Dating-Apps haben in den letzten Jahren stark an Zuspruch verloren. Bei Männern, aber vor allem bei Frauen.
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Vor nicht allzu langer Zeit führte ich mit Bekannten ein Gespräch darüber, was das Worst-Case-Szenario der verschiedenen Anwesenden in Bezug auf Onlinedating sei. Die Antwort der männlichen Anwesenden war durch die Bank sinngemäß etwas wie: dass das Gegenüber langweilig sei und das Gespräch unangenehm werde. Die anderen in der Runde hingegen teilten allesamt umgehend eine andere Sorge. Sie fürchteten, dass ihnen etwas angetan werden könnte – physisch oder psychisch.

Dating-Apps prägen schon seit etwa einem Jahrzehnt die Partnersuche, in Österreich ist mittlerweile jeder zweiter Single auf Onlineplattformen unterwegs. Ihr absolutes Hoch erlebten die Apps während der Corona-Pandemie – durch ihr Potenzial, soziale Isolation zu überbrücken. Doch während sich zu Beginn der Pandemie Investoren auf Dating-App-Anbieter stürzten, sackte der Börsenkurs von Matchgroup (unter anderem Tinder, Hinge, OkCupid) und Bumble um über 80 Prozent ab. Die Gründe hierfür sind vielfältig und unterschiedlich gravierend.

Allgemeine Müdigkeit

Die negative Entwicklung spiegelt sich nicht nur in Aktienkursen wider: Studien zeigen, dass gerade jüngere Menschen sich vom Onlinedating abwenden. Eine Befragung des Generation Lab an US-Hochschulen ergab, dass vier von fünf Personen gar keine Dating-Apps mehr nutzen. Fast vier von fünf Personen zwischen 18 und 54 verspüren laut einer anderen Untersuchung einen gewissen Grad an emotionaler Erschöpfung oder Burnout beim Onlinedating. Ein zentrales Problem hierbei bringt Justin McLeod, der CEO von Hinge, auf den Punkt: Einige sind überfordert, und andere sind unterfordert. So gibt der sogenannte Elo-Score (ein Begriff aus dem Schach) an, wie beliebt ein Profil ist. Je höher dieser Marktwert, desto öfter wird ein Profil potenziellen Matches angezeigt.

Auch eine Studie an der Universität Wien zeigte, dass die hohe Partnerverfügbarkeit auf Dating-Apps die Angst vor dem Single-Dasein steigerte, das Selbstwertgefühl der Teilnehmenden verringerte und zu Überlastung führte. Schon frühere Erkenntnisse weisen darauf hin, dass Menschen ihre Entscheidungen in Bezug auf romantische Beziehungen auf ähnliche Weise treffen wie ihre Konsumentscheidungen. Nicht nur das System berechnet also, auch von den Menschen selbst werden soziale Beziehungen wie ein wirtschaftlicher Austausch mit Kosten und Nutzen wahrgenommen. Im Angesicht von 80 Millionen Tinder-Nutzerinnen und -Nutzern kann die stetige Möglichkeit einer besseren Alternative so zu erheblichem Rechenstress führen. Der potenzielle Nutzen lockt jedoch: Am Horizont stehen das Finden der großen Liebe, ein Austausch mit Menschen, die man sonst nicht kennengelernt hätte, oder Kommunikationsmöglichkeiten für Introvertierte.

Genderspezifische Diskriminierung

Der Einsatz ist hier allerdings bei weitem nicht für alle gleich. Es ist eine eingeübte Vorgehensweise: Hat eine Freundin ein (erstes) Date mit einer Online-Bekanntschaft, sagt sie mir Bescheid, wann und wo sich die beiden treffen, ich bin auf Abruf, und nach etwa einer Stunde checke ich ein, ob alles gut ist. Manchmal wird vorher noch ein Live-Standort geteilt, für alle Fälle.

Übergriffe bei einem ersten einvernehmlichen Treffen kommen so häufig vor, dass sie einen eigenen Namen haben: Date-Rapes. Diese finden bei einem Kennenlernen durch Dating-Apps besonders oft statt. Julie Valentine vom Brigham Young University College, die diesen Zusammenhang untersuchte, weist auf einen großen Unterschied zum Kennenlernen in Person hin. In diesem Fall würden potenzielle Dates in der Regel über die Arbeit, den Freundeskreis oder andere Aktivitäten eine Art Screeningprozess durchlaufen. Dieser fällt online weg, bei der Erstellung eines Datingprofils ist es leicht, eine beliebige Persona zu kreieren. In der Studie wurde außerdem festgestellt, dass es hier zu noch gewalttätigeren Straftaten kommt. Diese erhöhte Gewaltbereitschaft führt die Forschenden zur Vermutung, dass Straftäter Dating-Apps bewusst zur Suche nach gefährdeten Opfern nutzen. Aufgrund der Wirksamkeit von sexuellen Skripts, also einem internalisierten Ablauf intimer Situationen, geben sich Betroffene immer wieder selbst die Schuld für Übergriffe beim ersten Date.

Hierbei handelt sich um die Spitze des Eisbergs, das Problem beginnt jedoch deutlich früher. Etwa dann, wenn mehr als die Hälfte aller Frauen angeben, auf Dating-Apps belästigt worden zu sein, 21 Prozent sexuell. Bei den Männern waren es 20 und 9 Prozent. Ein Drittel der Frauen auf Dating-Apps werden außerdem beleidigt, insbesondere in Bezug auf ihr Aussehen und ihren Körper. Die Sozialpsychologin Johanna Degen fand heraus, dass Profile dementsprechend schon präventiv nach dem System "happy, healthy and uncomplicated" angelegt werden. Frauen werden dazu gebracht, sich entlang gängiger rückständiger Schönheitsbilder zu orientieren, um sich vor Bodyshaming und Diskriminierung zu schützen.

Neben derartigen Übergriffen von Individuen kann also auch ein systemisches Problem hinter der Sache beobachtet werden. Dies berichtet auch die Soziologin Jessica Pidoux, die ihre Doktorarbeit über die Matching-Mechanismen hinter Dating-Apps geschrieben hat. Zwar kann man sich entscheiden, bestimmte Angaben nicht zu machen, die Algorithmen berücksichtigen jedoch auch Beliebtheitsdaten aus anderen Apps und scannen Fotos. So berechnen sie einen Wert aus Attraktivität, Intelligenz und sogar der Nervosität beim Tippen. Die Analysen von Pidoux haben ergeben, dass der Algorithmus hinter Tinder ein patriarchales Modell bevorzugt. Das bedeutet beispielsweise, dass jüngeren Frauen mit einer weniger hohen Bildung ein älterer Mann mit hoher Bildung sowie hohem Gehalt angezeigt wird. Frauen mit einem hohen Bildungsabschluss etwa werden diskriminiert.

Abwertung und Fetischisierung

Dating-Apps reproduzieren auch andere Formen von Diskriminierung. Zwar ist für das algorithmische System auch Hautfarbe kein explizites Kriterium. Wenn jedoch überwiegend weiße Menschen als attraktiv befunden werden, wie Auswertungen von OkCupid zeigen, kann diese fehlende Information über stellvertretende Merkmale wie die Erfolgsquote einer Person ausgeglichen werden. So werden im Endeffekt überwiegend weiß gelesene Personen vermittelt, da ihr Weißsein ein hoher Indikator für ein "Match" ist. Rassistische gesellschaftliche Strukturen bleiben also beim Onlinedating wirkmächtig und werden codiert.

Eine lange Zeit ermöglichten Apps wie Grindr oder OkCupid auch, direkt nach einer ethnischen Präferenz zu filtern. Dies war ursprünglich gedacht als Vernetzungsmöglichkeit für Minderheitengruppen, schlug jedoch schnell ins Gegenteil um. In Profilbeschreibungen waren außerdem die Angaben "Keine Asiaten" oder "Black=Block" zu finden. Viele Apps haben das im weiteren Verlauf unterbunden, am Verhalten der Einzelnen ändert das jedoch nichts. So kann die Angabe von "Präferenzen" auch ins Gegenteil umschlagen, wenn bestimmte Gruppen fetischisiert werden. Schwarze Frauen berichten beispielsweise, dass sie besonders häufig von Profilen kontaktiert werden, die sie hypersexualisieren. Eine Form des positiven Rassismus, die nach wie vor häufig zu finden ist.

Volle Kraft voraus oder drei Schritte zurück

Offensichtlich sind verschiedene Partnersuchende oft nicht in der Lage, sich auf Dating-Apps ungestört bewegen zu können. Die Lösung der Betreibenden hierfür: Abhilfe schaffen durch weitere Technologisierung. Whitney Wolfe, die Chefin der extra für Frauen ausgelegten Plattform Bumble, präsentiert auf der Code Conference im letzten Jahr KI als neuen Dating-Coach. Sie soll dabei helfen, passendere Matches zu finden und wie eine Art Nachhilfelehrer bei der Kommunikation unterstützen. So soll Stress und Leiden der Nutzerinnen und Nutzer reduziert werden. Auch Justin Mc Leod von Hinge sieht in den kommenden Jahren eine Revolution durch KI im Onlinedating, die genauso groß sein wird wie der Beginn der Apps. Wer noch nicht bereit ist, kann auf der App Blush üben. In dieser wird gematcht wie bei Tinder, allerdings mit generierten Fake-Menschen zum Üben.

Oder aber man deaktiviert wie viele zuerst einmal sein Profil und löscht etwas später die App von seinem Handy. Nicht ohne Grund werden analoge Dating-Events immer beliebter. Eventbrite verzeichnete hier 2021 einen 200-prozentigen Anstieg der Anmeldungen, und sogar Apps wie Bumble testen einen hybriden Ansatz aus. Die Form des Kennenlernens abseits von Algorithmen und Dating-Fatigue hat nun einen Namen: Slow Dating. Doch auch das altbekannte Kaffeehaus ist kein "Safe Space", die Algorithmen der Apps reproduzieren nur das, was gesellschaftlich bereits vorhanden ist. Unseren Standort teilen meine Freundinnen und ich immer noch. (hlk, 2.6.2024)