – dies ist noch lange nicht beendet!", wütete Trump in Großbuchstaben.

Trumps Behauptungen über "Manipulationen" wurden von Anhängern wiederholt. Der Gründer von Turning Point USA, einer rechtskonservativen studentischen Bewegung mit Hang zu Verschwörungstheorien, Charlie Kirk, verbreitete auf X: "Dieser Fall wurde jahrelang von der Spitze des demokratischen Apparats geplant, um Trump zu stürzen, unter Verwendung eines manipulierten Gesetzes in einem manipulierten Gerichtssaal mit einer manipulierten Jury." Und: "Wir müssen gewinnen. Wir müssen diese Wilden besiegen!"

Proud Boys drohen mit "Krieg"

Die Trump-treue Abgeordnete Marjorie Taylor Greene aus Georgia postete nicht nur die umgedrehte Flagge, sondern bezeichnete den Prozess auch als "Scheinprozess", der von "radikalen Linken und Deep-State-Agenten" inszeniert wurde. "Ein solches Ausmaß an Korruption sieht man nicht in einer Bananenrepublik, aber es passiert in unserem eigenen Hinterhof", so Taylor Greene auf X. "Es gibt NICHTS, was sie mehr fürchten als eine weitere Trump-Präsidentschaft."

Die Reaktion des rechtsextremen Randes war sogar noch bedrohlicher. Die Proud-Boys-Kanäle verschiedener Sektionen reagierten auf die Nachricht mit nur einem Wort: "Krieg".

Trump droht eine mehrjährige Freiheitsstrafe, die auch zur Bewährung ausgesetzt werden könnte, oder eine Geldstrafe. Es ist das erste Mal in der US-Geschichte, dass ein Ex-Präsident wegen einer Straftat verurteilt wurde. (pez, 31.5.2024)